Causa Linnemann
Sprachkenntnis ohne Sprachverständnis
Das Problem an Linnemanns Aussage ist nicht, was er gesagt oder gemeint haben will, sondern seine Wortwahl. Er fordert von Vorschulkindern Sprachkenntnisse ein, offenbart selbst aber massive Defizitite beim Sprachverständnis.
Von Ekrem Şenol Mittwoch, 07.08.2019, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 11.08.2019, 12:40 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der Vorstoß von CDU-Bundesfraktionsvize Carsten Linnemann, ein Kind, das kaum deutsch spricht und versteht, habe auf einer Grundschule nichts zu suchen, schlägt hohe Wellen. Manche sehen darin ein Grundschulverbot, andere einen berechtigten Einwand. Im Mittelpunkt der Diskussion steht jedoch, was er wirklich gesagt oder gemeint hat. Die Tagesschau widmet der Debatte sogar einen Faktenfinder-Beitrag: Linnemann hat kein Verbot gefordert.
Was Linnemann sagte: „Es reicht nicht nur, Sprachstandserhebungen bei Vierjährigen durchzuführen, sondern es müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen. Hier muss eine Vorschulpflicht greifen, notfalls muss seine Einschulung auch zurückgestellt werden. Das kostet Geld, aber fehlende Integration und unzureichende Bildung sind am Ende viel teurer.“ … „Wir erleben neue Parallelgesellschaften in vielen Bereichen des Landes.“ … „Bis tief hinein in die Mittelschicht erlebe ich Eltern, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken, weil das Niveau an staatlichen Schulen sinkt.“
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Nun, darüber kann man sich streiten, darum geht es aber nicht. Interessanter ist zunächst, dass niemand etwas gegen vorschulischen und bedarfsorientierten Sprachunterricht hat. Niemand hat auch etwas dagegen, wenn der Staat Kinder besser auf die Schule vorbereiten will. Es ist auch kein einziger Fall bekanntgeworden, in der sich irgendjemand über Bildungsmaßnahmen zur Chancenverbesserung von Kindern mit Migrationshintergrund beschwert hätte – weder Lehrer noch Eltern oder Kinder.
Bemerkenswert auch, dass insbesondere Unionspolitiker geneigt sind, den Bildungsstandort Deutschland gerne auf dem Rücken von Kindern mit Einwanderungsgeschichte zu retten versuchen, aber selten die in Deutschland besonders stark ausgeprägte Korrelation zwischen Bildungserfolg und Reichtum des Elternhauses problematisieren, obwohl sie – unabhängig von der Herkunft – viel mehr Kinder betrifft, benachteiligt und den Staat langfristig deutlich mehr kostet. Warum? Weil Politiker gut verdienen und ihre Kinder massiv von diesem Geld-Bildung-Zusammenhang profitieren? Folgte man in diesem Kontext der linnemannschen Logik, müsste man behaupten: „Ein Kind, das aus einem armen Elternhaus kommt, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen.“
Nicht uninteressant ist auch, dass sich ausgerechnet ein verantwortlicher Regierungspolitiker – als spielte er Opposition – über vermeintlich fehlende Bildungsmaßnahmen beschwert, obwohl die in den Ländern in verschiedensten Variationen und Stufen bereits seit Jahren erfolgreich erprobt und umgesetzt werden – man merkt, Linnemann ist kein Bildungspolitiker. Dass er seine Aussage zudem auf falschen Annahmen und Zahlen stützt, geschenkt. Geschenkt auch, dass Deutschland voll ist mit Erfolgsgeschichten von Richtern, Ärzten, Politikern, Publizisten, Polizisten, Wissenschaftlern mit Migrationshintergrund, die ohne Deutschkenntnisse eingeschult wurden.
Das eigentliche Problem an Linnemanns Aussage ist – wird bisher kaum diskutiert: seine Wortwahl. Die suggeriert, Kinder mit ausländischen Wurzeln
+ leben in Parallelgesellschaften,
+ können kein Deutsch,
+ stören den Unterricht,
+ senken das Niveau,
+ verscheuchen deutsche Kinder,
+ kosten Geld,
= sind ein Problem.
Wer Sprachkenntnisse von Vorschulkindern einfordert, sollte als erwachsener Politiker, der fürstlich dafür alimentiert wird, Kluges zu sagen, doch bitte selbst so viel Sprachverständnis mitbringen, um zumindest grob einschätzen zu können, wie bestimmte Begriffe und Wortkombinationen verstanden werden – und was sie in den Köpfen auslösen. Aktuell Meinung
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@Jacky // Natürlich reicht Geld allein nicht. Aber das Geld was da ist bzw. sein könnte sinnvoller einsetzen bzw. aus gemachten Fehlern lernen … das würde viele Probleme lösen.
Gehen wir mal weg von den Kindern zu den Eltern, denn auch das Elternhaus ist ja wichtig bei der sprachlichen Ausbildung.
Ein Asylantragsteller, der anerkannte Flüchtlingseigenschaften erhält, muss eine sogenannte „Verpflichtungserklärung“ zur Teilnahme an einem Sprach- und Integrationskurs unterschreiben. So weit so gut … dafür gibt es Träger, die die vom BAMF vorgegebenen Kurse durchführen.
Ich habe solche Kursbücher gesehen … und teilweise nicht nicht verstanden, was da vom Schüler verlangt wurde.
Da gibt es Texte zu denen der Schüler Fragen entwickeln soll. Vermutlich um zu zeigen, daß er den Text verstanden hat. Was bitte soll dort ein Text über Computer-Sonographie.
