Interview mit Michal Kokot
„Ukrainer nennt man bei uns ‚die Unsichtbaren‘, weil sie sich so gut anpassen“
Warum nimmt Polen wenige Flüchtlinge auf, obwohl in dem Land viele Menschen aus anderen Ländern leben? Michal Kokot, Auslandskorrespondent der führenden polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, hat eine Erklärung dafür. Von Reiner Klingholz
Mittwoch, 02.05.2018, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 07.05.2018, 21:47 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Reiner Klingholz: Herr Kokot, warum sind die Polen so zurückhaltend Flüchtlinge aufzunehmen?
Michal Kokot: Vermutlich aus ähnlichen Gründen, weshalb manche Ostdeutschen keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Wir haben keine Tradition, Leute aus anderen Kulturen aufzunehmen. Natürlich gab es im Kommunismus auch bei uns ein paar Vietnamesen oder Afrikaner aus sozialistischen Bruderländern. Aber im Wesentlichen war Polen immer homogen. Vor allem nachdem 1968 viele Juden vertrieben worden waren von der kommunistischen Partei. Insofern gibt es keinen Austausch mit anderen Kulturen. Die Situation ist ähnlich wie in anderen postkommunistischen Ländern. Der ehemalige Eiserne Vorhang ist schuld an unseren Vorbehalten.
Aber in Polen leben doch eine Menge Menschen aus anderen Ländern?
Michal Kokot: Eigentlich nur Ukrainer. Man nennt sie bei uns „die Unsichtbaren“, weil sie sich so gut anpassen. Von ihnen gibt es 1,5 Millionen, also ziemlich viele.
Was machen die?
Michal Kokot: Sie arbeiten in der Bauwirtschaft, als Händler, in der Landwirtschaft. Auf vielen Baustellen sieht man nur Ukrainer.
Ist diese Zuwanderung organisiert oder legal?
Info: Michal Kokot ist Auslandskorrespondent der führenden Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Er beschäftigt sich unter anderem mit Flüchtlingsfragen und schreibt auch für internationale Medien.
Michal Kokot: In vielen Fällen haben diese Personen ein Arbeitsvisum. Aber die Bürokratie hat das schwieriger gemacht. Oft müssen die Ukrainer jetzt vier bis sechs Monate auf ein Visum warten und arbeiten so lange schwarz. Das wird inoffiziell geduldet, denn ohne diese Leute würde die polnische Wirtschaft nicht laufen.
Wie steht die Bevölkerung zu den Ukrainern?
Michal Kokot: Leider nicht so positiv, sie gelten allgemein als minderwertig. Nach Umfragen empfinden 32 Prozent der Polen die Ukrainer als keine guten Nachbarn. In der Wahrnehmung kommen nur die Araber und die Juden schlechter weg, obwohl es in Polen gar keine Araber gibt. Die polnische Bevölkerung denkt sehr nationalistisch.
Wie lange bleiben die Ukrainer in Polen?
Michal Kokot: Die bleiben. Sie werden Teil der Mittelschicht. Besonders attraktiv für sie ist die sogenannte EU-Residenz, die sie bekommen können, wenn sie ein paar Jahre im Land sind und Steuern gezahlt haben. Sie erlaubt es ihnen, auch mit ukrainischem Pass im Schengen-Raum zu reisen. Aber viele werden auch in Polen bleiben wollen. Der Vorteil ist, dass sie von dort viel schneller mit dem Bus in die alte Heimat fahren können. Zudem läuft die sprachliche Integration super. Die brauchen ein paar Monate um Polnisch zu lernen, weil die Sprachen ähnlich sind.
Was gibt es noch für Ausländergruppen in Polen?
Michal Kokot: Russen und Weißrussen, auch Deutsche, die kaufen Land und Immobilien. Insgesamt sind es neben den Ukrainern nur wenige. Und auch die findet man vor allem in den Städten.
Ist sich Polen bewusst, dass angesichts der niedrigen Kinderzahlen seit der Wende und der demografischen Entwicklung bald schon Zuwanderung nötig sein wird, um die Erwerbsbevölkerung groß genug für die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zu halten?
Michal Kokot: Die Regierung spricht nicht davon. Sie will auf keinen Fall Zuwanderung. Sie will die demografischen Probleme mit dem Kindergeld lösen. Das sind umgerechnet 110 Euro pro Monat. Die naive Vorstellung ist, dass die Leute dann wieder genug Kinder bekommen, um den Arbeitsmarkt zu bedienen. Tatsächlich ist die Zahl der Kinder wieder etwas gestiegen, aber das reicht keinesfalls aus. Ich bin überzeugt davon, dass wir künftig Zuwanderung brauchen. Auch die Ukrainer werden das Problem nicht lösen, denn bei ihnen sind die Kinderzahlen genauso niedrig wie bei uns. Ausland Interview Leitartikel
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