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Nach rechts verschoben

Unwort des Jahres 2018 ist „Anti-Abschiebe-Industrie“

Alexander Dobrindts (CSU) „Anti-Abschiebe-Industrie“ wurde zum Unwort des Jahres 2018 gewählt. Der Begriff zeige, wie sich der politische Diskurs nach rechts verschoben habe. Weitere Unwörter sind „Menschenrechtsfundamentalismus“ und „Ankerzentrum“.

Mittwoch, 16.01.2019, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 20.01.2019, 17:04 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Das Unwort des Jahres 2018 lautet „Anti-Abschiebe-Industrie“. Der Ausdruck unterstelle denjenigen, die abgelehnte Asylbewerber rechtlich unterstützen und Abschiebungen auf dem Rechtsweg prüfen, die Absicht, auch kriminell gewordene Flüchtlinge schützen und damit in großem Maßstab Geld verdienen zu wollen, sagte die Jury-Sprecherin Nina Janich am Dienstag in Darmstadt. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, hatte im vergangenen Mai gesagt, eine „aggressive Anti-Abschiebe-Industrie“ gefährde die öffentliche Sicherheit.

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Dobrindt habe den Ausdruck „als offensichtlichen Kampfbegriff in die politische Diskussion eingeführt“, sagte Janich. Der Ausdruck „Industrie“ suggeriere, „es würden dadurch überhaupt erst Asylberechtigte produziert“. Die Jury stimme dem Einsender zu, der angab, mit dem Begriff werde „das geltende Gesetz verhöhnt“. Die Tatsache, dass ein wichtiger Politiker einer Regierungspartei diesen Ausdruck prominent platziert habe, zeige, wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben habe. Damit veränderten sich auch „die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie in bedenklicher Weise“. Der Begriff wurde zehnmal eingesandt.

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Rechtsanwältin kritisiert Politik

Zuletzt hatte die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız diesen Begriff kritisiert. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ vor Verkündung des Unwortes hatte sie gesagt, dass populistische Äußerungen von Politikern mit dazu beigetragen haben, dass das Klima gegen Rechtsanwälte aufgeheizt wurde.

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Başay-Yıldız hat im NSU-Prozess die Familie eines Mordopfers vertreten. Sie verteidigt auch Asylbewerber. Unbekannte drohen ihr, ihrer kleinen Tochter den „Kopf abzureißen“. Die Drohbriefe sind mit „NSU 2.0“ unterzeichnet. Private Daten hatten sich die Täter zuvor aus einem Polizeicomputer besorgt. Fünf Frankfurter Polizisten waren daraufhin suspendiert worden.

Menschenrechtsfundamentalismus & Ankerzentrum

Ferner kritisierte die Jury den Ausdruck „Menschenrechtsfundamentalismus“ als zynisch. Der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer (Grüne), habe ihn anlässlich einer Debatte um die Seenotrettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer gebraucht. Der Ausdruck zeige in erschreckender Weise, dass man inzwischen diskutieren könne, ob ertrinkende Menschen gerettet werden sollen oder nicht. Der Begriff wurde zweimal eingesandt.

Außerdem bezeichnete die Jury den Begriff „Ankerzentrum“ als Unwort. Der Begriff aus dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD im Bund bezeichne Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge, die dort eine „Bleibeverpflichtung“ haben, bis sie auf Kommunen verteilt werden oder das Land verlassen haben. Der Ausdruck, der eigentlich eine Abkürzung für „Ankunft, Entscheidung, Rückführung beziehungsweise Verteilung“ ist, verschleiere in unangemessen schönfärberischer Weise die komplizierten Prüfverfahren und die strikte Aufenthaltspflicht. Der Begriff wurde 13 mal eingesandt.

902 Einsendungen

Die unabhängige Jury aus vier Sprachwissenschaftlern, einem Journalisten und einem Autor hat nach eigenen Angaben 902 Einsendungen mit 508 verschiedenen Vorschlägen erhalten. Knapp 70 davon hätten den Unwort-Kriterien entsprochen. Die häufigsten Zuschriften an die Jury, die allerdings nicht alle deren Kriterien entsprachen, waren „Asyltourismus“ (122 mal), „Vogelschiss/Fliegenschiss“ (22 mal), DSGVO/Datenschutzgrundverordnung (22 mal) und Hetzjagd (17 mal). Im Vorjahr waren 1.316 Einsendungen mit 684 Vorschlägen eingegangen.

Das „Unwort des Jahres“ wird seit 1991 von einer unabhängigen sprachkritischen Initiative gekürt. „Unwörter“ waren zuletzt „alternative Fakten“ (2017) „Volksverräter“ (2016), „Gutmensch“ (2015), „Lügenpresse“ (2014) und „Sozialtourismus“ (2013″). Die Aktion will den Blick auf Wörter und Formulierungen lenken, „die gegen sachliche Angemessenheit oder Humanität verstoßen“ und dadurch die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern.

Die sprachkritische Aktion wurde 1991 von dem Frankfurter Germanistikprofessor Horst Dieter Schlosser initiiert. Seit 2011 ist Nina Janich (Technische Universität Darmstadt) Jury-Sprecherin. Weitere Mitglieder sind die Sprachwissenschaftler Jürgen Schiewe (Universität Greifswald), Kersten Sven Roth (Universität Düsseldorf), Martin Wengeler (Universität Trier) sowie der freie Publizist Stephan Hebel. In diesem Jahr gehört dem Gremium auch der Autor und Kabarettist Jess Jochimsen an. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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  1. Heiko Maier sagt:

    Noch ein sehr peinliches Wort fehlt: „Asyltouristen“.

    Aber viele Menschen in Deutschland kämpfen gegen jegliche und auch verbale Ungerechtigkeit und auch mit Worten, wie folgendes Gedicht das deutlich macht.

    Asyltouristen“ in Deutschland (Afl. 2, erweiterte Variante), Autor: Stefan Mustermann.

    Wer sind diese „Asyltouristen“?

    Anscheinend keine Masochisten.
    Sie wollen leben und nicht sterben!
    Sie wollen einfach überleben!

    Bald wird der Hass zu Ende gehen,
    und Grundgesetz für alle immer gelten!

    http://www.taz.de/!5518633/