Die Kurse werden teilweise „durchgepeitscht“. Auf Nachfragen von Schülern an die Lehrperson mit der Bitte um Erklärung heisst es: Dazu haben wir keine Zeit, wir müssen das Buch in den vorgegebenen 600 UE durcharbeiten. Also versucht man „Häuser zu bauen ohne Fundament“!
Und das waren keine faulen Schüler, die es natürlich auch bei Flüchtlingen gibt. Bei den hier ansässigen Trägern habe ich mich mal beschwert. Inoffiziell bekam ich Zustimmung. Offiziell wollte sich niemand mit dem BAMF anlegen. Da sitzen ja die ach so schlauen Pädagogen.
Wir haben Durchfallquoten gehabt von über 50%. Das ist nicht normal und kann auch nicht nur mit faulen Schülern erklärt werden. Wäre bei einer regulären Schulklasse bei über 50% der Schüler*Innen die Versetzung gefährdet, hätten der Lehrer und Schulleitung ein Problem.
Ein mir bekannter Syrer, der sich selbst vorher schon deutsch beigebracht hat, schafft C1 mit „Ach und Krach“ (von 14 Leuten fallen 11 durch). Hat daheim studiert, spricht perfekt englisch … da stimmt doch was am System nicht.
Ein Eritreer, der daheim Schuldirektor war an einer Schule mit über 500 Kindern, mehrsprachig ist, auch sehr gut in englisch, kommt in einen Kurs, wo bereits Deutschkenntnisse vorhanden sind – nur er nicht. Die Lehrerin spricht kein Wort englisch, kann ihm also auf Rückfrage nichts erklären, weil sie keine gemeinsame Sprache haben. „Da müsste er durch“ wurde mir gesagt. Und wenn dann ein Test geschrieben wird, den er natürlich nicht schafft, stellt sich die Lehrerin vor den versammelten Kurs und macht ihn „runter“, sehr zum Gaudi der anderen Teilnehmer! Sehr motivierend sehr pädagogisch.
Ein weiterer, wo der Träger nach den 600 Stunden feststellt, daß der Mann eigentlich Analphabet ist – was haben die in den 600 Stunden gemacht?
Von diesen Beipielen könnte ich unendlich viele aufzählen. Das würde aber den Rahmen sprengen. Die Kurse mögen alle gut gemeint sein. Aber wenn man dann in der Praxis Fehler erkennt, MUSS man das ändern!
Ich plädiere ohnehin dafür, daß alle Flüchtlinge (nicht nur Eritrea, Somalia, Syrien, Irak u. Iran) von Anfang an VERPFLICHTEND die deutsche Sprache lernen müssen, aber dann auch die Gelegenheit dazu bekommen. Dann ist die Integration anschließend um einiges einfacher. Dann können diese Eltern ihren Kindern ganz anders helfen. Und selbst wenn sie nicht anerkannt werden und wieder ausreisen müssen … eine Sprache zu lernen, hat noch keinem geschadet!
Und der positive Nebeneffekt wäre, daß diese Menschen eine Tagesstruktur hätten, was „tun“ und nicht „in den Tag leben“.
Zurück zu den Kindern: Auch da gibt es ja genug positive Beispiele, z.B. in Schleswig-Holstein und anderswo, wo Kinder unabhängig vom Schulalter und -klasse 1-2 Stunden pro Tag zusammengefasst werden für „deutsch-intensiv“. Eine mir bekannte Grundschule hat da sehr gute Erfahrungen gemacht. Das setzt natürlich voraus, daß entsprechend Personal und Räumlichkeiten da sind (womit wir wieder beim Geld wären) und der politische Wille. Der „Fluch des Föderalismus“ in der BRD bewirkt aber leider, daß gute Systeme im Bundesland „X“ nicht, weil es gut ist, auf das Bundesland „Y“ übertragen bzw. dort auch angewendet wird. Da muss dann jedes Bundesland „eine eigene Sau durch’s Dorf treiben“. Ähnlich ist es bei den KiTa’s, wo ja eigentlich der Grundstein f.d. Schule gelegt werden soll. Ein guter Anfang wäre schon mal, daß man Erzieher*Innen besser bezahlt (ich bin keiner wohlgemerkt).Beim BuT-Paket hat man ja nachgelegt, was m.E. mehr als sinnvoll ist.
Natürlich hat uns die Menge der Menschen quasi „kalt erwischt“.Und ein vernünftiges System kann man nicht „aus dem Hut zaubern“. Aber wir schreiben das Jahr 2019, da hatte man seit 2015/2016 ausreichend Zeit, um ein angelaufenes System anzupassen. Und die Sprachprobleme sind ja viel älter.
Nachtrag …
In NRW sind die Sommerferien beendet. In den Tageszeitungen sind Artikel zu lesen
„Schule Startet, Lehrer fehlen“
u.a. „Nur 57,8% der ausgeschriebenen Stellen wurden besetzt … dem Lehrermangel mit Seiteneinsteigern und Pensionären Herr zu werden. Besonders dramatisch ist die Situation an GRUNDSCHULEN“ usw. usw.
oder
„In NRW fehlen 15.000 Erzieher“ (KiTa-Fachkräftemangel“
Ds Problem besteht ja nicht erst seit gestern. Das wusste die Politik oder Planungen hätten völlig versagt!
Diese Fehler jetzt auf dem Rücken der Kinder auszutragen oder dem der Pädagogen*Innen, die teilweise überlastet sind, ist der nächste Fehler!!!
@ Gerrit.
Und was ist nun ihr Vorschlag?