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Auf keinem Auge blind

Die Gesellschaft für bedrohte Völker besteht seit 50 Jahren

Der Student Tilmann Zülch setzte sich 1968 das Ziel, weltweit die Rechte von Minderheiten zu schützen. Er gründete die Gesellschaft für bedrohte Völker, die auch manche Kritik einstecken musste. Von Reimar Paul

Von Reimar Paul Montag, 30.07.2018, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 31.07.2018, 12:28 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

In Ostnigeria, das sich als Republik Biafra für unabhängig erklärt hat, tobt 1968 ein blutiger Bürgerkrieg. Hunderttausende Menschen sterben durch Bomben, an Hunger und Krankheiten. Die Weltöffentlichkeit wird durch Fernsehbilder von Kindern mit aufgeblähten Bäuchen aufgeschreckt. Weil Großbritannien das nigerianische Militär mit Waffen beliefert, besetzen Ende Juni 1968 Mitglieder des Komitees „Aktion Biafra Hilfe“ das britische Generalkonsulat in Hamburg.

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Mit dabei ist Tilman Zülch, Student der Volkswirtschaft und Politik. Die Besetzung habe den britischen Botschafter mehr geschockt „als das Sterben im Hungerkessel von Biafra“, erinnert sich der heute 78-Jährige an die damalige Aktion. Zülch baut das Biafra-Komitee in der Folgezeit zur Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) aus: Einer Organisation mit dem Anspruch, weltweit Menschenrechte von ethnischen und religiösen Minderheiten zu schützen und durchzusetzen.

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Vollzeit-Aktivist

Download: Den Jahresbericht der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ für das Jahr 2016 können Sie hier kostenfrei herunterladen.

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Unterstützt von einer Handvoll ehrenamtlicher Helfer, bleibt Zülch zehn Jahre lang der einzige Vollzeit-Aktivist. Mit wenig Geld prangert er in Flugblättern Gräueltaten in Afrika und Asien an. Heute werden professionell Kampagnen organisiert. In der Göttinger Geschäftsstelle sind rund zwei Dutzend Frauen und Männer beschäftigt. Rund 6.000 Förderer und Mitglieder unterstützen die Gesellschaft durch Beiträge und Spenden. 2016 betrugen die Gesamteinnahmen knapp 1,3 Millionen Euro. Es gibt Regionalgruppen in 15 deutschen Städten und Sektionen in Österreich, der Schweiz, in Italien, Bosnien-Herzegowina und dem irakischen Kurdengebiet.

Mit spektakulären Aktionen schaffen es die Menschenrechtler mit Generalsekretär Zülch an der Spitze immer wieder in die Schlagzeilen. 1988 decken sie die Mitverantwortung deutscher Firmen beim Giftgaseinsatz gegen Kurden im Irak auf. 1992, im sogenannten Kolumbus-Jahr, überqueren zwei Aktivisten den Atlantik mit einem Bambusfloß, um den südamerikanischen Indianern eine Versöhnungsbotschaft zu überbringen.

Kritik

Und 1995, vor der Hinrichtung des nigerianischen Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa im Ölfördergebiet, demonstriert die GfbV vor der Shell-Zentrale in Hamburg mit Galgen-Attrappen. Unter dem Motto „Auf keinem Auge blind“ setzt sich die Menschenrechtsorganisation für Völkermordopfer im Sudan und muslimische Uiguren in China, für bedrängte Christen in Pakistan und für Kurden in der Türkei ein.

Immer wieder muss die GfbV auch Kritik einstecken. Als sie Indianer aus Nicaragua nach Europa einlädt, die gemeinsam mit „Contras“ die sandinistische Befreiungsfront FSLN bekämpfen, protestieren Dritte-Welt-Gruppen. Im Jugoslawien-Krieg werfen Friedensinitiativen der Gesellschaft ein einseitiges und polarisierendes Engagement vor – frühzeitig habe sie die Serben als Alleinschuldige gebrandmarkt und Militärschläge der Nato zugunsten der bosnischen Muslime und Kosovo-Albaner gefordert.

Zahlreice Preise

Zülch erhielt für sein Engagement zahlreiche Preise, darunter den Göttinger Friedenspreis, den Europäischen Bürgerrechtspreis der Sinti und Roma und das Bundesverdienstkreuz. Intern beklagten Mitarbeiter und ehrenamtliche Vorstandsmitglieder gelegentlich ein autoritäres Regiment des Generalsekretärs. 2012 eskalierte ein Streit um angeblich nicht belegte Zuweisungen und zu unrecht bezogene Gehälter in Strafanzeigen und dem Ausschluss von zwei Vorständen.

Im Frühjahr 2017 gab Zülch die Leitung an den Afrika- und Asienexperten der GfbV, Ulrich Delius, ab. Wie aktuell und notwendig Menschenrechtsarbeit auch heute sei, zeigt für Delius die Vertreibung von 700.000 Rohingya aus Myanmar. Offiziell feiern will die Gesellschaft für bedrohte Völker ihr 50-jähriges Bestehen Anfang Oktober in Göttingen. (epd/mig) Aktuell Panorama

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  1. keisner sagt:

    Mit Ausnahme der oben zitierten Beispiele Nicaragua und Jugoslawienkrieg ist die Arbeit der GfbV ganz überwiegend unverzichtbar und verdient unsere Hochachtung. Ich habe immer wieder einzelne Kampagnen unterstützt, zuletzt die antirassistische Aktivität zugunsten der Sinti und Roma.
    Es ist kein Zufall, daß sich gerade heuer für medico int.und die GfbV das 50-jähr.Jubiläum ereignet: Nicht zuletzt sind diese großen Menschenrechts-NGOs aus der 68er-Bewegung hervorgegangen. Die internationale Solidarität ist und bleibt ihr Markenzeichen.
    Glückwunsch!