Exklusiv Buchauszug
Neue Rechte Wörter
Wer gegen Rechte bestehen will, muss sie zuerst verstehen. Das ist nicht immer leicht, denn die rechte Szene hat ihre ganz eigene Sprache und Sprechweise entwickelt – zum Teil mit neuen Wortgebilden, aber auch mit geläufigen Wörtern, denen ein anderer Sinn zugewiesen wird. MiGAZIN veröffentlicht exklusiv Auszüge aus dem Buch "Rechte Wörter" von Andreas Graf von Bernstorff.
Freitag, 14.02.2020, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 13.02.2020, 15:11 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Abschiebe-Saboteur
Diese Wortprägung des CSU-Landesgruppenchefs im Deutschen Bundestag Alexander Dobrindt erfolgt im Zusammenhang mit seinen Äußerungen über eine angebliche >Anti-Abschiebe-Industrie. Dobrindt richtet den Vorwurf der Sabotage gegen Vertreter eines verfassungsmäßigen Organs der Rechtspflege, nämlich der Anwaltschaft. Er gründet dies allein auf deren Wahrnehmung von Grundrechten. Er unterstellt den Willen zur Zerstörung der öffentlichen Ordnung. Wenn ein Volksvertreter wie Alexander Dobrindt die Wahrnehmung von Grundrechten als Sabotage bezeichnet, ist er nach eigener Logik selbst ein Rechtsstaatssaboteur.
Zwei Göttinger Anwälte erstatten Anzeige gegen Dobrindt wegen Verleumdung, übler Nachrede und Beleidigung.
Anti-Abschiebe-Industrie
Nach >Abschiebe-Saboteur die zweite Wortprägung von Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Er klagt in der Bild am Sonntag vom 14.05.2018 über
„eine aggressive Anti-Abschiebe-Industrie … (die) die Mittel des Rechtsstaates (nutzt), um ihn durch eine bewusst herbeigeführte Überlastung von innen heraus zu bekämpfen … 2015 wurden unsere Grenzen überrannt, jetzt versuchen Abschiebe-Saboteure das Gleiche mit unseren Gerichten.“
Mit der an sich seltsam ungelenken Formel Anti-Abschiebe-Industrie sucht Dobrindt ganz offensichtlich Anschluss an die rechtsextreme Rede von der >Asylindustrie. Er unterstellt mit dem Vorwurf der gewerbsmäßigen Justizsabotage ein Geschäftsinteresse an anwaltlichen Vertretungen in Asylverfahren. Asylverfahren gelten unter Anwälten nicht gerade als besonders lukrativ.
In einem späteren Interview sagt Dobrindt, unter Anti-Abschiebe-Industrie verstehe er
„eine unsägliche Allianz von Zwangsideologen und Partikularinteressen, die durch Klagewellen versucht, Abschiebungen zu verhindern und die Durchsetzung des Rechtsstaates zu sabotieren.“
Diese Allianz arbeite „nicht für das Recht auf Asyl, sondern gegen den gesellschaftlichen Frieden“, >Abschiebe-Saboteur. Das Wort Zwangsideologen ist eine Rarität und seine Bedeutung unklar; es sei denn, Dobrindt bezieht sich auf sich selbst, das heißt, seine eigene Aussage über die „menschenverachtende Zwangsideologie des Kommunismus als Parteiziel der Linkspartei“ aus dem Jahr 2011. Dann wären also die Partner der Partikularinteressen Kommunisten.
Im Januar 2019 wird Anti-Abschiebe-Industrie von der „Unwort“- Jury an der Technischen Universität Darmstadt zum Unwort des Jahres 2018 gekürt. „Linguistik-Professorin Nina Janich, Sprecherin der Jury, sagt:
„Als das Unwort 2018 gilt es uns, weil die Tatsache, dass ein solcher Ausdruck von einem wichtigen Politiker einer Regierungspartei prominent im Diskurs platziert wird, zeigt, wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie in bedenklicher Weise verändern.“
[…]
Migration
Alle rechten Gruppen und Organe bezeichnen sich als migrationskritisch. Auch wenn sie nicht einfach kritisieren, sondern ausgrenzen, denunzieren und hetzen. […]
Der zusammenfassende Satz aber zur „Migrationsfrage“ 2018 ist:
„Die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land.“ (Horst Seehofer)
Die Formel ist abgeleitet von Saddam Husseins, des irakischen Diktators Ankündigung Anfang 2003, er werde gegen einen möglichen Angriff der USA „die Mutter aller Schlachten“ führen. Die Drohung hat in einem anderen Sinn eine makabre Bestätigung gefunden: nicht wenige politische Beobachter und Analysten sehen in dem Angriff auf Bagdad die Wurzel aller folgenden Kriege in der arabischen Welt.
