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Interview zum Wochenende

These vom Rechtsbruch 2015 war Motor für Rechtspopulisten

"Die Zauberlehrlinge" heißt das Buch von Deutschlandradio-Chefkorrespondent Stephan Detjen und Rechtspublizist Maximilian Steinbeis, das am 20. April erschienen ist. Darin geht es um den "Mythos des Rechtsbruchs", der nach der Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland 2015 genährt wurde. Im Gespräch erläutert Detjen, selbst Jurist, warum die These vom Rechtsbruch bis heute nicht bewiesen ist und was die Behauptung bewirkt hat.

Von Corinna Buschow, Jana-Sophie Brüntjen Freitag, 26.04.2019, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 29.04.2019, 16:48 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Herr Detjen, zwei Journalisten und studierte Juristen – Sie und Maximilian Steinbeis – haben ein Buch über die rechtliche Dimension der Aufnahme der vielen Flüchtlinge im Jahr 2015 geschrieben. Warum?

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Stephan Detjen: Wir waren bewegt von der Hartnäckigkeit, mit der sich die Diskussion um den sogenannten Rechtsbruch, die angebliche Rechtswidrigkeit der Politik im Sommer 2015 gehalten hat. Letztlich ging es darum ja auch in der politischen Diskussion um Zurückweisungen an der Grenze im vergangenen Jahr, die die Regierung fast zum Platzen gebracht hat. Die Wirkung geht aber weit darüber hinaus: Die These, es sei das Recht gebrochen worden, ist zu einem Motor der rechtspopulistischen Bewegung und der AfD geworden. Das wollen wir in dem Buch nachzeichnen.

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Der damalige CSU-Chef und heutige Bundesinnenminister Seehofer sprach von einer „Herrschaft des Unrechts“. Was ist dran am Vorwurf des Rechtsbruchs?

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Stephan Detjen: Der Vorwurf lässt sich schwerlich halten, auch wenn man sieht, was es bereits an Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu den Dublin-Regelungen gibt. Er ist auch deswegen so irritierend, weil die Regierung 2015 immer wieder betont hat, sich im Rahmen der europäischen Dublin-Regeln zu bewegen und daran festhalten zu wollen. Wir wissen inzwischen, dass das Recht damals unterschiedliche Verhaltensoptionen eröffnet hat. Man hätte 2015 darüber diskutieren können, ob man Schutzsuchende an der deutschen Grenze zurückweist. Dass man es nicht getan hat, lässt sich aber schwerlich als „Rechtsbruch“ bezeichnen. Das Wort hat sich in gewisser Weise verselbstständigt, ohne dass jemand Belege dafür vorgelegt hat.

Warum ist die Bundesregierung gegen den Vorwurf nicht angekommen?

Stephan Detjen: Die Bundesregierung selbst ist die Klärung schuldig geblieben aus Angst, die Koalition scheitern zu lassen. In unseren Recherchen für das Buch stellten wir fest, dass es Stimmen innerhalb der Bundesregierung gab, die in bisherigen Darstellungen der regierungsinternen Diskussionen zu kurz kamen. Das sind vor allem die Rechtsexperten aus der Verfassungs- und der Ausländerrechtsabteilung im Bundesinnenministerium gewesen, die in den entscheidenden Sitzungen darauf hingewiesen haben, dass die Umsetzung der Forderung nach einer rigiden Schließung der Grenzen und der Zurückweisung von Schutzsuchenden unter europarechtlichen Gesichtspunkten hochproblematisch gewesen wäre. Die Bundesregierung hat also 2015 nicht einfach aus Sorge um ihr Image so gehandelt, sondern es gab auch harte rechtliche Argumente dafür.

Was hat das Festsetzen dieser These in Ihren Augen bewirkt?

Stephan Detjen: Die Behauptung des Rechtsbruchs ist zum Treibsatz für rechtspopulistische Bewegungen geworden und gleichzeitig auch zu einem Dietrich, mit dem sie sich den Zugang zu bürgerlichen Milieus aufgeschlossen hat. Salopp gesagt: Die Leute, die sich zu fein waren, mit „Pegida“ gegen Flüchtlinge auf die Straße zu gehen, waren erreichbar mit dem Vorwurf, die Regierung breche das Recht.

Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz bezeichnete die Rechtsbruch-These als „Dolchstoßlegende unserer Zeit“. Ist das treffend beschrieben?

Stephan Detjen: Da ist was dran. „Im Felde unbesiegt“ könnte man auch hier sagen, weil die letztendliche Klärung nicht herbeigeführt wurde. Die CSU hat mit der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gedroht, mit dem Recht eine politische Drohkulisse aufgebaut. Die Akteure der Bundesregierung wollten sich auf dieses Schlachtfeld nicht begeben und haben geglaubt, das erledigt sich von alleine. Sie haben zu spät gesehen, welche Eigendynamik das Thema entfaltet. Und auch diejenigen, die den Vorwurf in den Raum gestellt haben – im Buch nennen wir sie „Zauberlehrlinge“ – werden letztlich von den Geistern wieder eingeholt, die sie leichtfertig herbeiriefen.

Die CSU hat am Ende keine Klage eingereicht. Eine Klage der AfD scheiterte in Karlsruhe aus formalen Gründen. Wäre eine Klärung vor dem Bundesverfassungsgericht hilfreich?

Stephan Detjen: Ich habe Vertrauen darin, dass sich Recht in einem öffentlichen Diskurs bewähren kann. Deswegen gibt es gute Gründe dafür zu sagen, eine öffentliche Verhandlung und Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hätte der Auseinandersetzung gut getan.

Welche Rolle haben die Medien in der Auseinandersetzung gespielt?

Stephan Detjen: Die Rechtsbruch-These war Teil des Phänomens, das Randmedien groß gemacht hat, insbesondere Internetmedien am rechten Rand. Aber auch etablierte Medien haben ihren Anteil. Noch bevor Horst Seehofer von der „Herrschaft des Unrechts“ sprach, ist in der Zeitschrift „Cicero“ ein Aufsatz des Staatsrechtsdozenten Ulrich Vosgerau unter genau diesem Titel erschienen. Das war eine verschwörungstheoretische Anklage, in der Europarecht nur noch als Ausdruck einer rechtsfernen „Ideologie“ von Politikern und Medien gesehen wird. Der Autor ist inzwischen Prozessvertreter der AfD im besagten Verfahren in Karlsruhe.

Im Buch beklagen Sie, dass ein differenzierter Diskurs über das Recht in den Medien kaum stattfand. Fehlen Juristen in den Redaktionen, die das können?

Stephan Detjen: Eine Gesellschaft muss ihre Kompetenz pflegen, rechtliche Diskurse zu führen. Recht ist lebendig und wird nicht einfach statisch umgesetzt. Dieser Diskurs ist auch eine Aufgabe für die Medien. Es ist ein Problem, dass in den Redaktionen inzwischen wenig Juristen sind. Als ich mich als Jurist in die Medienlandschaft begeben habe, hatten die großen Regionalzeitungen noch selbstverständlich ihre Juristen in den Redaktionen. Heute sind es andere Formen, etwa Blogs, wo diese Diskurse stattfinden. Wichtig ist, dass auch eine breite Öffentlichkeit erreicht wird. Die rechtlichen Diskurse dürfen nicht der Verwahrlosung preisgegeben werden. (epd/mig) Aktuell Interview Politik

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