Nebenan
Vom Völkermorden
Am letzten Sonntag war internationaler Tag zum Gedenken an den Holocaust. Laut AfD „die verdammten 12 Jahre“ des tausendjährigen Reiches. Naja, und da war auch noch der Völkermord im heutigen Namibia.
Von Sven Bensmann Dienstag, 29.01.2019, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 30.01.2019, 17:31 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Am letzten Sonntag war internationaler Tag zum Gedenken an den Holocaust. Nehmen wir uns also die Zeit, die von den Rechtsauslegern der AfD bejammerte Verengung der deutschen Geschichte auf „die verdammten 12 Jahre“ des tausendjährigen Reiches zu überwinden. Da ich hier allerdings nicht den Raum habe, 500 Jahre institutionalisierten Antisemitismus seit Martin Luther und dem vorangegangene 1500 Jahre völkischen Antisemitismus in der westlichen Welt insgesamt aufzuarbeiten, schauen wir doch lieber nach „Deutsch-Südwest“.
Bevor sich der Eindruck festsetzt, ich wolle über Boris Palmer, diesen grünbraunen Aushilfs-Dorfsheriff von Tübingen, reden, will ich aber schnell ein Zitat von Kurt Tucholsky anfügen: „Den Mann gibt es gar nicht; er ist nur der Lärm, den er verursacht.“ – wen meinte der damals noch gleich?
Nunja. Noch bevor Deutschland zu dem Land wurde, das zwei Weltkriege begann – aber nicht allzu lange davor – war es das Land, das den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts organisierte. Erinnern wir uns: Im heutigen Namibia hatte es sich der Kaiser zum Ziel gemacht, einen Teil Afrikas zu zivilisieren, indem Schwarze durch Weiße (bevorzugt Deutsche) ersetzt würden, was den Schwarzen ein Lebensrecht allenfalls als Sklaven, als Sachen, einräumte: Wenn der Begriff „Umvolkung“ je eine Berechtigung gehabt hat, dann kulminierend im Vernichtungsbefehl des Lothar von Trotha.
Bis zur letzten Patrone
Seitdem haben sich die Zeiten kaum geändert. Was bei Trotha noch heißt: „ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihren Volke zurück oder lasse auf sie schießen“, heißt in der AfD moderner „Die Verteidigung der deutschen Grenze mit Waffengewalt ist […] eine Selbstverständlichkeit“, was ausdrücklich „auch für Kinder“ gelte. Und Horst Seehofer, ganz Innenminister aller Deitschen, will das gleich „bis zur letzten Patrone“ tun.
Folgerichtig hatte Trotha damals innerhalb kürzester Zeit 40.000 bis 60.000 Herero und 10.000 Nama vernichtet, im zynischen Duktus der heutigen Rechtspopulisten: „Wir können eben nicht alle aufnehmen, die Wüste schon.“ Bei der Flucht vor den Folgen unserer Wirtschafts-, Umwelt- und „Entwicklungspolitik“ starben Schätzungen zufolge wiederum allein auf dem Weg nach Europa seit 2000 rund 23.000 Menschen. Man darf davon ausgehen, dass diese Zahl unserem Gewissen zuliebe geschönt ist und damit eigentlich eher in den Regionen jenes Trothalen Krieges liegt.
Bitte hochrechnen
Wer bereits weiß, dass nur 13% aller Migration nicht in die unmittelbaren Nachbarländer führt, darf jedenfalls gern hochrechnen – auch da natürlich, wo behauptet wird, offene Grenzen würden dafür sorgen, dass restlos alle Menschen dieser Welt nach Deutschland kämen. Zu seinen Nachbarländern hat Deutschland ja schließlich immerhin schon offene Grenzen – und wenn wir an Holländer denken, ist das beherrschende Bild trotzdem immer noch das des Wohnwagens, der eine schnelle Rückkehr erlaubt.
Was andererseits niemand dieser mehr aus dem Land herauslassen will, sind die geraubten Kulturschätze der Herero und Nama, ebenso deren sterbliche Überreste. In deutschen Museen zwischengelagert, sind sich die Nachfahren der Völkermörder sicher: Die Leichen, die geraubten und gefledderten Artefakte, die gehören nämlich jetzt Deutschland. Die Afrikaner, die wüssten ja im Grunde auch gar nicht, was sie mit ihren Toten und deren Hab und Gut anstellen sollten. Dafür braucht es schon Weiße, Europäer. Afrikanisches Kulturgut jedenfalls, das kann in Berlin so viel besser gepflegt werden, als in Namibia: Gerade deshalb hat der Deutsche ja auch diese Urangst vor der Überfremdung. Aktuell Meinung
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„In Sachen kolonialer Gedenkkultur steht Deutschland zumindest noch ganz am Anfang. Als im vergangenen Jahr Ruprecht Polenz, der deutsche Verhandlungsführer bei den Gesprächen um den Völkermord an den Herero und Nama, mit seinem offiziellen Verhandlungspartner Zed Ngavirue aus Namibia Gedenkorte in Berlin aufsuchen wollte, blieb ihm in der deutschen Hauptstadt nur der sogenannte Herero-Stein auf dem Neuen Garnisonsfriedhof. Neben einem großen Granitfindling, der die Heldentaten der deutschen Schutztruppe bei der Niederschlagung des Herero-Aufstandes ehrt, ist dort eine kleine Steintafel in den Boden eingelassen, die an die Zigtausenden ermordeten Männer, Frauen und Kinder erinnert. Ein peinlicher Moment für den CDU-Politiker.“
Zitiert aus: „Zaghafte Aufarbeitung nach langer Amnesie“:
https://www.deutschlandfunk.de/deutschlands-koloniale-vergangenheit-zaghafte-aufarbeitung.724.de.html?dram:article_id=419643