Hinter der Stilisierung der Migrationsfrage zum Hauptproblem deutscher Politik steht zweierlei. Erstens die bombastische Drohung: wenn wir diese Frage nicht beantworten, dann können wir alle anderen Probleme auch nicht lösen. Der Satz besagt ja, dass andere Probleme wie Kinderarmut, Renten oder Mietwucher nur Ableger oder eben Töchter des Mutterproblems Migration seien. Als ob sie nicht völlig unabhängig davon die deutsche Politik seit Jahrzehnten beschäftigten. Damit bietet sich der amtierende Bundesinnenminister als oberster Sachwalter und Vorgesetzter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, BAMF, der deutschen Gesellschaft als oberster Problemlöser an. Zweitens wird hier der Schuldige, der Hauptschuldige an der Mutterfrage, ausgemacht: der Migrant. Der Migrant als Kollektiv, als aktiver Angreifer, muss abgewehrt werden. Damit sucht Seehofer Anschluss an die Redeweise der neuen Rechten: > Invasoren, > Deutschenfeinde.
Schützenhilfe leistet CSU-Freund, Bayerns Innenminister Joachim Hermann:
„Jetzt kommen unübersehbar Menschen aus anderen Kulturkreisen zu uns, in deren Heimat die Gewaltlosigkeit, wie wir sie pflegen, noch nicht so selbstverständlich ist … Wir haben hier ein erhöhtes Risiko, das zeigen die Kriminalstatistiken ganz eindeutig…“.
Migranten würden viel schneller Konflikte mit Gewalt austragen. Mit diesen Worten spricht er folgenden Fall an: ein Eritreer aus der Schweiz stößt einen Achtjährigen und eine Frau im Frankfurter Hauptbahnhof vor einen fahrenden Zug. Beide sterben; das ist ein infamer Mord. Die Äußerung ist dennoch diffamierend, und sie ist falsch. Die Kriminalstatistik weist nach Bereinigung bezüglich Alters- und Geschlechtszusammensetzung sowie besondere psychische Belastung durch unsicheren Aufenthaltsstatus kein „erhöhtes“ Gewaltrisiko bei Migranten auf. Ihr Durchschnittsalter ist Ende 2018 29,4 Jahre, der Männeranteil knapp 63 Prozent. Die deutsche Bevölkerung ist durchschnittlich 45,4 Jahre alt und zu rund 49 Prozent männlich. Der Täter hat keinen Konflikt mit den Opfern, er kennt sie nicht, er lebt in der Schweiz und ist zum Zeitpunkt der Tat rein zufällig auf einem Bahnsteig im Frankfurter Hauptbahnhof.
[…]
Fremd im eigenen Land
Diese zu Herzen gehende Formel ist heute bei Rechten sehr beliebt, die damit ihre Warnung vor Zuwanderern und >Überfremdung unterstreichen wollen. Ursprünglich stammt sie von „links“. Als erster hat sie publizistisch verwendet wohl Henrik Broder, der 1979 in seinem Buch „Fremd im eigenen Land“ sein Fremdsein als Jude in der Bundesrepublik beschreibt. Auf der gleichen Linie liegt noch der Rapsong gleichen Titels von der Heidelberger Hiphop- Gruppe Advanced Chemistry (1992). Hier klagt ein „Afro-
-Deutscher“ (Selbstbezeichnung) über Ausgrenzung. Mit dem antirassistischen Impuls und dem multikulturellen Bekenntnis erlangt die Band auf Anhieb Kultstatus in der Hiphop-Szene – vor dem Hintergrund der Ausschreitungen gegen Fremde in Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Hoyerswerda.
Aber schon 1996 erscheint eine Band, die mit den gleichen Worten die Diskriminierung der Ostdeutschen als Ostnigger „auf der gleichen Stufe wie Asylanten“ beklagt. Hier beginnt die Wanderung der Formel nach rechts. Zunächst von der zitierten Ossi Power zur Naziband Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten in ihrem Lied Tolerant und geisteskrank auf der CD Adolf Hitler lebt! (2010). Von da geht’s gleich zur NPD.
Und seit 2016 hören wir von der AfD den schönen Reim: „Heute sind wir tolerant und morgen fremd im eigenen Land.“ Die Übergabe von der NPD zur AfD erfolgt auf offener Bühne. Alexander Gauland hält am 2. Juni 2016 auf dem Marktülatz in Elsterwerda 2016 eine Rede. Jemand aus dem Publikum hält ihm ein Schild entgegen. Gauland nickt und liest die Aufschrift laut ab: „Heute sind wir tolerant – und morgen fremd im eigenen Land“ und baut es zustimmend in seine Rede ein.
Der Journalist Sammy Khamis fasst zusammen:
„Menschen mit rechter Gesinnung kopieren, was ihre politischen Gegner als Strategien erfunden haben. Kaum ein Beispiel zeigt das so eindringlich wie der Satz „Fremd im eigenen Land“, der in der jungen Rapkultur geprägt wurde und heute bei AfD und NPD gelandet ist.“
Und auch der Erfinder, Henrik Broder, hat sich seit 1979 nach rechts bewegt, wenn auch nur bis zur „Achse des Guten“, einem rechtskonservativen Politblog. Aktuell Feuilleton
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