Jüdisches Gymnasium
„Wenn Hitler noch leben würde, wärst du tot.“
Bundespräsident Steinmeier und Israels Präsident Rivlin haben im Jüdischen Gymnasium in Berlin mit Jugendlichen über jüdisches Leben in Deutschland diskutiert. Was sie zu hören bekommen, stimmt nachdenklich.
Von Christine Xuân Müller Mittwoch, 29.01.2020, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 28.01.2020, 23:35 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Gleich zwei Staatsoberhäupter mitten unter Teenagern – das ist für alle Beteiligten etwas Außergewöhnliches. Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Israels Staatspräsident Reuven Rivlin am Dienstag das Jüdische Gymnasium Moses Mendelssohn in Berlin besuchen, sind die Schüler aufgeregt, aber auch selbstbewusst und wissbegierig darauf, was die beiden Politiker zu sagen haben. Die Stimmung zwischen den beiden Präsidenten ist zudem sichtbar gelöst und warmherzig.
Steinmeier betont, dass er sich freue, im Rahmen des Gedenkens an die Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz vor 75 Jahren mit den Jugendlichen über heutiges jüdisches Leben in Deutschland reden zu können. Rivlin sagt, es sei besonders schön, „mit meinem Freund Steinmeier“ die Schule zu besuchen. Und an die Jugendlichen gewandt betont er, dass sein Spitzname in Israel „Ruvi“ sei.
Der Besuch des Jüdischen Gymnasiums gehört zu einer mehrtägigen gemeinsamen Veranstaltungsreihe der beiden Präsidenten zur Erinnerung an die Holocaust-Opfer. In der vergangenen Woche waren Steinmeier und Rivlin bei der internationalen Konferenz des World Holocaust Forum in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, am Montag nahmen beide an der Gedenkzeremonie in Auschwitz teil. Am Mittwoch werden beide Präsidenten bei der zentralen Gedenkstunde im Bundestag reden.
Am Jüdischen Gymnasium wollen die beiden Staatsoberhäupter zunächst den Jugendlichen zuhören. Sie wollen wissen, warum die Teenager diese Schule besuchen und welche Erfahrungen sie gemacht haben. Ein Großteil der Mädchen und Jungen ist jüdischen Glaubens und will die jüdische Tradition in der Familie fortsetzen. Viele sind aber auch christlich oder nichtreligiös. Clara zum Beispiel lernt hier, um mehr über das Judentum zu erfahren – was an anderen Schulen nicht möglich sei. Und auch Marvin ist nicht jüdisch, aber er mag seine Schule und er schätzt, dass er als Deutscher hier auch Hebräisch lernen kann.
„Wenn Hitler noch leben würde, wärst du tot.“
Es ist Steinmeier, der die 15- bis 17-Jährigen fragt, ob sie negative Erfahrungen wegen ihres Jüdischseins machen. Ein Mädchen berichtet von antisemitischen Attacken auf einen Freund, der eine andere Schule besucht. Und die dunkelhäutige Vanessa erzählt, wie eine ältere Lehrerin an einer früheren Schule ihr einmal sagte: „Wenn Hitler noch leben würde, wärst du tot.“
Rivlin verweist darauf, dass in Israel Menschen aus über 70 verschiedenen Nationen leben und das Jüdischsein alle verbinde. Er ermutigt die Jugendlichen, den Davidstern auch öffentlich zu tragen, wenn sie es wollen. Denn „in einer freien Welt kann sich jeder so zeigen, wie er möchte“, sagt der israelische Präsident. Antisemitische Übergriffe sollten mit allen juristischen Mitteln konsequent verfolgt werden. Zudem brauche es ein großes zivilgesellschaftliches Engagement gegen jegliche Art von Rassismus und Antisemitismus.
„Menschlichkeit ist das Wichtigste.“
Nach den Berichten der Jugendlichen sagt der Bundespräsident nachdenklich, dass an den Schulen heute mehr über die Schoah gelehrt werde als zu seiner Jugendzeit: „Aber die Rolle der Schule verändert sich auch.“ Wenn es um Informationen gehe, würden soziale Medien heute zunehmend in Konkurrenz zu den Schulen oder den Familien treten. „Information ist nicht genug. Information muss kombiniert werden mit Erfahrung“, sagt Steinmeier. Junge Menschen sollten deshalb auch Israel, die Gedenkstätte Yad Vashem oder KZ-Gedenkstätten besuchen, um sich selbst ein Bild zu machen.
Rivlin betont unterdessen, wie wichtig gerade Schulen wie das Jüdische Gymnasium in Berlin seien. Hier würden Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Menschen erfahrbar gemacht. „Wir sind alle Geschöpfe Gottes“, sagt Rivlin. Und mit Blick auf unterschiedliche Religionen betont er: „Es gibt nur einen Gott.“ Gelebt würden aber unterschiedliche Traditionen. Bei allen Unterschieden „sind wir an allererster Stelle Menschen“, sagt der israelische Präsident und fügt hinzu: „Menschlichkeit ist das Wichtigste.“ (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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