Rassismus
Vor der Corona-Pandemie: Die Clan-Hysterie
Shisha-Bars sind seit Jahren Ziel polizeilicher Maßnahmen. Regelmäßig werden aufwändige Razzien durchgeführt. Bekämpft wird die sogenannte Clan-Kriminalität. Bei genauem Hinsehen wird ein Muster deutlich, den Politik und Polizei Hand in Hand zeichnen: Rassismus.
Von Leon Wystrychowski Mittwoch, 01.04.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 01.04.2020, 11:20 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Die Beschränkungen des öffentlichen Lebens durch Corona bringen zurzeit große Teile des Einzelgewerbes in Existenznot. Vor allem Cafés, Restaurants und Bars droht das Aus. Während zumindest die Lebensmittelgastronomie auf Lieferdienste sowie Essen und Trinken to Go umsteigen kann, bleiben Bars und Shisha-Cafés ganz geschlossen.
Letztere waren schon vor der Corona-Pandemie einer anderen Art von Heimsuchung ausgesetzt: Seit 2017 sind Shisha-Bars zunehmend Ziel polizeilicher Maßnahmen. Dies betrifft insbesondere Lokale in Berlin, in Frankfurt am Main und im Ruhrgebiet. Regelmäßig wurden aufwändige Razzien1 durchgeführt. Polizei und Politik gaben an, es gehe gegen die „organisierte Kriminalität“, also Drogen-, Waffen- und Menschenhandel – begangen von arabischen und kurdischen „Familien-Clans“.
Pauschale Kriminalisierung
Immer wieder wiesen Kritiker darauf hin, dass die Ausbeute der Razzien in keinem Verhältnis zum Aufwand stünde. Meist ging es um unversteuerten Shisha-Tabak, Marihuana, hin und wieder auch Hieb- und Stichwaffen oder Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz. Selbst in der Polizei gibt es Stimmen, die die Polizeieinsätze als öffentlichkeitswirksame Show-Einlagen ohne Wirkung bezeichneten. Die Beamten treten zum Teil schwerbewaffnet auf und schüchtern die Betroffenen, meist jugendliche Gaststätten-Besucher, entsprechend ein.
Zudem gibt es Berichte von brutalen Übergriffen und Beleidigungen durch Polizisten etwa in Essen und Dortmund. Wie Anwälte und Menschenrechtsorganisationen seit langem beklagen, gibt es für Opfer von Polizeigewalt in Deutschland kaum Möglichkeiten, sich gegen diese zu Wehr zu setzen oder Täter zu belangen. Teile von Linkspartei und Grünen kritisierten indes, die Kampagne gegen sogenannte „Clans“ sei rassistisch. Und selbst einzelne Vertreter von SPD und FDP äußerten Kritik.
„Die Repression richtete sich also gegen eine gesellschaftliche Gruppe, die ohnehin schon oft in mehrfacher Hinsicht von rassistischer und sozialer Ausgrenzung betroffen ist.“
Shisha-Bars sind vor allem für junge männliche Migranten, denen der Zugang zu Diskotheken und anderen Kultur- und Gastronomiebetrieben häufig verwehrt bleibt, ein Anlaufort. Die Repression richtete sich also gegen eine gesellschaftliche Gruppe, die ohnehin schon oft in mehrfacher Hinsicht von rassistischer und sozialer Ausgrenzung betroffen ist, und entzieht dieser ein weiteres Mal die Möglichkeit, ungestört Freizeitangebote wahrzunehmen.
Frustration, Wut und Aggression sind die Folgen, wenn Menschen gedemütigt und – bei den Razzien wortwörtlich – mit dem Rücken an die Wand gedrängt werden. Die Polizei, die sich regelmäßig darüber beklagt, nicht ausreichend respektiert zu werden, trägt mit solchen Maßnahmen selbst zur Verbreitung dieser Haltung bei.
Rassismus mit Folgen
Mohammed Ali Charour von der Neuköllner Initiative „Kein Generalverdacht“ macht in einem Interview aber vor allem die regierenden Parteien verantwortlich: „Diese Clans sind ein unglaublich deutsches Phänomen, denn der deutsche Staat hat versagt, diesen Menschen Perspektiven zu bieten, viel mehr wird ihnen Partizipation sogar verwehrt“, kritisiert er. Um von den eigenen Fehlern und den sozialen Wurzeln des Problems abzulenken, würde nun das Phänomen in den Fokus genommen und die Betroffenen verantwortlich gemacht.
