Volkserzieher AfD
Wurde der Bock zum Gärtner gemacht?
Seit anderthalb Jahren, seit auf dem Augsburger Parteitag der AfD ein längerer Streit entschieden wurde, mischt ein neuer Akteur im deutschen Bildungsbetrieb mit: Die Desiderius-Erasmus-Stiftung wurde offiziell als parteinahe Stiftung anerkannt.
Von Johannes Schillo Montag, 20.01.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 17.01.2020, 0:13 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Die AfD, die „Alternative für Deutschland“, ist an politischer Bildung brennend interessiert. Die Partei will ja in einem volkspädagogischen Kraftakt eine Fehlentwicklung korrigieren, die angeblich durch eine kulturelle Hegemonie der Linken eingerissen und unter Merkel, speziell ihrer Flüchtlingspolitik vom Sommer 2015, vollendet worden ist: Große Teile des Volkes sind sich ihrer eigentlichen völkischen Qualität nicht bewusst, heißen wildfremde Notleidende willkommen und wollen nicht sehen, dass eine „feindliche Übernahme“ (Sarrazin, SPD) oder eine „irreversible Umvolkung“ (Boehringer, AfD) durch islamische Horden unterwegs ist; statt dessen lassen sie sich wegen gerade einmal 12 dunklen Jahren NS-Zeit – einem „Vogelschiss“ (Gauland) in der mehr als 1000jährigen deutschen Geschichte – von einem „Schuldkult“ beeindrucken, den nicht nur der Rechtsaußen Höcke mit einer 180-Grad-Wende der Erinnerungskultur kontern will.
Diese einschlägigen Tabubrüche der Alternativdeutschen sind bekannt, auch die Entrüstung, die sie provoziert haben. Doch muss man dagegen zunächst einmal in Erinnerung rufen, dass sie in der alten Bundesrepublik auch schon anerkannte Bedenken waren. Die NS-Erinnerungskultur, die den Holocaust als singuläres, aufs Konto der deutschen Nation gehendes Verbrechen stilisierte, traf etwa auf den Einspruch von Franz-Josef Strauß oder Rudolf Augstein, teilweise sogar in schärferer Tonlage als bei Höcke. In den 1990er Jahren legte Staatsminister Michael Naumann Leitlinien über die Förderung von Gedenkstätten vor, die deren Arbeit mit einem „antitotalitären Konsens“ begründeten, das NS-Thema also schon zurückstuften bzw. in breitere Totalitarismus-Erfahrungen einordneten, die die deutsche Nation erleiden musste. 2014 entdeckte dann der historisch-politisch bildende Mainstream, dass Deutschland 100 Jahre zuvor, dank „schlafwandelnder“ Machthaber in allen europäischen Metropolen, in eine militärische „Urkatastrophe“ gestürzt wurde, wobei ein kurzsichtiges Friedensdiktat den nächsten Irrweg programmierte – das Ganze also Deutschland zweimal entschuldigte.
Ab den 1990er Jahren war Deutschland auch wieder auf verschiedenen Schlachtfeldern unterwegs, belegte seinen geläuterten Charakter mit dem Einsatz für die gute „westliche“ Sache und konnte außerdem 2006 bei einer Fußball-WM Siege einfahren, die jetzt – endlich – zu unverschämtestem Nationalstolz berechtigten und das Bild der Nation veränderten. Merkels Willkommenskultur fügte dem die letzten Pinselstriche hinzu: Diese Nation ist humanitär bis auf die Knochen, braucht nicht mehr in Sack und Asche zu gehen und kann bzw. muss auf dem Globus gegen alle Miesmacherei von gestern „Verantwortung“ übernehmen.
Ein Volk bilden!
Der Treppenwitz ist, dass die AfD genau auf diesem neuen Nationalstolz und -bewusstsein aufbaut und so ein Profiteur der Merkel-Jahre ist: Wenn der Deutsche schon erhobenen Hauptes vor die Völkerfamilie tritt, darf die nationale Gewissenserforschung auch mal wieder zurückstehen. Dann bekennt man sich eben zur Nation als Höchstwert. Und für diese Aufgabe, die damit doch einen folgenreichen Schritt weitergeht, will die AfD ihre Stiftung einsetzen. Früher griff sie zwar die politischen Stiftungen als verdeckte Form der Parteienfinanzierung massiv an, aber jetzt kann sie das Geld gebrauchen. Vor allem braucht sie ein Instrument, um das Volk zu formieren, denn es ist ja in seinem faktischen Zustand nicht das, was der AfD vorschwebt. Es muss auf den Wert Deutschtum ohne jede Relativierung verpflichtet werden. Solche Verpflichtungen haben übrigens mit Aufklärung über die Konstitution von Nationalstaaten oder mit der Eröffnung eines Diskurses übers Zusammenleben am hiesigen Kapitalstandort nichts zu tun – also nichts mit dem, was eine aufgeklärte politische Bildung als Ziel kennt.
