Merkel kontert
Seehofer: Migrationsfrage „Mutter aller politischen Probleme“
Die parlamentarische Sommerpause ist zu Ende, die CSU meldet sich mit einem Paukenschlag zum Reizthema Migration im Politikbetrieb zurück: Die Migrationspolitik sei "Mutter aller politischen Probleme", sagt Parteichef Seehofer. Merkel kontert: "Ich sage das anders."
Freitag, 07.09.2018, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 12.09.2018, 15:46 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
CSU-Politiker haben den Streit um Ursache und Deutung der ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz weiter angeheizt. Mit einem Interview für die Düsseldorfer „Rheinische Post“ sorgte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) für Empörung. Die Migrationsfrage sei „die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land“, sagte er unter anderem und beklagte, dass sich eine Partei „rechts der Union“ etablieren könnte, ohne konkret die AfD zu nennen. Widerspruch kam von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), scharfe Kritik von der Opposition, die Seehofers Aussagen als Verkehrung von Tätern und Opfern wertete.
CSU-Chef Seehofer erläuterte im Interview: „Viele Menschen verbinden jetzt ihre sozialen Sorgen mit der Migrationsfrage.“ CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte bei einer Klausur der CSU-Parlamentarier im brandenburgischen Schloss Neuhardenberg, die „Migrationsthematik“ habe die politische Lage nachhaltig verändert „und das nicht zum Positiven“.
CSU zeigt Verständnis für Chemnitz-Demos
Gleichzeitig äußerten die CSU-Politiker Verständnis für Menschen, die in Chemnitz nach dem gewaltsamen Tod eines Mannes protestiert hatten. Es sei gutes demokratisches Recht, gegen Missstände friedlich Flagge zu zeigen, sagte Dobrindt. „Ich wäre, wenn ich nicht Minister wäre, als Staatsbürger auch auf die Straße gegangen – natürlich nicht gemeinsam mit Radikalen“, sagte Seehofer. Die Demonstrationen in Reaktion auf das Tötungsdelikt, für das drei Asylbewerber dringend tatverdächtig sind, waren geprägt von rechtsextremen Gruppen. Videos zeigen jagdartige Szenen auf Migranten und ein Zeigen des Hitlergrußes aus der Menge der Demonstranten.
Die Deutung der Ereignisse hat für eine politische Debatte auch in Berlin gesorgt. Nachdem Bundeskanzlerin Merkel über ihren Sprecher früh eine „Hetzjagd“ verurteilt hatte, sagte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Mittwoch, es habe keine Hetzjagd gegeben.
Merkel: „Ich sage das anders.“
Auf Seehofers Interview-Aussagen entgegnete Merkel im Fernsehsender RTL: „Ich sage das anders.“ Die Migrationsfrage stelle das Land vor Herausforderungen. Dabei gebe es „auch Probleme, dabei gibt es auch Erfolge“. SPD-Chefin Andrea Nahles erklärte, Seehofer meine in Wahrheit die Kanzlerin mit seiner Kritik und warnte vor einem Wiederaufflammen des unionsinternen Asylstreits. „Das muss aufhören“, sagte sie. „Die Mutter aller Lösungen ist der soziale Zusammenhalt aller Menschen in unserem Land“, erklärte Nahles.
Scharfen Widerspruch bekam Seehofer aus der Linkspartei: „Kein Flüchtling ist für miserable Arbeitsbedingungen, Leiharbeit und Befristungen verantwortlich, für runtergesparte Kommunen, Perspektivlosigkeit, unsichere Lebensplanungen oder marode Schulen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Jan Korte. Die Innenpolitikerin Ulla Jelpke sagte, es sei ein „rechter Mythos“, dass Migration ursächlich für Rassismus sei.
Grüne: Seehofer redet Chemnitz klein
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock warf Seehofer vor, die Ereignisse in Chemnitz kleinzureden. Es gehe um die Verteidigung der offenen Gesellschaft. Ein Großteil der Bevölkerung habe das erkannt, „nur der Innenminister verweigert ihnen die Unterstützung“, sagte sie.
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie forderte, „für das plurale Miteinander politische Konzepte zu entwickeln, statt die Migration als ‚Mutter aller politischen Probleme‘ zu beklagen“. Mit seiner Äußerung zur Migration stoße der CSU-Chef Millionen von Zugewanderten vor den Kopf. Der Vorsitzende der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Rekowski, warnte davor, Einwanderer zu Sündenböcken zu machen. Es wäre „wohl selbstkritisch zu fragen, ob nicht eine unzureichende und bisweilen ungerechte Gesellschafts- und Sozialpolitik Kern der politischen Probleme ist“, sagte der rheinische Präses. (epd/mig) Leitartikel Politik
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