Anti-muslimischer Rassismus
Kopftuchdebatte, unerschöpfliche Diskursquelle und Monologisierung
Das Kopftuch, die never ending Story. Erneut sorgt es für Diskussionen. Diesmal in Hamburg. Dort hat sich die CDU mit deutlicher Mehrheit für ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren ausgesprochen. Von Elif Köroğlu
Von Elif Köroğlu Dienstag, 26.06.2018, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 19.03.2019, 14:49 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Sapere aude! – Gilt auch für muslimische Frauen. Die Kopftuchdebatte erweist sich erneut als eine unerschöpfliche Quelle, um den Resonanzboden für diskriminierende Ressentiments gegen die muslimische Minderheit in Deutschland zu stärken. Unter dem Stichpunkt der Kopftuchdebatte bevormundet der deutsche Diskurs das Leben und den Körper der muslimischen Frau, als könne sie nicht für sich selbst sprechen.
Ob im Rahmen des Neutralitätsgesetzes für Lehrerinnen, des Burka-Verbots oder im Kontext von Gender-Studies – die Kopftuchdebatte schafft es immer wieder aufs Neue auf die Top-Liste der Agenda in den deutschen Massenmedien. Im vergangenen Jahr wurde es im Rahmen des Burka-Verbots thematisiert, dieses Jahr ist es das Verbot für Mädchen unter 14 Jahren. Die muslimische Frau und das Kopftuch bewahren ihre Omnipräsenz.
Eingeleitet wurde die Debatte in diesem Jahr durch die Aussage des Bundesinnenministers Horst Seehofer (CSU): „Nein. Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Deutschland ist durch das Christentum geprägt“ – und die darauffolgenden Umfragen in der Gesellschaft. Die Ergebnisse zeigen, dass 76% der Bevölkerung der Aussage Seehofers zustimmen. Zudem folgte die Inspiration für das geplante Kopftuchverbot in Kindergärten und Volksschulen dem österreichischen Vorbild. So wurde die Kopftuchdebatte erneut reaktiviert und revitalisiert. Der von Joachim Stamp (FDP), Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, angeregte Vorschlag, ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren einzuführen, wurde unter anderem bei den Lehrerverbänden begrüßt. Susanne Eisenmann (CDU) hingegen, Kultusministerin in Baden-Württemberg, stellte sich so einem Verbot entgegen und plädierte für Aufklärung. Die Hamburger CDU wiederum hat sich am Wochenende mit deutlicher Mehrheit für ein Kopftuchverbot für muslimischen Mädchen unter 14 Jahren an Hamburgs Schulen ausgesprochen.
Anti-muslimischer Rassismus
Die immer wieder entfachten Kopftuchdebatten sind ein Indiz für die Kontinuitätslinien des aktuellen anti-muslimischen Rassismus. In diesem Diskurs werden komplexe Zusammenhänge vereinfacht, sodass ein bipolares Denken in „Wir“ und „die Anderen“ entsteht. Die Religionszugehörigkeit und das Kopftuchtragen werden als Erklärung für die Integrationsprobleme in der Gesellschaft deklariert.
Während der „Gastarbeiter-Ära“ widmeten die Medien und Sozialwissenschaften in Deutschland den kulturell-religiösen Aspekten der Zuwanderung aus muslimisch geprägten Ländern noch vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit. In den 1990er Jahren, als es noch kaum empirische Erkenntnisse zu den Lebensweisen von MuslimInnen in Deutschland gab, führten die Sichtbarkeit der Religion im öffentlichen Raum wie z.B. Moscheebauten, die Schilderung von Schicksalen der Zwangsverheiratung oder die Entscheidung der Frauen für das Kopftuch zu einer Mediendarstellung, die den Islam als „pauschales Hindernis“ für Integration erschienen ließ.
Christoph Butterwegge, ein deutscher Politikwissenschaftler, definiert die Massenmedien als „Katalysatoren der Ethnisierung sozioökonomischer Konflikte“ und meint, dass die „Ethnisierung“ ein sozialer Exklusionsmechanismus sei, der Minderheiten schafft und diese zumeist negativ etikettiert. Die Medien treiben den Ausgrenzungsprozess voran, indem sie als „Motoren“ und „Multiplikatoren“ auf die Ethnisierung der muslimischen Frau wirken, während ethnische Differenzierungen, in diesem Fall das Kopftuch, als Voraussetzung der Diskriminierung charakterisiert werden. Mit anderen Worten: Medien fungieren als „Bindeglieder“ zwischen institutionellem und alltäglichem Rassismus und filtern für die Meinungsbildung wichtige Informationen heraus und beeinflussen mit diesen das Bewusstsein der Menschen, für die sich die gesellschaftliche Realität zunehmend über die Rezeption von Medien erschließt.
Feindbild Islam
Eine Analyse von der Berichterstattung über die muslimische Frau und das Kopftuch zeigt, dass in den meisten Fällen mit dem „Frame“ Ansatz gearbeitet wird. „Framings“ werden als geplante Strategien von sozialen Bewegungen definiert, welche das Ziel haben, die eigene Sicht auf ein Problem oder einen sozialen Sachverhalt darzustellen und somit die angestrebten Aktivitäten zu legitimieren. Die „Frames“ zielen demnach auf ein geteiltes Verständnis eines Kernproblems ab, dem sich die Bewegung widmet, und schlussendlich dienen sie der „Persuasion“ von potenziellen Anhängern. Das Kopftuch der muslimischen Frau wird als Symbol von Rückständigkeit, Entmündigung und des Patriarchalismus präsentiert, um es dann zu diffamieren oder gar zu verbieten.