Insofern passt, was die Zeitschrift Polis der Deutschen Vereinigung für politische Bildung (DVPB) in Nr. 3/2018 zum Stiftungsstart bemerkte: „Der Bock wird Gärtner“. Denn mit „Desiderius-Erasmus“ soll das Land neue, verbindliche Leitbilder erhalten – nicht mehr Debatten und kritische Analysen. Die AfD, die in der staatlich gelenkten Bildungsarbeit neben der „Lügenpresse“ eine entscheidende Manipulationsinstanz sieht, will dieses wuchtige Instrument den regierenden „Volksverrätern“ entreißen, um es für ihre eigenen Zwecke einzusetzen: Gefestigte Nationalidentität, Heimtattreue, traditionelles Familienbild müssen wieder im Volksbewusstsein verankert werden – preußische Tugenden und Immunität gegen multikulturelle Versuchungen inklusive.
Gegen den „Deutschlandabschaffungskurs“
„Das geeinte Europa hat propagandistisch eben die doppelte Funktion: als Feindbild für die Unterdrückung der nationalen Identität seiner Völker zu dienen und zugleich als Bollwerk gegen die anstürmenden, mit abendländischen Werten ganz unvertrauten Massen geschätzt zu werden.“
Über die akademische Intelligenz, die die AfD mittlerweile eingesammelt hat und mit ihrer Stiftung bündeln will, gibt der Eröffnungsband der DES-Schriftenreihe Auskunft („Nachdenken für Deutschland – Wie wird die Zukunft unseres Landes sichern können“, hg. von der Stiftungsvorsitzenden Erika Steinbach zusammen mit dem Volkswirtschaftler Max Otte, 2018). „Deutschland verflüchtigt sich“ heißt dort der Schlussbeitrag des AfD-Philosophen Marc Jongen, in dem er Merkels „Deutschlandabschaffungskurs“ geißelt. Dieser Kurs werde hierzulande von breiten Kreisen – zumindest da, wo das gesunde Volksempfinden noch intakt ist – als „Resultat einer gigantischen, gegen Deutschland und Europa gerichteten Verschwörung, die die systematische Zerstörung des historisch gewachsenen Nationalstaats zum Ziel hat“, wahrgenommen. Jongen kokettiert damit, dass man das in Deutschland eigentlich nicht mehr sagen darf, tritt aber als mutiger Anwalt des Volkes auf, der dessen Sorgen letztlich mit einer philosophischen Tiefenbohrung ernst nehmen will.
Wichtig ist hier, dass Europa im gleichen Atemzug mit der Sorge um den Bestand Deutschlands genannt wird. Die Partei bekennt sich ja mit der Wahl ihres Stiftungspatrons entschieden zum christlichen Abendland. Die Bezugnahme auf „unser Europa“ ist dabei im Rechtsradikalismus nichts Ungewöhnliches. So gibt es ja mittlerweile ein europäisches Parlament, in dem sich eine Internationale der Nationalisten tummelt, um gemeinsam gegen die europäische Integration anzutreten. Das geeinte Europa hat propagandistisch eben die doppelte Funktion: als Feindbild für die Unterdrückung der nationalen Identität seiner Völker zu dienen und zugleich als Bollwerk gegen die anstürmenden, mit abendländischen Werten ganz unvertrauten Massen geschätzt zu werden. Dass dieser Widerspruch politisch gelebt und propagandistisch ausgenutzt werden kann, verdankt sich der noch dominierenden proeuropäischen Linie. Deren Vertreter kennen ebenfalls den Vorrang der eigenen Nation, um dessen willen das gesamteuropäische Einigungswerk stattzufinden hat.
Intellektuelle, die die AfD um sich und in ihrer Stiftung versammelt, haben es also nicht allein mit der von ihnen als „Schuldkult“ geschmähten Vergangenheitsbewältigung in Sachen NS-Herrschaft zu tun. Die Partei lädt auch schon einmal einen akademischen „Apologeten des europäischen Kolonialismus in den Bundestag ein“, um die Meisterleistungen des christlichen Abendlandes bei der Ausplünderung der Dritten Welt hochleben zu lassen. Wenn die Partei die deutsche Erinnerungskultur – mit einer Kehrtwende um 180 Grad – renoviert, dann gibt es also noch viel zu tun. Von der Kolonialära und dem Ersten Weltkrieg, zu dem die Stiftung 2018 ihren ersten Kongress veranstaltete, bis zum modernen Globalismus gilt es das Deutschtum wieder ins Recht zu setzen: ohne Wenn und Aber und demnächst wahrscheinlich mit zig Millionen Euro, die aus der Staatskasse an die politische Stiftung fließen. Meinung
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„mischt ein neuer Akteur im deutschen Bildungsbetrieb mit“
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