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Francesca Polistina, Francesca, Polistina, Kolumne, MiGAZIN, Italien
Francesca Polistina © privat, bearb. MiG

Das Gästezimmer

uomo nero

Als italienisches Kind habe ich unzählige Male die Geschichte des uomo nero gehört. Erst später bemerkte ich, dass der uomo nero kein Unikum in der italienischen Tradition ist, sondern ein schwarzes Motiv der westlichen Welt. Er soll Kinder erschrecken, weiße Kinder.

Von Freitag, 12.07.2019, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 16.07.2019, 9:38 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Jedes italienische Kind kennt – und fürchtet – ihn. Gesehen hat ihn noch keiner, doch vorstellen kann ihn sich jeder. L’uomo nero, der schwarze Mann, ist groß, grausam und vor allem schwarz. Manchmal ist sein Gesicht maskiert, manchmal erinnert er an ein Gespenst. Häufig hat er einen langen Mantel und scheut das Tageslicht, ab und zu mal hat er sogar keine Beine. Doch immer ist er schwarz, schwarz wie Kohle, und wenn die Kinder sich nicht gut benehmen, sprich wenn Kinder ihren Eltern nicht gehorchen, dann nimmt er sie mit. Wohin? Dass ist nicht klar, aber auch nicht relevant, Hauptsache weit weg. Sogar das berühmteste italienische Schlaflied, das Mütter seit Generationen ihren Babys vorsingen, erzählt vom uomo nero. Der Text lautet: „Wem gebe ich dieses Kind? Ich gebe es dem schwarzen Mann, der behält es ein ganzes Jahr“ – man kann sich nichts Besseres vorstellen, um ein Kind zu terrorisieren.

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Als italienisches Kind habe ich unzählige Male die Geschichte des uomo nero gehört und verinnerlicht, ohne sie groß infrage zu stellen. Schließlich sind tradierte Geschichten, die man von vertrauten Familienangehörigen zu hören bekommt, dafür da, um einfach weitererzählt und weiterverwendet zu werden. Erst Jahre später sollte ich lernen, dass der uomo nero kein Unikum in der italienischen Tradition, sondern ein wiederkehrendes Motiv ist: er gehört sozusagen zur westlichen Welt, und obwohl er in jedem Land einen anderen Namen hat und sich mit anderen Merkmalen vorstellt, bekommt er irgendwie immer die gleiche Aufgabe: Kinder zu erschrecken, vor allem die weißen.

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Der schwarze deutsche Journalist Marvin Oppong erzählt in seinem neuen Buch Ewig anders (Dietz Verlag, 2019), wovon ein Auszug im MiGAZIN exklusiv veröffentlicht wurde, wie er sich als Kind beim Spielen von „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann“ massiv angesprochen und ausgegrenzt fühlte. Er erzählt von einem Gefühl tiefer Demütigung, von der mangelnden Lust, das Spiel zu spielen, von der Unfähigkeit und Unmöglichkeit als Grundschulkind, sich gegen den Lehrer aufzulehnen. Zurecht: denn der schwarze Mann des deutschen Spieles, der nicht anders ist als der uomo nero des italienischen Schlafliedes und der dämonische Boogeyman der US-amerikanischen Geschichten, ist kein harmloses Figürchen, das nur zur Kinderwelt gehört, sondern Ausdruck einer Kultur, die mit der Farbe Schwarz immer noch ein großes Problem hat.

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Die Opposition zwischen schwarz und weiß taucht mindestens seit dem Mittelalter immer wieder auf: in der mündlichen Überlieferung der westlichen Kulturen, aber auch in der Religion, ist sie eine Konstante, die dafür da ist, Botschaften unmittelbar und eindeutig zu vermitteln. Denn sie ist einfach zu verstehen, visuell ersichtlich und kann deshalb gut die wahrscheinlich größte Gegensätzlichkeit der Oralität symbolisieren: einerseits, natürlich in weiß, Gott, das Gute und alles was damit verbunden ist, andererseits, rigoros in schwarz, der Teufel und das Böse. Unter der Oberfläche des modernen Abendlandes, das sich nicht mehr von Sagen, Mythen und Traditionen beeindrucken lässt, ist die Assoziation schwarz-böse noch tief verankert, und sicherlich verbreiteter und robuster als man denkt. Schwarz ist die Farbe der Trauer und des Todes, des Unbekannten und der Bedrohung, man spricht gewöhnlich vom schwarzen Schaf, Schwarzgeld, schwarzfahren, schwarzen Humor. Auf Englisch ist die Rede von blackmail oder blacklag, auf Italienisch und Französisch von denigrare oder dénigrer, was „verunglimpfen“ bedeutet – und so könnte man weitermachen.

Es lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, warum eben im Westen – anders als in anderen Kulturen der Welt – schon seit Jahrhunderten die Farbe Schwarz mit dem Bösen assoziiert wird. Vielleicht, zumindest anfänglich, hat das mit der Dualität Schatten und Licht zu tun. Sicherlich aber, spätestens seit dem Sklavenhandel, diente diese Farbensymbolik dazu, kolonialrassistische Auffassungen vorzustellen und zu rechtfertigen. Der schwarze Mann als Kinderschreckfigur ist davon nur ein Relikt: eins von vielen, das aber zeigt, wie solche Assoziationen noch präsent sind – manchmal bewusst und häufig unbewusst, aber immer mit einer Auswirkung auf die Art und Weise, wie man schon als Kind über schwarze Menschen gedacht und geredet hat. Solche Assoziationen zu hinterfragen und zu reflektieren wäre ein kleiner, wichtiger Schritt in die richtige Richtung, die das Verhältnis zwischen weißen und nicht-weißen Menschen angleichen könnte. Auch in der Kinderfolklore. Aktuell Meinung

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  1. Carl Wilhelm Macke sagt:

    Die Kindheitserinnerung der Autorin kann ich auch mit ähnlichen tief sitzenden Assoziationen gegenüber dem ‚Negerkind‘ oder dem ’schwarzen Mann‘ bestätigen. Niemand hat sich in meiner katholischen Pfarrgemeinde über den kleinen ‚Nickneger‘ aufgeregt, der jedes Jahr zu Weihnachten in der Krippe in unmittelbarer Nähe von Maria, Josef und dem Jesuskind aufgestellt wurde. Und in den Märchen oder Kindheitsgeschichten, die uns erzählt wurden, war der ‚Schwarze‘ „natürlich“ immer der Böse, der irgendwie unberechenbare Mensch. Noch heute, um Jahrzehnte und viele persönliche Erfahrungen mit afrikanischen Bekannten und Freunden reicher, blitzen oft kurz diese tief sitzenden Prägungen in mir auf. Manchmal, ich gestehe es, ist dann aus der ‚Negrophobie‘ eine ‚Afrophilie‘ geworden, die auch des Nachdenkens wert ist. ‚Boku Haram‘ oder kongolesische Warlords sind um keinen Deut besser als deutsche Neonazis und texanische Rassisten.Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich! Basta – aber trotzdem ist es hilfreich und notwendig, sich immer wieder der mentalen und kulturellen Prägungen zu vergewissern wie es Francesca Polistina in ihrem Beitrag vorbildlich gemacht hat.
    ( Carl Wilhelm Macke, Geschäftsführer „Journalisten helfen Journalisten“
    (www.journalistenhelfen.org )