Nebenan
Business as usual in Zeiten von Corona?
Ich habe Verständnis für die Corona-Forderungen der Mediziner. Dennoch dürfen der Politik so weitreichende Maßnahmen nicht zur Verfügung stehen. Dies ist die Büchse der Pandora, die starke Führer in schweren Zeiten opportun erscheinen lässt.
Von Sven Bensmann Dienstag, 24.03.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 24.03.2020, 14:54 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Bei aller Panikmache ist doch eigentlich alles business as usual. In der großen Toilettenpapierknappheit von 2020 sind es nämlich auch nur weiter die alten Denkmuster, die unser Leben bestimmen.
So versucht die Große Koalition halt Politik als alternativlos zu verkaufen, die AfD ist weiter in erster Linie mal dagegen, wogegen auch immer das ist, und die Hilfspakete für die Banken stehen auch schon. Denn soviel ist sicher: Gewinne werden privatisiert, Verluste werden vergesellschaftet. Unternehmerisches Risiko ist als Konzept überholt, ab jetzt wird nur noch umverteilt: von unten nach oben. Arme sind zwar systemrelevant, aber wie arm man am Ende ist, ist es nicht.
Die AfD hat gleichzeitig, dass muss man so klar sagen, die Scheiße am Schuh. Und wie der große Fußball-Philosoph Andy Brehme dereinst sagte: „Haste Scheiße am Schuh, haste Scheiße am Schuh.“ Da wäre beispielsweise die Beobachtung des Flügels durch den Verfassungsschutz wegen erwiesener Verfassungsfeindlichkeit; da wäre der Versuch den Flügel wegen Verfassungsfeindlichkeit aufzulösen, ohne dessen Mitglieder auszuschließen, der aufgrund von Corona unterbrochen werden musste; und da ist die Ratlosigkeit angesichts geschlossener Grenzen, die die AfD doch immer forderte und die nun umgesetzt wird.
Was geschlossene Grenzen auch bedeuten können, wird nämlich mittlerweile sogar vielen Nationalisten klar: Därr doitsche Sparrgäl, auf den die „Politics of Yesterday“-Ikone Christian Lindner im letzten Jahr noch ein flammendes Plädoyer hielt, wird in dieser Saison womöglich in der Erde vergammeln, weil all die ausländischen Erntehelfer, auf die Deutschland nicht nur bei der Spargelernte angewiesen ist, plötzlich fehlen – immerhin werden noch die Klos geputzt. Noch.
Vielleicht ließen sich für beides ja schlicht AfD’ler zwangsverpflichten, damit die Wirtschaft läuft. Würde doch funktionieren: Wer letztes Jahr noch auf die Straße gegangen ist und „Ausländer raus!“ gefordert hat, muss jetzt den Arbeitsplatz eines polnischen Arbeitssklaven übernehmen und mit sechs Mann auf demselben Zimmer wochenlang deutlich unterhalb des Mindestlohns seinen Rücken ruinieren, damit der Rest von uns billiges Gemüse in den Müll werfen kann. Fordern und Fördern.
Auch das haben wir dieser Tage schließlich gelernt: Das Land darf ruhig stillstehen, die Menschen eingesperrt werden in den eigenen Wohnungen – Würde des Menschen, blabla – die Wirtschaft muss halt laufen. Der totalitäre Primat der Wirtschaft gilt also. Der Totalitarismus, in Deutschland früher einmal undenkbar, wenn nicht verknüpft mit dem moralischen Imperativ „Nie wieder!“, erhebt seine hässliche Fratze über Deutschland und alle machen mit. Wofür früher einmal Braunhemden marschieren mussten, reichen heute ein paar Rendergrafiken von Viren in den Hauptnachrichten. Politischer Widerstand ist nicht feststellbar, lediglich ein Haufen soziale Trinker finden sich noch draußen – auch angesichts dieses Erfolges dürften die Bernd Höckes und Götz Kubitscheks des Landes vor Neid erblassen.
Auch wenn mein Verständnis für die Forderungen der Mediziner groß ist: Diese Einschnitte, die aktuell in das Leben der europäischen Bürger durch deren Politik vorgenommen werden, schreien nach politischem Ungehorsam. Der Politik einer bürgerlichen Republik, eines demokratischen Staates, dürfen Maßnahmen wie diese nicht zur Verfügung stehen. Dies ist die Büchse der Pandora, die starke Führer in schweren Zeiten opportun erscheinen lässt – und die Demokraten spielen mit. Der Wirtschaft wegen.
Während bisher also für Klimakrise, Reparaturen von Eisenbahnbrücken – Investitionen in die Zukunft generell – natürlich kein Geld da war, weil die schwarze Null das zentrale Dogma deutscher Politik ist, werden jetzt die Kassen geöffnet: um private Verluste zu Vergesellschaften. Kein Unternehmer soll von HartzIV leben müssen. Meinung
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Kommentar zum Artikel „Business as usual in Zeiten von Corona?“ Die Befürchtung, dass es so ist oder so kommt, wie Sie schreiben, habe ich auch. Was schlagen Sie vor? Leider habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass aus meiner Sicht Betriebe sehr unterschiedlich behandelt zu werden scheinen. Von einigen erfahre ich, dass strenge Regeln aufgestellt werden, häufig Polizei und Ordnungsamt das prüfen und diese Betriebe kurz vor der Schließung stehen. Bei anderen läuft der Betrieb nahezu kaum eingeschränkt. In beiden Fällen finde ich das Besorgnis erregend. Das sind natürlich nur subjektive Eindrücke und wahrscheinlich kann ich das auch gar nicht einschätzen. Dennoch bin ich hoch verunsichert darüber und empfinde meine Grundrechte nicht besonders gut geschützt. Angesichts der gegenwärtigen Lage befürworte ich natürlich bestimmte Regeln, aber diese sollten unbedingt verhältnismäßig und nachvollziehbar sein sowie entsprechend begründet werden. Gegen eine demokratische Legitimation dieser Regeln wäre natürlich auch nichts zu sagen. Zudem möchte ich an dieser Stelle die Frage aufwerfen, wie ich mich überhaupt dagegen wehren könnte, wenn ich bestimmte Eingriffe oder Einschränkungen zu weitgehend oder als unzureichend empfinde.
Ich finde es wichtig und gut, dass es langsam auch wieder kritische Stimmen gibt und gerade die jetzt stattfindende Einschränkung wird irgendwann dringend diskutiert werden müssen.
Etwas irritiert bin ich aber über die etwas unklare Trennung der „Maßnahmen „ wie sie im Artikel vorgenommen ist. Denn zumindest die Regelungen, die derzeit unsere Freiheitsrechte einschränken stehen ja nun wenig im Dienste der Wirtschaft ( es sei denn man ginge hier von Lobbyismus der Lebensmittel – und Onlinebranche aus). Oder sind mit „Maßnahmen“ die diversen Rettungspakete gemeint? Wieso dann der Bezug zu Medizinern?