Die Ressentiments über die muslimische Frau wurden durch das seit den 1990er Jahren bestehende und nach der Jahrtausendwende verstärkte „Feindbild Islam“ unterstützt. Demnach gelten die jungen Migrantinnen nicht nur als „Kopftuchtürkinnen“ oder „Unterdrückte“, sondern als „Fundamentalistinnen“, die die abendländische Gesellschaft zu unterwandern versuchen. Das „Kopftuch“ und „der Islam“ werden in einem postmodernen Gestus von der Dominanzkultur als „Problemfelder“ definiert, die „Lösungen“ benötigen.
Obwohl das Grundgesetz allen BürgerInnen religiöse Freiheit gewährt und jede Frau sich so kleiden darf, wie es ihr gefällt (Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG) und religiös motivierte Kleidung unter dem Schutz des Religionsgrundrechts steht (Art. 4 I, II GG), wird das Kopftuch von Musliminnen immer wieder problematisch thematisiert und reaktiviert. Muslimische Frauen, die sich für das Kopftuchtragen entscheiden, werden als eine Gefahr für die säkulare Gesellschaft und die deutsche Leitkultur dargestellt, da diese sich gemäß ihrer persönlichen Interpretation ihres Glaubens für einen bestimmten Kleidungsstil entscheiden. Der Artikel 3 II GG verpflichtet zwar den Staat, die Gleichberechtigung von Frau und Mann zu fördern, doch dies legitimiert noch lange nicht, eine Frau gegen ihren Willen zu zwingen, dem Bild einer „emanzipierten Frau“ gerecht zu werden.
Kopftuch-Assoziationen
In der Mehrheitsgesellschaft ruft das muslimische Kopftuch Assoziationen wie Rückständigkeit und patriarchalische Unterdrückung hervor. Aus einer anderen Perspektive betrachtet, ist ein Kopftuchverbot nichts Anderes als eine frauendiskriminierende Vorschrift, die die subjektiven Einstellungen der betroffenen Frauen zu Religion, Geschlechterverhältnis und Lebensgestaltung missachtet. Die pauschale Annahme einer anti-emanzipatorischen Symbolwirkung des Kopftuchs ist demnach zu negieren. Die Geschichte der Kopftuchdebatte im Westen zeigt, dass sich das Kopftuch als zentrales „gegendertes Konzept“ kolonialer Diskurse erweist, das zur Differenzsetzung weißer Identitätskonstruktionen und zur Degradierung muslimischer Frauen dient. Es lässt sich konstatieren, dass im Mittelpunkt der Kopftuchdebatte Diskurse von „weißen Deutschen“ über das Kopftuch muslimischer Frauen stehen. Die Entmündigung der muslimischen Frau im Rahmen der Kopftuchdebatte impliziert das Überlegenheitsgefühl der Mehrheitsgesellschaft.
Unter dem Stichpunkt der Kopftuchdebatte bevormundet der deutsche Diskurs das Leben und den Körper der muslimischen Frau, als könne sie nicht selbst sprechen. Diese Entmündigung konstruiert das Bild der unterdrückten muslimischen Frau und suggeriert auf subtile Weise die Überlegenheit der Mehrheitsgesellschaft. Das heißt: In der immer wieder auftauchenden Kopftuchdebatte wird die muslimische Frau durch den „weißen Diskurs“ repräsentiert und entmündigt. Es zeigt sich, dass es sich um einen autoritären Diskurs handelt, der doktrinär Frauenkörper und Lebensgestaltung bespricht und die Subjekte des Diskurses entmündigt. Durch die diffamierende Darstellung, die die Muslimin mit Kopftuch als ein „unterdrücktes“ und „rückständiges“ Wesen charakterisiert, wird versucht, das „westliche“, „liberale“ und „emanzipierte“ Frauenbild als einzige legitime Norm zu etablieren.
In der unerschöpflichen Quelle der Kopftuchdebatte wird dieser Diskurs monologisiert, in dem die MuslimInnen, die Subjekte dieser Debatte, entmündigt und ignoriert werden. Diese Form von Indoktrination in Bezug auf den Körper und die Lebensgestaltung der muslimischen Frau untermauert das Dichotomiedenken, indem das „Wir“, die Mehrheitsgesellschaft, über „die Anderen“, „die MuslimInnen“ bestimmen möchte. Aktuell Meinung
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Bei einem Verbot für unter 14jährige kann man schlecht mit Frauenunterdrückung argumentieren, denn in Deutschland gilt man bis 14 vor dem Gesetz noch als Kind.
Ebenso könnte man bei einem Kopftuchgebot für unter 14jährige von zwanghafter Sexualisierung sprechen.
Desweiteren verbringt eine Schülerin mit 27 Wochenstunden gerade mal 15 % des Jahres in der Schule, genügend Zeit sich außerhalb zu kleiden wie sie will.