Bundesverfassungsgericht
Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen verfassungsgemäß
Eine muslimische Rechtsreferendarin aus Hessen unterlag mit ihrer Verfassungsbeschwerde vor dem höchsten deutschen Gericht: Das Kopftuchverbot im Gerichtssaal ist verfassungsgemäß. Hessische Justizministerin begrüßt den Beschluss, Muslime kritisieren ihn als falsches Signal.
Freitag, 28.02.2020, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 27.02.2020, 23:04 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Bundesländer dürfen Rechtsreferendarinnen das Tragen eines muslimischen Kopftuches im Gerichtssaal verbieten. Auch wenn solch ein Kopftuchverbot die im Grundgesetz geschützte Glaubensfreiheit einschränke, sei es im Hinblick auf die „weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege“ zulässig, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss. (AZ: 2 BvR 1333/17)
In dem Rechtsstreit ging es um hessische Regelungen für das zweijährige Rechtsreferendariat, das in der juristischen Ausbildung vorgesehen ist. Danach müssen sich die Auszubildenden bei öffentlichkeitswirksamen Tätigkeiten, etwa auf der Richterbank oder bei Zeugenvernehmung, „religiös neutral“ verhalten. Im entschiedenen Fall wollte eine Muslimin aus Frankfurt am Main in ihrem Rechtsreferendariat immer ihr muslimisches Kopftuch tragen. Dies empfinde sie als ihre religiöse Pflicht. Die Vorschriften verletzten sie unzulässig in ihrer Glaubensfreiheit.
Ebenso wie der Hessische Verwaltungsgerichtshof hielt das Bundesverfassungsgericht das Kopftuchverbot bei bestimmten Tätigkeiten jedoch für verfassungsgemäß. Zwar stelle es eine Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit der Muslimin dar. Diese Einschränkung sei aber „verfassungsrechtlich gerechtfertigt“. Denn der Staat müsse das Gebot der „weltanschaulich-religiösen Neutralität“ befolgen.
Hessische Justizministerin begrüßt Beschluss
Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) begrüßte den Karlsruher Beschluss. „Das Gericht hat mit dieser wegweisenden Entscheidung ein wichtiges Signal zugunsten der weltanschaulichen Neutralität staatlicher Institutionen gesetzt“, sagte sie am Donnerstag. Der visuelle Eindruck einer Befangenheit müsse von vornherein vermieden werden, betonte die Ministerin.
Auch der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jan-Marco Luczak (CDU), verwies auf das weltanschaulich-religiöse Neutralitätsgebot. „Die Funktionsfähigkeit der Justiz nähme Schaden, wenn Bürger nicht auf die strikte Neutralität der rechtsprechenden Gewalt vertrauen könnten. Ein Kopftuch, das von einer Repräsentantin des Staates, sei es auch von einer Referendarin im juristischen Vorbereitungsdienst, getragen wird, kann dieses Vertrauen erschüttern“, erklärte er in Berlin.
Muslime: Entwürdigend und diskriminierend
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) kritisierte die Entscheidung als „enttäuschend“ und als ein „Rückschritt“. Der stellvertretenden ZMD-Vorsitzenden und Rechtsanwältin Nurhan Soykan zufolge zementiert Karlsruhe, „dass kopftuchtragende Rechtsreferendarinnen letztlich als Referendarinnen zweiter Klasse behandelt werden“. Sie müssten anders als ihre Kolleginnen, die neben dem Richter auf der Richterbank sitzen dürfen, auf der Zuschauerbank Platz nehmen. „Das ist entwürdigend und diskriminierend“, erklärte Soykan. In der Begründung schwinge auch mit, dass der Justizdienst weiterhin bestimmten Bevölkerungsgruppen verschlossen bleiben soll. „Wieder einmal betrifft dieser Ausschluss exklusiv hervorragend ausgebildete, kopftuchtragende Frauen“, so Soykan.
Kritik äußerte auch die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) und verwies auf das Sondervotum des Verfassungsrichters Maidowski. Er hatte sich der Entscheidung „weder in der Begründung noch im Ergebnis“ angeschlossen. Der IGMG zufolge hebelt der Beschluss nicht nur die grundgesetzlich geschützte Ausbildungsfreiheit aus, sondern stellt für Musliminnen auch ein faktisches Berufsverbot dar. „Mit dieser Entscheidung haben die Richter Musliminnen, die ohnehin mehrfach von Diskriminierung betroffen sind, noch ein Stück weiter ausgegrenzt“, erklärte die Vorsitzende der IGMG-Frauen Aynur Handan Yazıcı.
Linke: Chance verpasst
Die Linke sieht in der Entscheidung eine verpasste Chance, „die Diskriminierung von kopftuchtragenden muslimischen Rechtsreferendarinnen zu beenden“. Christine Buchholz, religionspolitische Sprecherin der Linksfraktion erklärte: „Im Jahr 2015 hat das Bundesverfassungsgericht das Kopftuchverbot bei Lehrerinnen zu Recht als Eingriff in die Religionsfreiheit verurteilt. Für mich ist es nicht nachvollziehbar, warum nun Referendarinnen mit Kopftuch keine hoheitlichen Funktionen übernehmen können.“
Die religiöse Neutralität des Staats werde gewährleistet durch die Neutralität der Institution. Die religiöse und weltanschauliche Vielfalt der Beschäftigten widerspreche nicht der Neutralität des Staates. „Die Kruzifixe in bayrischen Gerichten und Amtsstuben stellen die Neutralität in Frage, nicht das Kopftuch einer Rechtsreferendarin“, so Buchholz weiter. Der Beschluss unterstelle indirekt, dass muslimische Juristinnen mit Kopftuch nicht in der Lage wären, sich der staatlichen Neutralität angemessen zu verhalten. „Das ist eine in sich diskriminierende Annahme“.
Der Entscheidung zufolge kann auch die negative Religionsfreiheit Dritter – also die Freiheit anderer Menschen, keiner oder einer bestimmten Religion anzugehören – beeinträchtigt sein, wenn eine Amtsträgerin ein muslimisches Kopftuch trägt. Für die Verfassungsmäßigkeit des Kopftuchverbotes im Rechtsreferendariat spreche zudem, dass es nur bei wenigen öffentlichkeitswirksamen Tätigkeiten, also nicht pauschal verboten sei. (epd/mig) Aktuell Recht
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