Dabei gerieten pauschal Menschen mit arabischen, türkischen und kurdischen Wurzeln ins Fadenkreuz. Besonders betroffen sind zudem Jugendliche, deren Nachnamen in der Öffentlichkeit mittlerweile mit angeblichen „Clans“ assoziiert werden. Dadurch geraten sie sozial wortwörtlich in Sippenhaft, nicht nur bei Polizeikontrollen, sondern auch in der Schule, beim Amt oder der Jobsuche.
„Neben Shisha-Bars gerieten kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie auch sogenannte „Baber-Shops“ in den Fokus. Hier fällt auf, dass man bewusst einen nicht-deutschen Begriff nutzt. „Friseur-Razzia“ klänge albern und würde sich daher kaum zur Erzeugung von Angst in der deutschen Mehrheitsbevölkerung eignen.“
Auch der Begriff der „Clans“ selbst wird kritisiert. Es gibt keine einheitliche soziologische, ethnologische oder juristische Definition. Dafür knüpft das Wort an koloniale Bilder „primitiver“ Gesellschaften an. In der Pop-Kultur – Filme, Bücher, Computerspiele – sind es zudem meist nicht-menschliche, wilde Wesen, die in „Clans“ organisiert sind.
Neben Shisha-Bars gerieten kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie auch sogenannte „Baber-Shops“ in den Fokus. Hier fällt auf, dass man bewusst einen nicht-deutschen Begriff nutzt. „Friseur-Razzia“ klänge albern und würde sich daher kaum zur Erzeugung von Angst in der deutschen Mehrheitsbevölkerung eignen. Die Kombination fremdsprachiger Schlagwörter mit dem Thema Gewalt jedoch funktioniert sehr gut. Dieses als Framing bezeichnete Phänomen ist bei der Feindbildproduktion bekannt.
Nährboden für rassistische Gewalt
Im vorherrschenden Islamdiskurs etwa sind Begriffe wie „Jihad“ und „Burka“ oder Sätze wie „Allahu akbar“ mittlerweile mit einem bestimmten, negativen Sinn behaftet, der meist nicht der eigentlichen Bedeutung entspricht. Diese sinnverknüpfende und oft entmenschlichende Sprache findet sich im Kontext der „Clan-Kriminalität“ immer wieder. Zuletzt verglich NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) den Kampf gegen die Corona-Pandemie mit der Kampagne gegen die „Clans“. Auch solche Gleichsetzungen mit Krankheiten sind für die Rassismusforschung nichts Neues.
„Während nach den Morden in Hanau zwar auch in vielen Medien Kritik an der bei jedem rechten Anschlag behaupteten Einzeltäter-Darstellung aufkam, wurde ein naheliegender Gedanke nicht geäußert: Dass der mutmaßliche Mörder Tobias R. ausgerechnet ein Shisha-Café zum Anschlagsziel machte, dürfte kein Zufall gewesen sein.“
Diese ständig wiederholten Darstellungen verfangen. Die gefühlte Unsicherheit steigt, obwohl die reale Kriminalität sinkt. Wie Medienwissenschaftler und Rassismusforscher seit Jahren warnen, bilden diese Art von Diskursen vor allem aber den Nährboden für rassistische Gewalt.
Während nach den Morden in Hanau zwar auch in vielen Medien Kritik an der bei jedem rechten Anschlag behaupteten Einzeltäter-Darstellung aufkam, wurde ein naheliegender Gedanke nicht geäußert: Dass der mutmaßliche Mörder Tobias R. ausgerechnet ein Shisha-Café zum Anschlagsziel machte, dürfte kein Zufall gewesen sein. Vielmehr sind diese Bars durch die Razzien und die Berichterstattung neben Moscheen zu dem Symbol für angebliche „Parallelgesellschaften“ und „Überfremdung“ geworden.
