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Stephan Anpalagan, Alternative Fakten, MiGAZIN, Kolumne, AfD
Stephan Anpalagan schreibt im MiGAZIN die Kolumne "Alternative Fakten" © privat, bearb. MiG

Alternative Fakten

Liebe Afd, wir müssen reden. Über Fußball.

Wenn ich die AfD richtig verstanden habe, sind ausschließlich Spieler mit ausländischen Wurzeln für das frühe Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft verantwortlich. Darüber müssen wir reden, liebe AfD! Von Stephan Anpalagan

Von Freitag, 29.06.2018, 14:50 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 02.07.2018, 17:41 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Ich habe einmal nachgezählt: von 23 Fußball-Nationalspielern haben 8 einen Migrationshintergrund. Und wenn ich die AfD richtig verstanden habe, sind ausschließlich diese Spieler mit ausländischen Wurzeln für das frühe Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft verantwortlich – gemeinsam mit Jogi Löw, der aus wenig ersichtlichen Gründen in den letzten Tagen mit Angela Merkel zu „Jogi Merkel“ verschmolzen ist.

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Konkret sind diese Spieler dafür verantwortlich, dass
– die Nationalmannschaft nur noch DFB-Team (Die Mannschaft) heißt,
– das Trikot der Nationalmannschaft die Farben Deutschlands nicht mehr enthält,
– Erdoğan das deutsche Fußballspiel vollständig kontrolliert,
– die Nationalhymne nicht mehr gesungen wird.

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Die Sache mit der Nationalhymne ist zwar nicht neu, für die AfD aber besonders ärgerlich: Zum einen singt sie bei Parteiversammlungen schon mal in völligem Übereifer alle drei Strophen des Deutschlandliedes („Deutschland, Deutschland über alles…, Von der Maas bis an die Memel…“), zum anderen sind besonders die ihr angeschlossenen Gruppierungen äußerst sangestreu, wenn auch wenig text- und melodiesicher.

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Und wer sind nun diese 8 Verräter, die dem deutschen Volke den Fußball von hinten durch die Brust in’s Auge rammten?

Da wären:
Marc-André ter Stegen (Niederlande)
Mario Gomez (Spanien)
Leon Goretzka (Polen)
Sami Khedira (Tunesien)
Antonio Rüdiger (Sierra Leone)
Jérôme Boateng (Ghana)
Ilkay Gündoğan (Türkei)
Mesut Özil (Türkei)

Aber seien wir doch einmal ehrlich: ter Stegen, Gómez und Goretzka waren sicherlich nicht gemeint, als der AfD-Parteivorsitzende Gauland darüber sprach, dass „die Nationalmannschaft ist schon lange nicht mehr deutsch“ sei und der NPD – Die soziale Heimatpartei-Parteivorsitzende Udo Voigt 2006 ein Pamphlet drucken ließ, in dem geschrieben stand: „Weiß, nicht nur eine Trikotfarbe – für eine echte NATIONAL-Mannschaft„. Die Ähnlichkeiten zwischen AfD und NPD sind übrigens sicherlich nur rein zufälliger Natur (hier, hier, hier, hier, hier und hier) *zwinkersmiley*.

Und die anderen „nicht-weißen“ nationalen Fußball-Repräsentanten? Kein Mensch weiß, was Khedira, Rüdiger und Boateng verbrochen haben, aber Khedira ist der NPD nicht „erdverwachsen“ genug (was auch immer das bedeuten mag), Rüdiger wird trotz arischem Nachnamen mit Affengeräuschen diffamiert und seit Gauland wissen wir, dass niemand neben einem Boateng wohnen möchte. Da kann er noch so christlich sein und sich preisgekrönt sozial engagieren.

Nun aber zu Gündoğan und Özil. Was bisher geschah: Bei einem Besuch Erdogans in London hat dieser alle türkischstämmigen Spieler in England zu einem Treffen eingeladen. Gündoğan und Özil kamen dieser Bitte nach, ließen sich mit dem türkischen Präsidenten ablichten und überreichten ihm ein Trikot – auf dem Trikot von Gündoğan standen die Worte „Sayın Cumhurbaşkanım’a saygılarımla“ geschrieben. Das kann man nun mit „Hochachtungsvoll für meinen geschätzten Präsidenten“ übersetzen, sollte dabei aber berücksichtigen, dass das Possessivpronomen „mein“ weniger Zugehörigkeit als mehr Wertschätzung ausdrücken soll. Aber wen interessieren schon linguistische Feinheiten und Gesten der Höflichkeit. Für die AfD jedenfalls ist klar: Gündoğan und Özil sind höchstens „Passdeutsche“ bzw. „Formell-Deutsche“ und ein „Paradebeispiel für gescheiterte Integration„. Einer der Vorwürfe lautet, Gündoğan und Özil würden sich nicht die deutschen Werte zu eigen machen. Werte, die z.B. ein Sebastian Münzenmaier, MdB verkörpert, der nach einem Fußballspiel (ausgerechnet!) wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchten Raubes gerichtlich verurteilt wurde und nun die beiden Fußballer über den Bundespräsidenten belehrt und über „Passdeutsche“ elaboriert.

