Die Flüchtlingsbürgin
Hilfsbereitschaft hat für Wolfsburgerin ungeahnte Folgen
Im Jahr 2014 bürgt Uta Heine dafür, eine syrische Familie nach Deutschland zu holen. Jahre später erhält sie Post vom Jobcenter. Die Wolfsburgerin soll mehr als 38.500 Euro zahlen. Eine Zeit der Ungewissheit beginnt.
Von Charlotte Morgenthal Mittwoch, 13.02.2019, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 18.02.2019, 16:43 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Als Tausende Menschen im Jahr 2014 vor der Terrormiliz ISIS im Nordirak fliehen, verfolgt die evangelische Pastorin Uta Heine im mehr als 4.000 Kilometer entfernten Wolfsburg die Bilder betroffen am Fernseher. „Ich war fix und fertig“, erinnert sich die 57-Jährige. Angesichts des Flüchtlingsdramas wird ihr klar, dass sie etwas tun möchte.
Heine übernimmt, wie viele Menschen bundesweit, eine sogenannte Verpflichtungsgeberschaft. Sie bürgt dafür, dass eine siebenköpfige syrische Familie auf legalem Weg nach Deutschland reisen kann. Damals ahnt die alleinerziehende Mutter noch nicht, was ihr bevorsteht.
Etwa drei Jahre später flattern der Pastorin Briefe vom Jobcenter ins Haus. Sie soll rund 38.500 Euro an Sozialleistungen zurückzahlen. „Ich war fassungslos“, sagt Heine. Die syrische Familie hatte nur wenige Monate nach ihrer Ankunft den Flüchtlingsstatus erhalten. Wie vielen anderen war auch Heine gesagt worden, dass ihre finanzielle Verantwortung damit erlischt. Doch der Bund legte rückwirkend längere Fristen fest.
Forderungen von 21 Millionen Euro
Für Heine beginnt eine anstrengende Zeit der Ungewissheit. Unklar bleibt, für wie viele Jahre sie für die Familie bürgen wird. „Mein Verhältnis zu diesem Land, zur Politik und zur Rechtsprechung hat sich in den vergangenen zwei Jahren deutlich verändert“, sagt die Pastorin, während sie von ihrem Amtszimmer auf den Wolfsburger Schlosspark blickt. In einer Ecke des Raums erinnert noch ein Samowar an die Zeiten, als die Gemeinde zu Zeiten der Flüchtlingswelle regelmäßig Menschen zum Tee und zur Begegnung einlud.
Bundesweit verschickten die Jobcenter Forderungen von insgesamt 21 Millionen Euro. In Niedersachsen stehen Rückzahlungen von 7,2 Millionen Euro im Raum. „Ein gewisses Risiko war mir bewusst, aber mit Bescheiden in dieser Höhe habe ich nicht gerechnet“, sagt Heine schließlich mit fester Stimme. „Wenn Juristen Entscheidungen überdenken oder nach einiger Zeit zu anderen Urteilen kommen, kann dies nicht zulasten der Bürger fallen, die man vorher anders informiert hat.“
Politische Lösung
Heine sucht gemeinsam mit einer Kirchengemeinde, die ebenfalls eine Bürgschaft übernommen hat, zunächst nach einer politischen Lösung. Die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen setzt sich an verschiedenen Stellen dafür ein. Gespräche der Innenminister mit dem Bund bringen vorerst keine Ergebnisse. Schließlich sucht Heine sich einen Anwalt. Die E-Mails und Briefe, die sie ihm übergibt, füllen mehrere Ordner. Allein in Niedersachsen haben mehr als 480 Bürgen gegen die Kostenbescheide geklagt.
Ende Januar scheinen Bund und Länder schließlich einen erlösenden Kompromiss gefunden zu haben. Die Bürgen müssten keine Rückzahlungen befürchten, heißt es aus Berlin. Heine will sich nicht zu früh freuen. „So richtig erleichtert bin ich erst dann, wenn ich es schwarz auf weiß habe“, sagt sie mit einem leichten Lächeln. Auch der niedersächsische Flüchtlingsrat sieht bei der Einigung noch viele Detailfragen offen.
Verantwortung endet nicht an der Haustür
Vom niedersächsischen Innenministerium in Hannover heißt es derzeit, dass es „nur noch in wenigen Fällen“ zu einer Erstattungspflicht kommen kann. Ob die Bürgen auch für die Anwalts- und Gerichtskosten aufkommen müssen, entschieden die Verwaltungsgerichte. Die Wolfsburger Pastorin hätte gerne auch dieses Geld lieber ihrer syrischen Familie gespendet. Während sich die fünf Kinder in Kindergarten und Schule gut integrieren, fällt es den Eltern noch schwer, in Deutschland Fuß zu fassen.
Dass nun manche kritisieren, dass der Steuerzahler für die Naivität der Flüchtlingsbürgen aufkommen muss, findet Heine kurzsichtig. Manche Probleme habe man damals noch nicht absehen können. Nach vier Jahren in der Flüchtlingshilfe sehe auch sie vieles differenzierter, denn nicht alle könnten sich gleichermaßen leicht integrieren. „Mir war wichtig, in aktueller Not zumindest für einige Hilfe zu ermöglichen.“ Dazu stehe sie auch heute noch. „Wir können nicht einfach so tun, als würde unsere Verantwortung an der Haustür aufhören.“ (epd/mig) Leitartikel Panorama
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