Diese Vermutung wird durch die Tatsache verstärkt, dass es kurz nach dem Anschlag in Hanau zu mutmaßlichen Nachahmungstaten in Essen, Stuttgart und im sächsischen Döbeln kam. Diese Frage aufzuwerfen hätte wohl aber zu sehr das Handeln von Politik und Polizei sowie das der Medien selbst infrage gestellt. Das Magazin „Focus“ lieferte kurz nach dem Anschlag ein weiteres Beispiel für die tendenziell rassistische Berichterstattung, indem er von „Shisha-Morden“ sprach, was Erinnerungen an den medialen Umgang mit dem NSU-Terror weckte.
Vorbild Duisburg-Marxloh?
Der Kampagne gegen die Shisha-Bars ging jene um die sogenannten „No Go-Areas“ voraus. 2015 behaupteten die Polizeigewerkschaften DPolG und GdP, Teile Duisburgs, Essens und Dortmunds stünden angeblich unter Kontrolle „ausländischer Familien-Clans“. Es folgten reißerische Medienberichte, Bundeskanzlerin Merkel besuchte öffentlichkeitswirksam Duisburg-Marxloh, um „besorgten Bürgern“ ihr Ohr zu schenken und die Landespolizei richtete sich an der zentralen Kreuzung Pollmann ein, installierte Überwachungskameras und kontrollierte Menschen, denen sie aufgrund ihres Aussehens einen Migrationshintergrund unterstellte.
„Die Medien nahmen ihre Leser mit auf Stadtrundgänge über den Marxloher „Basar“ und beobachteten „lungernde“ Jugendliche. Sie sprachen von „Massenkriminalität“, davon dass sich ganze Straßenzüge in der Hand libanesischer oder kurdischer Familien befänden und die Polizei sich nicht ohne Verstärkung in die Gegend traue.“
Die Medien nahmen ihre Leser mit auf Stadtrundgänge über den Marxloher „Basar“ und beobachteten „lungernde“ Jugendliche. Sie sprachen von „Massenkriminalität“, davon dass sich ganze Straßenzüge in der Hand libanesischer oder kurdischer Familien befänden und die Polizei sich nicht ohne Verstärkung in die Gegend traue. Das „Duisburger Netzwerk gegen Rechts“ dagegen berichtete in einer Stellungnahme von gewalttätigen „Übergriffen und rassistischen Beleidigungen durch Beamte“ gegen Jugendliche und sprach von der „Legende von der ‚No Go-Area‘“.
Sylvia Brennemann, engagierte Marxloherin und in mehreren Duisburger Initiativen aktiv, erklärt gegenüber MiGAZIN: „Marxloh war das Vorspiel, bevor man auch in anderen Städten im Ruhrgebiet solche Aktionen durchgeführt hat. Unter dem Vorwand der Kriminalitätsbekämpfung wurde hier mehr als ein Jahr lang ein ganzer Stadtteil stigmatisiert und kriminalisiert und die Menschen in ihrem Alltag eingeschränkt, belästigt und bedrängt.“
Auch damals beschränkten sich die festgestellten Vergehen zumeist auf Ordnungswidrigkeiten, wie Abbiegen ohne Blinker, Autofahren ohne angelegten Gurt oder den Besitz von Rauschmitteln in geringem Umfang. Das Ziel sei aber erreicht worden, so Brennemann: „Der Polizei NRW und ihren Interessensvertretern ging es darum, dass Budget für mehr Beamte und Ausrüstung locker gemacht und ihre Befugnisse ausgeweitet werden. Die Lokal- und Landespolitik wollte von ihrem Versagen in der Sozialpolitik ablenken. Für die war es eine Win-win-Situation, auf Kosten der Marxloher.“
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Mohammed Ali Charour von der Neuköllner Initiative „Kein Generalverdacht“ hat meines Wissens (Reportagen im Deutschlandfunk) darin recht, dass viel zu wenig für die Integration dieser Menschen getan wurde. (Ich – Ossi – habe nie verstanden, weshalb sich die CDU so vehement gegen Regeln für die Einwanderung gewehrt hat, obwohl diese unter ihrer Regierung gewollt begonnen wurde.) Rechtfertigt das aber Kriminalität , religiösen Fanatismus und Rechtsverletzung (wie beim Bau der Moschee in Neukölln)??
Umgekehrt sind Rechtsverletzungen durch Beamte, Rechtsextreme u. a. genausowenig gerechtfertigt.