À propos Bundespräsident: Wenn AfD-Anhänger auf unseren Bundespräsidenten treffen, kann es schon mal passieren, dass sie diesen voller Inbrunst mit „Hau ab“- und „Volksverräter„-Rufen verjagen, ihn als „erbärmlich“, „arrogant“ und „hilflos“ bezeichnen und seinen Namen verächtlich machen. Und was gemeinsame Photos mit menschenverachtenden Despoten angeht, hat ausgerechnet die AfD eine gewisse Vorerfahrung aufzuweisen. Um diese hervorzuholen müsste sie nur ihr Syrien-Reisetagebuch hervorholen. Dort lässt sich deren Ehrerbietung gegenüber Diktatoren nämlich wunderbar illustrieren. Und von allem einmal abgesehen: als Lukas Podolski mit militärischem Gruß vor der türkischen Flagge salutierte und die Hashtags #heimat #volk #türkei hinzufügte, hatte die folgende Aufregung weder Einfluss auf seine sportliche Karriere, noch auf seinen Platz in der Nationalmannschaft.

Um einmal bei Poldi zu bleiben, erinnern Sie sich noch daran, dass Lukas Podolski und Miroslav Klose sowohl privat miteinander, als auch auf dem Platz, wie auch innerhalb der Familie nur polnisch miteinander sprachen? Bei Spielen gegen die polnische Nationalmannschaft auf jeglichen Torjubel verzichteten, aus Respekt vor ihrer (polnischen) „Heimat“? Und sich beizeiten darüber beschwerten, dass sie so wenig Zeit „zu Hause“ (in Polen) verbrachten und die Familienfeiern „leider zuletzt immer in Deutschland“ stattfänden? Und wissen Sie, wie man diese beiden Nationalspieler nannte? Genau: „Vorzeige-Deutsche„. Man stelle sich vor, Özil oder Gündoğan würden so über die Türkei sprechen, wie Podolski und Klose über Polen.

Aber weder Podolski, noch Klose waren gemeint, als sich strammrechte Parteivorsitzende eine „echte deutsche Nationalmannschaft“ herbeisehnten. Im Gegensatz zu Rüdiger und Boateng waren sie nicht dunkelhäutig und im Gegensatz zu Gündoğan und Özil waren sie nicht muslimisch. Es geht bei all diesen Dingen natürlich auch nie um sportliche Leistungen oder um fehlendes sportliches Engagement – zumal es ja auch vollkommen hirnrissig wäre, einen Fußballspieler, der entscheidend zu dem Titelgewinn im Jahre 2014 beigetragen hat, nun alleine für das Ausscheiden aus dem Turnier im Jahr 2018 verantwortlich zu machen.

Wie man derweil mit plumpem Rassismus in Gestalt sportlicher Kommentierung umgehen kann, hat die schwedische Nationalmannschaft eindrucksvoll bewiesen. Als der türkischstämmige Jimmy Durmaz nach einem spielerischen Fehler in den sozialen Netzwerken beschimpft und bedroht wurde, stellte sich die gesamte Mannschaft hinter ihn und stärkte ihm den Rücken, gleichzeitig erstattete der schwedische Fußballverband Anzeige bei der Polizei. Wie so etwas in Deutschland aussehen könnte, zeigt der nordrhein-westfälische Integrationsminister und stellvertretender Ministerpräsident Joachim Stamp. Er trug (selbst)bewusst das Trikot von İlkay Gündoğan und schrieb:

„Es gibt in Teilen unserer Gesellschaft immer noch ein grundsätzliches Ressentiment gegenüber einer Einwanderergeneration, deren Eltern hier in härtesten Jobs, unter Tage und am Fließband malocht haben und zum Aufbau unseres gemeinsamen Wohlstands beigetragen haben. Damals war Deutschland froh, notwendige Arbeitskräfte zu gewinnen. Aber viel zu lange wurde die Lebenslüge aufrecht erhalten, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Jahrzehnte hat sich niemand um Integration geschert. Darum ist es jetzt wohlfeil, die fehlende Sprachkompetenz der ersten Generation zu kritisieren. Umso bitterer ist es für viele in der dritten Generation, die hier geboren und aufgewachsen sind, die Sprache ihrer Großeltern kaum, dafür aber Deutsch sprechen und von Teilen ihrer Mitbürger im Alltag oft das Gefühl vermittelt bekommen, sie seien keine „richtigen Deutschen“. Das gilt nicht unbedingt für die Mehrheit in unserer Gesellschaft, aber eine fehlende Akzeptanz ist doch so tief verwurzelt, dass sie viele verletzt. Solche Verletzungen beschweren die Identifikation mit der deutschen Heimat wie mir viele junge Menschen aus Einwanderfamilien berichten. Darüber müssen wir sprechen.“

Ich stimme Herrn Stamp vollumfänglich zu. Wir müssen darüber sprechen. Aber nicht nur das. Auch handeln müssen wir.

Fangen wir also an. Aktuell Meinung

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