Berlin
Rassistische Gewalt steigt weiter an
Tatorte sind vor allem öffentliche Orte - Bushaltestellen, Spielplätze, Szeneviertel. In Berlin werden inzwischen neun rechte, rassistische oder antisemitische Vorfälle pro Tag registriert. Opferberater beklagen eine Enttabuisierung.
Donnerstag, 07.03.2019, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 12.03.2019, 15:30 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Die Zahl der extrem rechten, rassistischen und antisemitischen Angriffe in Berlin ist im vergangenen Jahr wieder angestiegen. Insgesamt seien 309 Angriffe registriert worden, 42 Gewalttaten und massive Bedrohungen mehr als 2017, wie die Opferberatungsstelle „Reach Out“ am Mittwoch in Berlin mitteilte. Dabei seien mindestens 423 Menschen verletzt und bedroht worden. Darunter waren 19 Kinder und 47 Jugendliche.
Mehr als 50 Prozent der Angriffe waren den Angaben zufolge rassistisch motiviert (167 Taten, plus 27 gegenüber 2017). 2016 hatte „Reach Out“ 380 Angriffe und Gewalttaten gezählt. Die Polizei hatte in der vergangenen Woche bei der Vorstellung ihrer Statistik zu politisch motivierter Kriminalität für das vergangene Jahr von 125 rechtsextrem motivierten Gewaltdelikten gesprochen.
Täter fühlen sich ermutigt
Die sogenannten Berliner Registerstellen zur Erfassung rechter und anderer diskriminierender Vorfälle in den zwölf Berliner Bezirken registrierten im vergangenen Jahr 3.405 Vorfälle, ein Plus von 605 Fällen. Mit eingerechnet sind dabei auch die gewaltsamen Angriffe, die „Reach Out“ präsentierte. Unter den von den Registern aufgeführten Fällen waren knapp die Hälfte Propaganda-Delikte (1.691). Außerdem bezog sich ein Viertel der Fälle auf Beleidigungen und Bedrohungen (899), fast eine Verdoppelung gegenüber 2017 (459). Auch die Zahl der gemeldeten Veranstaltungen stieg auf 317 (2017: 305).
Offensichtlich fühlten sich die Täter durch rassistisch geprägte Diskurse von Politikern rechtspopulistischer, aber auch anderer Parteien ermutigt, zuzuschlagen, sagte Sabine Seyb von „Reach Out“ zu den neuen Zahlen. Die antisemitischen Gewalttaten stiegen um 13 Fälle auf 44. Die Angriffe aufgrund der sexuellen Orientierung von Opfern, sogenannte LGBTIQ*-feindliche Angriffe, blieben im vergangenen Jahr mit 63 Taten nahezu konstant (2017: 67).
Enttabuisierung von Gewalt
Die Fallzahlen von „Reach Out“ unterscheiden sich von Angaben der Polizei, da auch Meldungen von Opfern, Initiativen oder Zeugen aufgenommen werden, die sich nicht an die Polizei wandten. Zudem würden auch solche Vorfälle als Angriff eingestuft, die im Sinne des Strafgesetzbuches nicht unbedingt als Gewalttat gewertet würden, zum Beispiel traumatische Folgen nach einer Sachbeschädigung.
„Wir beobachten eine Enttabuisierung bezüglich der Gewalt auf ausgegrenzte und diskriminierte Bevölkerungsgruppen“, sagte Seyb weiter. Bekannt wurden unter anderen auch acht Angriffe gegen obdachlose Personen.
„Ein ernsthaftes Problem“
Bei den meisten von „Reach Out“ dokumentierten Angriffen handelt es sich um Körperverletzungen (157), gefährliche Körperverletzungen (115) und Bedrohungen (31). „Wenn erwachsene Männer sich nicht davor scheuen, aus rassistischen Gründen gewaltsam gegen Kinder und Jugendliche vorzugehen, hat die Gesellschaft ein ernsthaftes Problem“, sagte Seyb. Zugleich warf sie der Berliner Polizei etwa im Bezirk Neukölln Untätigkeit bei den Ermittlungen gegen rechtsextreme Netzwerke vor.
Die meisten Angriffe ereignen sich nach den Erkenntnissen von „Reach Out“ und den Berliner Registern in den innerstädtischen Bezirken Mitte und Neukölln. Dies hänge damit zusammen, dass es in diesen Stadtteilen beliebte Szene- und Ausgehviertel gebe, hieß es. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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