Resettlement
„Für uns gibt es kein anderes Zuhause mehr“
Über das Resettlement-Programm wollte die Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren 10.200 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aufnehmen. Das Kontingent wird wohl nicht ausgeschöpft. Der Somalier Abdishafi ist im Herbst gekommen - und mit ihm seine traurige Geschichte.
Von Cristina Marina Dienstag, 21.01.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.01.2020, 16:20 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Sechs Kugeln hatten Abdishafi getroffen, so erzählt er es. Dann steht der 45-Jährige langsam auf und hebt sein graues Sweatshirt hoch. An seinem Oberkörper zeichnen sich mehrere runde Narben ab. Abdishafi ist aus Äthiopien ins Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen gekommen. Der alleinerziehende Vater von zwei Kindern durfte im Zuge eines Aufnahmeprogramms für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge nach Deutschland. Sein vollständiger Name soll aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden.
Über das EU-Resettlement-Programm hatte die Bundesregierung zugesagt, in den Jahren 2018 und 2019 insgesamt 10.200 geflüchtete Menschen mit besonderem Schutzbedarf langfristig umzusiedeln – also aus Ländern aufzunehmen, wo sie als Flüchtlinge leben. 2020 sollen es weitere 5.500 sein.
Die Menschen – häufig Frauen, Kinder, Kranke oder Folteropfer – suchen Experten in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen aus. Ihre Biografien werden in langwierigen Verfahren überprüft. Das Kontingent für 2018/2019 wird wohl nicht ausgeschöpft: Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sind bisher 8.072 Menschen eingereist.
„Wir hatten eine Familie“
Abdishafi ist aus Mogadischu, der Hauptstadt Somalias. Der ausgebildete Maschinenbauingenieur hatte als Englisch-Dozent an der Uni gearbeitet. „Wir hatten eine Familie“, sagt er. Der Mann mit wachen dunklen Augen spricht leise und bedächtig. „Von einem Tag auf den anderen haben sie uns alles weggenommen: Ich hatte keine Frau, kein Haus, kein Geld, keine Familie mehr“.
„“Für uns gibt es kein anderes Zuhause mehr, also bleiben wir hier, bis wir sterben, und wir geben diesem Land etwas zurück.““
Sie – damit meint Abdishafi die Al-Shabaab-Miliz. Die Terrorgruppe kämpft gegen die somalische Regierung. Sie verübt immer wieder schwere Anschläge auf Zivilisten und öffentliche Einrichtungen. Abdishafis Frau wurde 2010 zusammen mit weiteren 75 Frauen aus einer Klinik verschleppt, als sie zum Arzt ging, wie er berichtet. Die Kinder, damals 14 Monate und drei Jahre alt, hatte sie in die Obhut einer Tante gegeben.
„Danke, Gott, dass ich leben darf.“
Als die Familienangehörigen, insgesamt mehr als 50 Menschen, sich auf die Suche nach den entführten Frauen machten, gerieten sie unter den Beschuss der Terroristen. Die Miliz habe die Zivilisten niedergemetzelt, erzählt Abdishafi, seine Stimme klingt jetzt noch leiser und beherrscht.
Als Soldaten sie schließlich bargen, fanden sie nur noch drei Menschen vor, die überlebt hatten. Abdishafi war einer von ihnen. „Als ich erwachte und merkte, dass ich nicht im Grab lag, dachte ich als erstes daran, Rache zu üben“, sagt er, sein Blick ist matt. „Dann bat ich Gott um Verzeihung. Ich sagte: Danke, Gott, dass ich leben darf.“ Von seiner Frau wie den anderen verschwundenen Mädchen und Frauen fehle bis heute jede Spur.
1,4 Millionen besonders Schutzbedürftige weltweit
Von der Erstaufnahmeeinrichtung in Friedland aus werden Flüchtlinge wie Abdishafi auf die Bundesländer verteilt. „Seit August kommen mehr Menschen an“, erläutert Johanna Hamoodi von der Caritas Friedland. Die Caritas betreut zusammen mit der Diakonie die Neuankömmlinge. Zuletzt seien ein bis zwei Flüge wöchentlich mit jeweils 160 bis 260 Passagieren an Bord gelandet. Die Menschen stammen meist ursprünglich aus Bürgerkriegsländern wie Syrien, Eritrea, Somalia oder dem Sudan.
Nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen gibt es weltweit mehr als 1,4 Millionen Geflüchtete, die als besonders schutzbedürftig gelten, aber zurzeit keine sichere Lebensperspektive haben. Verbände fordern deshalb auch von Deutschland, mehr Menschen über die Resettlement-Programme aufzunehmen. „Natürlich dürfen diese Kontingente dabei niemals zulasten des individuellen Asylrechtes gehen“, betont Hamoodi. Die Tatsache, dass Regierungen sich die Menschen eigens aussuchten, mache diese Programme in Ländern wie Australien dafür anfällig, als Instrument der geregelten Zuwanderung genutzt zu werden. „Eine solche Entwicklung sehen alle Verbände kritisch.“
„Wir geben diesem Land etwas zurück“
Abdishafi flüchtete 2014 mit seinen Söhnen nach Äthiopien, weil die Terror-Miliz ihn weiter verfolgte. Die USA wählten ihn nach drei Jahren für das Programm aus. Die Umsiedlung scheiterte aber am „Muslim Ban„, dem Einreiseverbot für Muslime, das US-Präsident Trump nach seiner Wahl verhängt hatte. Danach schlug ihn das UN-Flüchtlingshilfswerk für Deutschland vor.
Als sie schließlich in Friedland ankamen, hätten seine Kinder ihn gefragt: „Vater, wie lange werden wir diesmal hierbleiben?“ Und Abdishafi habe ihnen geantwortet: „Für uns gibt es kein anderes Zuhause mehr, also bleiben wir hier, bis wir sterben, und wir geben diesem Land etwas zurück.“ (epd/mig) Leitartikel Panorama
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Ein Jahr Fachkräftegesetz Bundesregierung sieht Erfolg bei Einwanderung von…
- Brandenburg Flüchtlingsrat: Minister schürt Hass gegen Ausländer
- Chronisch überlastet Flüchtlingsunterkunft: Hamburg weiter auf Zelte angewiesen