Afrozensus
Schwarze Menschen in Deutschland kämpfen gegen Rassismus
Mehr als eine Million schwarze Menschen leben in Deutschland. Gegen rassistische Anfeindungen wegen ihrer Herkunft oder Hautfarbe setzen sie sich zur Wehr. Erstmals soll ein "Afrozensus" mehr über ihre Lebenssituation herausfinden.
Von Alexander Lang Freitag, 20.03.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 20.03.2020, 0:25 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Tyfanie Nzila-Balley ist eine starke Frau, die Rassisten die Stirn bietet. Wie viele andere schwarze Menschen in Deutschland wird auch die Ludwigshafenerin immer wieder angefeindet und muss sich rassistische Sprüche wegen ihrer afrikanischen Herkunft und ihrer dunklen Hautfarbe anhören. „Angst zu haben, ist nie gut“, sagt die 38-jährige gebürtige Kongolesin. Man sollte gegen Rassismus seine Stimme erheben. Die Vereinten Nationen haben den 21. März zum Welttag gegen Rassismus erklärt.
„Wir müssen einfach den Menschen sehen und nicht seine Hautfarbe“, erklärt Balley, die seit 1997 in Deutschland lebt. Als eine Botschafterin der Evangelischen Kirche der Pfalz wirbt sie in einem Filmspot für eine vielfältige Kirche, die „dynamischer, frischer, jünger“ wird, wie sie sagt.
Rassismus ist ein strukturelles Problem
Zehn Jahre arbeitete sie als Filialleiterin im Einzelhandel. Dass manche weiße Menschen ihr zunächst diesen Job nicht zutrauten, „zerrte am Selbstbewusstsein“, erinnert sie sich. Um sich durch Rassismuserfahrungen nicht zu tief verletzen zu lassen, habe sie sich „antrainiert“, auf andere zuzugehen, auch manchen boshaften oder gedankenlosen Spruch mit Humor zu nehmen.
Schwarze Menschen in Deutschland sind im vergangenen Jahrzehnt sichtbarer geworden, ist die Einschätzung von Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland mit Sitz in Berlin. Sie machten selbstbewusst auf sich aufmerksam, wollten besser wahrgenommen werden und widersetzten sich rassistischen Strukturen, die sie ausgrenzten. „Deutschland hat ein strukturelles Problem mit Rassismus“, konstatiert Della, der in München geboren wurde.
Der erste „Afrozensus“
Laut Statistischem Bundesamt lebten 2018 rund eine Million Menschen in Deutschland, die selbst oder deren Eltern in Afrika geboren wurden. Hinzu kommen schwarze Deutsche oder schwarze Menschen aus Ländern wie den USA oder Frankreich. Um mehr über ihre Lebenssituation herauszufinden, startet der Berliner Verein „Each One Teach One“ gemeinsam mit dem Think Tank „Citizens For Europe“ im April einen ersten „Afrozensus“ – eine Online-Befragung. Ziel ist es, Strategien gegen rassistische Diskriminierung und zur Unterstützung schwarzer Menschen zu entwickeln.
Rassismus gegen schwarze Menschen trete heute offener zutage als noch vor einigen Jahren, konstatiert Janice Rößler aus dem südpfälzischen Steinfeld. Ihr Vater ist ein schwarzer US-Amerikaner, die Mutter stammt aus Frankfurt am Main. Vor allem in den sozialen Netzwerken werde gehetzt, sagt die 47-Jährige. Viele Vertreter der bürgerlichen Mitte trauten sich nun, ihrem Hass freien Lauf zu lassen.
Behörden gehen Rassismus nicht nach
Ihr Auto wurde mit Hakenkreuzen beschmiert, sie erhielt anonyme Anrufe, ihre Kinder wurden rassistisch beschimpft. Meist gingen die staatlichen Behörden Anzeigen wegen Rassismus nicht mit dem nötigen Nachdruck nach, kritisiert sie. Im Kampf gegen Rassismus seien Aufklärung und Bildung das Wichtigste. Bei Elternabenden an Schulen oder Ausflügen zu Gedenkstätten sollte über das Thema Rassismus informiert werden, fordert sie.
Meist trete Rassismus nicht offen, sondern verdeckt auf, ist die Erfahrung des 53-jährigen Bakkarr Kamara aus Gambia, der mit seiner weißen deutschen Frau und zwei Kindern im badischen Weingarten bei Karlsruhe lebt. Schwarzen Diskothekenbesuchern werde unter fadenscheinigen Gründen der Eintritt verwehrt. Und die Polizei kontrolliere vor allem schwarze Menschen besonders genau. Die Gesetze gegen Rassismus müssten verschärft werden, sagt er.
Eine dicke Haut gegen Rassismus
Zwar lege man sich „eine dicke Haut zu“, sagt Bakkarr. Und doch nagten rassistische Anfeindungen tief im Innern: „Weiße wissen nicht, wie schwer es ist, wenn man als Mensch wegen seiner Hautfarbe verletzt wird.“ Um schwarzen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, sei es nötig, deren Gefühle und Wünsche wahrzunehmen und auf rassistische Sprache zu verzichten. „Warum muss man das Schimpfwort ‚Neger‘ verwenden, das Schwarze verletzt?“
Sein 20-jähriger Sohn Noah pflichtet ihm bei: Manche nicht schwarze Menschen verhielten sich taktlos – auch um ein „Machtgefälle“ deutlich zu machen, sagt der Informatikstudent. Er versuche, rassistische Sprüche an sich abperlen zu lassen. Klar nerve es, wenn man zum x-ten Mal „wo kommst Du her?“ gefragt werde. Oft seien weiße Menschen auch unsicher und hätten Angst, sich falsch zu verhalten. Seine Schwester, die 14-jährige Salima, ergänzt: „Es tut doch keinem weh, wenn man Schokokuss sagt.“
„Das geht mir ins Herz.“
Fridah Vogel (39), die im badischen Bruchsal-Heidelsheim lebt, lässt sich von Rassisten nicht einschüchtern. Hart habe sie kämpfen müssen, um sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, sagt die Mutter von zwei Kindern, die aus Kenia stammt. Sie arbeitet in einem Altenpflegeheim, schließt gerade eine Ausbildung zur Altenpflegerin ab.
Geschockt war ihre Familie, als ein alter Mann vor einigen Jahren ihren Sohn mit dem Besen verjagte: „Ich kann so ein Verhalten nicht verstehen, Afrikaner sind gastfreundschaftlich.“ Bei ihrer Arbeit im Pflegeheim komme es immer wieder vor, dass Senioren ihre Haut berührten. „Sie sagen mir, dass sie noch nie mit einem Menschen mit dunkler Hautfarbe gesprochen haben.“ Es gebe Leute, die ihr vertrauten, sagt sie: „Das geht mir ins Herz.“ (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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