Offene Fragen
Einigung auf „Transitverfahren“ statt „Transitzentren“
Mit dem Ja der SPD zu den angestrebten Zurückweisungen soll der Streit in der Asylpolitik beigelegt sein. Die Umsetzung ist offen, weil sie von der Kooperation anderer Länder abhängt. Seehofer droht: Gelingt das nicht, geht der Streit von vorne los. Von Corinna Buschow
Montag, 09.07.2018, 5:17 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 09.07.2018, 17:43 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Nach wochenlangem Streit über die Asylpolitik gibt es einen Kompromiss, den auch die SPD mitträgt. Am Donnerstagabend einigten sich die Spitzen der großen Koalition in Berlin, nach welchem Modus künftig Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden. Die Opposition kritisierte den Beschluss. Bei der Umsetzung bleiben viele Fragen offen.
Im Einigungspapier ist nicht mehr von „Transitzentren“ die Rede, mit denen Flüchtlinge an der Einreise gehindert werden sollen. Der Begriff lautet nun „Transitverfahren“. In bestehenden Einrichtungen in Grenznähe oder im Transitbereich des Flughafens München sollen betreffende Menschen festgehalten und direkt in die zuständigen EU-Staaten zurückgebracht werden, heißt es im Kompromisspapier. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles betonte, dass Grundlage für jegliche Zurückweisungen Abkommen mit den betreffenden Ländern sind.
Sollten Länder sich solchen Abkommen verweigern, sollen Flüchtlinge auf Grundlage einer Vereinbarung mit Österreich direkt an der Grenze zurückgewiesen werden. Die Regierung in Wien lehnt das bislang ab. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) setzt deswegen nach Worten seiner Sprecherin zunächst auf Vereinbarungen mit Griechenland und Italien. Für ein Abkommen mit Österreich bestehe im Augenblick nicht der Bedarf, sagte Ministeriumssprecherin Eleonore Petermann am Freitag in Berlin.
Skepsis bei der SPD
SPD-Vertreter sind skeptisch, ob solche Abkommen überhaupt gelingen. Der stellvertretende Parteivorsitzende Ralf Stegner sagte am Freitag im ZDF-„Morgenmagazin“, er glaube nicht, dass es zu solchen Abkommen mit Ländern wie Italien, Österreich und Ungarn kommen werde. Außenminister Heiko Maas (SPD) erklärte mit Blick auf die rechtsnationale Ausrichtung der betreffenden Regierungen: „Ein Bündnis der Egoisten wird kein einziges internationales Problem lösen.“
Innenminister Seehofer, der die Verschärfungen im Asylrecht in seinem umstrittenen „Masterplan Migration“ gefordert und damit eine Koalitionskrise provoziert hatte, entgegnete mit einer Warnung im „Spiegel“: „Es wäre keine gute Strategie, darauf zu setzen, dass es keine bilateralen Vereinbarungen gibt.“ Dann müsse man darauf zurückgreifen, direkt an der Grenze zurückzuweisen, sagte er. „Die Sache ginge dann wieder von vorne los“, sagte Seehofer.
Pro Asyl: Deutschland wird zum Abschiebeland
Bei den Zurückweisungen geht es laut Innenministerium nur um wenige Fälle. Nach Angaben der Sprecherin rechnet man mit etwa fünf Menschen pro Tag, die für das „Transitverfahren“ infrage kommen. Zusätzlich vereinbarte die Koalition, beschleunigte Verfahren für die sogenannten Dublin-Fälle einzurichten, wenn diese Migranten bereits in Deutschland sind. Die Verfahren sollen in den geplanten Ankerzentren zügig bearbeitet werden. Dabei wird geprüft, welcher EU-Staat für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig ist. Das passiert zwar schon heute. Überstellungen in die Länder finden aber den Angaben der Regierung zufolge nur in 15 Prozent der Fälle statt.
Pro Asyl kritisierte die Beschlüsse. „Deutschland wird vom Aufnahmeland zum Abschiebeland in EU-Grenzstaaten umgebaut“, erklärte die Hilfsorganisation. Es sei absehbar, dass Staaten wie Griechenland nicht in der Lage seien, die dort registrierten Asylsuchenden wieder aufzunehmen, ein faires Asylverfahren zu gewährleisten und die anerkannten Flüchtlinge zu integrieren.
Kritik von der Opposition
Auch der Linken-Politiker Jan Korte kritisierte, die SPD trage mit dem Beschluss zusätzliche Asylverschärfungen mit. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Filiz Polat bezeichnete die Einigung als „endgültigen Abgesang auf die humanitäre Verantwortung Deutschlands“. Der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel gehen die Maßnahmen nicht weit genug. Die „Transitverfahren“ seien eine „Groteske“, weil sie nur an drei Grenzübergängen stattfinden könnten, erklärte sie.
Kritik an dem Regierungskurs kam aus der evangelischen Kirche. „Ich sehe nicht, dass die jetzt im Koalitionsausschuss getroffenen Vereinbarungen ein substanzieller Beitrag zu einem humanitären Umgang mit dem Weltproblem Flucht sind“, sagte der Vorsitzende der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Rekowski, dem „Evangelischen Pressedienst“. Die Konzentration der politischen Diskussion auf den Umgang mit der „Sekundärmigration“ innerhalb der EU habe zur Folge, „dass die existenzielle Not der Geflüchteten aus dem Auge verloren zu gehen droht“, warnte der rheinische Präses. (epd/mig) Aktuell Politik
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