Vor 80 Jahren
Nationalsozialisten entziehen jüdischen Ärzten die Approbation
Vor 80 Jahren erließen die Nationalsozialisten ein Berufsverbot für jüdische Ärzte - ein vorläufiger Endpunkt vieler Benachteiligungen und Diskriminierungen. Drei Ärzte, drei persönliche Schicksale. Von Elisa Makowski
Von Elisa Makowski Mittwoch, 25.07.2018, 16:05 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 28.07.2018, 19:56 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Der Morgen nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 war wohl besonders hektisch: Unablässig werden Patienten in das Jüdische Krankenhaus Breslau eingeliefert. In diese Hektik platzt die Razzia der Gestapo. „Wahrscheinlich nicht ganz überraschend“, ist sich Wolfgang Schmitt, pensionierter Radiologe aus Würzburg, sicher. Er erforscht die Diskriminierung jüdischer Ärzte in Breslau. Alle Ärzte des Krankenhauses hätten vor der Gestapo antreten müssen, beschreibt er die Szene weiter. Unter ihnen sei auch der Leiter der Strahlentherapie gewesen, Carl Fried.
Mit einer roten, verdunkelten Brille erschien er vor den „hohen Herren“, so habe Frieds Kollege Siegmund Hadda später die Szene beschrieben, sagt Schmitt. Nicht etwa aus „Respektlosigkeit“, wie die Gestapo Fried unterstellte, sondern um die Augen für die folgenden Röntgen-Untersuchungen empfindlich zu halten. Er wollte sie vor Tageslicht schützen.
Es war der 10. November 1938 – gut drei Monate nachdem die Nationalsozialisten jüdischen Ärzten die Approbationen entzogen hatten. Am 25. Juli war das diskriminierende Gesetz erlassen worden; am 30. September 1938 trat es in Kraft.
Hinter dem Berufsverbot habe der nationalsozialistische Wahn gestanden, dass die deutsche Ärzteschaft „verjudet“ sei, wie es im NS-Jargon hieß, sagt Rebecca Schwoch, Historikerin am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. 1933 hätten von insgesamt circa 51.000 Ärzten im Deutschen Reich circa 9.000 als jüdisch gegolten.
Offiziell keine jüdischen Ärzte mehr
Die Nationalsozialisten hätten bei der Diskriminierung und Vertreibung der jüdischen Ärzte vor einer für sie großen Herausforderung gestanden: Der Großteil der deutschen Kassenärzte waren Juden. Wenn man jenen auf einen Schlag verboten hätte, ihren Beruf auszuüben – wer sollte die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung gewährleisten?
Info: Schmitt, Eva/Schmitt-Buxbaum, Wolfgang: Carl Simon Fried. Hentrich & Hentrich Berlin, geplante Veröffentlichtung Herbst 2018 Rebecca Schwoch: Jüdische Ärzte als Krankenbehandler in Berlin zwischen 1938 und 1945, Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main, 2018. 64,95 Euro
Immer wieder hätten die Nazis Ausnahmen hinzufügen müssen, damit sie das Gesundheitssystem nicht gefährdeten, beschreibt Schwoch das perfide System. „Von 1933 bis 1938 wechselten sich deshalb Verfolgung und strategische Ausbeutung der jüdischen Ärzte durch die Nationalsozialisten ab.“ Vom 1. Oktober 1938 an habe es schließlich offiziell keine jüdischen Ärzte mehr gegeben. Fortan waren sie nur noch auf Antrag als sogenannte Krankenbehandler für jüdische Patienten zugelassen.
Die Jüdischen Krankenhäuser – wie zum Beispiel in Breslau, Berlin und Hamburg – habe man im Vergleich noch ein wenig in Ruhe gelassen, erklärt die Historikerin. „Das waren altehrwürdige Häuser mit sehr gutem Ruf und größtenteils nicht-jüdischen Patienten.“
Ausreise aus Gnade
Nach der Razzia am 10. November 1938 sei aber auch das Jüdische Krankenhaus in Breslau nach und nach aufgelöst worden, sagt Schmitt. Für die drei jüdischen Ärzte Carl Fried, Siegmund Hadda und Ludwig Guttmann war der Tag eine tiefe Zäsur in ihrem Berufsleben.
Frieds Auszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg hätten ihm nichts genutzt, sagt Schmitt. Auch nicht, dass er sich große fachliche Anerkennung erworben hatte, weil er die Wirkungen von Röntgenstrahlen in kleinen Dosen auf Entzündungen erforschte.
Die Gestapo habe ihn verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht, wo er bis Ende 1938 inhaftiert war. Die „Gnade“, ausreisen zu dürfen, sei ihm im April 1939 gewährt worden. Zusammen mit seiner Frau Trude und den beiden Söhnen Rainer und Robert gelangte er vorerst nach New York.
Examen nicht anerkannt
Doch die Möglichkeiten, seine Familie zu ernähren, seien dort schlecht gewesen. Deshalb habe die Familie weiter nach Brasilien ziehen müssen. Dort habe er zwar bald das Buch „Fundamentos de Radium e Roentgentherapia“ (Grundlagen der Radium- und Röntgentherapie) geschrieben. „Doch an seine alten wissenschaftlichen Erfolge konnte er nicht anknüpfen. Sein deutsches Examen wurde in Brasilien nicht anerkannt – er durfte nicht einmal ein Rezept unterschreiben“, sagte Schmitt, der im Herbst ein Buch über Frieds Geschichte und Wirken veröffentlicht.
Auch Frieds Kollege Ludwig Guttmann, zu der Zeit ärztlicher Leiter des Krankenhauses, habe Anfang 1939 die Flucht nach Großbritannien geschafft. Dort habe er neue Behandlungsmethoden bei Querschnittslähmung entwickelt. Auftraggeber sei zu Beginn die britische Luftwaffe gewesen, da schwere Verletzungen bei Piloten nach Bruchlandungen ein großes Problem darstellten. Guttmann hat 1948 die Paralympics gegründet, wurde später geadelt und in vielen Ländern geehrt.
„Anders als Fried und Guttmann erging es Siegmund Hadda“, sagt Schmitt. Der Chefarzt habe schon früh beängstigende Dinge erlebt. Ein jüdischer Freund seines Sohnes wurde ermordet, der Täter nach kurzer Zeit begnadigt und aus der Haft entlassen. Seine Tochter Lotte wurde zum Verlassen des Gymnasiums gedrängt.
Flucht und Suizid
Nach der Razzia habe Hadda bis 1943 im Jüdischen Krankenhaus in Breslau ausgeharrt und Kranke versorgt. Mit den letzten 18 Juden aus Breslau sei das Ehepaar Siegmund und Hertha 1943 ins Ghetto Theresienstadt deportiert worden und von dort in einer geheimen Rettungsaktion im Februar 1945 in die Schweiz gelangt.
Exakte, unumstößliche Zahlen, wie viele jüdische Ärzte von den Nationalsozialisten ermordet wurden, werde es nie geben, sagt die Historikerin Schwoch. „Diejenigen, die 1945 nicht mehr da waren, sind emigriert, haben Suizid begangen oder wurden deportiert, von denen haben einige wenige überlebt.“ Ganz wenige seien untergetaucht.
Siegmund Hadda habe später noch viele Jahre als Chirurg in New York gearbeitet, sagt Schmitt. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Fried habe er Deutschland nie wieder besucht: „Ich würde in jedem Mann mittleren und höheren Alters den Mörder meiner Lieben vermuten.“ (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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