Podcast
„Uns sozialen Aufsteigern wird nichts geschenkt“
In Deutschlands oberen Etagen gibt es kaum Beschäftigte, die aus prekären Verhältnissen kommen. Natalya Nepomnyashcha, Gründerin des sozialen Startups „Netzwerk Chancen“, erklärt im Podcast-Interview, warum das so ist - und was man dagegen tun kann.
Donnerstag, 28.05.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 27.05.2020, 11:49 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
2016 gründete Natalya Nepomnyashcha das soziale Startup „Netzwerk Chancen“. Ziel: Alle in Deutschland sollen die gleichen Chancen haben – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Der Grund, weshalb sie sich ausgerechnet mit dieser Diversity-Dimension beschäftigt, hat etwas mit ihrer persönlichen Geschichte zu tun. „Die Steine auf meinem Weg wurden in erster Linie nicht gelegt, weil ich eine Frau, eine Migrantin oder eine Deutsche mit Migrationshintergrund bin, sondern weil ich aus einer sehr, sehr bildungsfernen Schicht komme“, erklärt Nepomnyashcha im Podcast-Interview „DiversityFM“.
Im Gespräch wird deutlich, was das konkret bedeutet. Die Startup-Gründerin erklärt, dass sie sich als Jugendliche selbst durch die Schule kämpfen musste, weil ihre Eltern das Bildungssystem nicht verstanden. Viele soziale Aufsteiger/innen könnten davon berichten. Und gerade jetzt in Corona-Zeiten werde sichtbar, wie Kinder und Jugendliche aus prekären Verhältnissen am stärksten unter Kita- und Schulschließungen leiden.
Und noch etwas fällt im Gespräch auf: Während so viele Menschen, Institutionen, Unternehmen von sozialer Gerechtigkeit sprechen und sich niemand öffentlich dagegen aussprechen würde, passiert am Ende des Tages auf diesem Feld wenig. Aus Nepomnyashchas Sicht liegt dies daran, dass das Thema „nicht sexy ist und ein schmuddeliges Image hat“. Das habe zum einen damit zu tun, dass diejenigen, die das Thema treiben und sich Gehör verschaffen würden, nicht genug in den Institutionen verankert sind. Kurz gesagt: Sie haben keine Macht.
Zudem hält die Gründerin von Netzwerk Chancen es für einen Skandal, dass in den Dax-Unternehmen fast nur Manager aus gutbürgerlichen Verhältnissen sind oder in der Wissenschaft nur sieben von 400 Elite-Professuren von sozialen Aufsteiger/innen ausgefüllt sind. Studien zufolge haben viele Unternehmen, aber auch viele NGOs, Stiftungen oder auch politische Organisationen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, kaum Beschäftigte, die aus prekären Verhältnissen kommen. Oft entscheiden sich Führungskräfte für Menschen, die ähnlich sozialisiert sind. Nicht zu Unrecht heißt es: „Pinguine stellen Pinguine ein“ – also Mitarbeitende, die einem im Denken und im Habitus ähneln. Das wisse man aus der Forschung. Und gerade in Bewerbungsgesprächen spielten gerade subtile, unterbewusste Mechanismen eine große Rolle.
Info: Im Podcast „DiversityFM“ spricht Fuzum Ghirmazion mit klugen und empowernden Menschen über sein Herzensthema Diversity. Dafür spricht er mit stillen Held*innen. Der Podcast ist auf Spotify, iTunes, YouTube zu hören. Weitere Infos gibt es auf Instagram oder Facebook unter „DiversityFM_Der Podcast“.
Aber es seien auch ganz banale Situationen, wie Nepomnyashcha beschreibt: „Es sind Momente, wo du vielleicht auf einer Party oder einer Veranstaltung bist und nicht mitreden kannst. Weil du als Kind vielleicht nicht dieselben Serien gesehen oder dieselben Bücher gelesen hast. Weil du dich vielleicht anders anziehst. Weil du dich anders ausdrückst. Weil du vielleicht auch anders stehst. Es sind sehr, sehr viele eher subtile Sachen, die einem aber doch auffallen. Und man mitbekommt, dass man anders ist.“
Die meisten Menschen, gerade Menschen mit Macht, entschieden sich in der Regel gegen soziale Aufsteiger/innen – wenn diese es denn überhaupt durch das selektive Schulsystem schaffen. Es brauche also letztendlich ein Bewusstsein dafür. Vielleicht auch eine Imagekampagne, wie Nepomnyashcha vorschlägt. Eventuell auch eine Zielvorgabe. Sie spricht von einer „Arbeiterkind-Quote“, damit sich tatsächlich etwas ändert und wir sozial diverser aufgestellt sind. Dazu gehört übrigens auch soziale Herkunft endlich ganz klar als Diversity-Faktor angesehen wird. Nepomnyashchas Geschichte und ihre Initiative machen deutlich, dass es höchste Zeit wird.
Ein Anliegen von Netzwerk Chancen sei es deshalb, die Stärken von sozialen Aufsteiger/innen sichtbar zu machen und zu fördern. In diesem Zusammenhang nennt Nepomnyashcha zum einen die Fähigkeit, sich durchzusetzen, weil sie sich durchbeißen mussten und auch nach etlichen fehlgeschlagenen Bewerbungen und „Neins“ immer wieder zurückkamen. Sie sagt dazu: „Man muss einfach aufstehen. Es wird uns nichts geschenkt, uns sozialen Aufsteigern. Wir müssen da sehr, sehr hart bleiben.“ Dadurch entsteht „auch eine gewisse Härte sich selbst gegenüber. Denn wenn du ständig kämpfen musst, härtest du natürlich irgendwann ab.“ Zudem lernten soziale Aufsteiger/innen, lösungsorientiert zu sein, weil sie gelernt haben, sich durch das Leben zu navigieren – trotz aller Widerstände.
Nepomnyashcha beschreibt, was Menschen aus prekären Verhältnissen fehlt: Einerseits kein Netzwerk zu haben, also nicht die Möglichkeit, durch „Vitamin B“ an Praktika, Jobs, informelles Wissen und kulturelle Codes zu kommen und dadurch zur In-Group zu gehören. Zum anderen wenig Selbstbewusstsein. Damit ist die Selbstverständlichkeit gemeint, durchs Leben mit dem Gefühl zu gehen, dass man alles schaffen kann oder im Beruf, in Meetings, auf Events oder selbst beim Mittagessen zu wissen, wie man sich zu geben hat; gewisses Wissen zu haben und sich bei bestimmten Themen auszukennen. Oder überhaupt die Selbstverständlichkeit, dazu zu gehören, sich nicht beweisen zu müssen, sich nicht zu fragen, ob man den Job gut ausfüllen wird bzw. verdient hat.
Und drittens spricht die Geschäftsführerin des sozialen Unternehmens über den Prozess der Entfremdung vom Elternhaus an, den soziale Aufsteiger/innen gehen. Damit sei vor allem gemeint, dass die eigenen Eltern nicht verstehen, was man den ganzen Tag über so macht.
Am Ende des Podcast-Gesprächs gibt Nepomnyashcha jungen sozialen Aufsteiger/innen einen Tipp, der ihr selbst auf ihrem Weg geholfen hat: „Mach dir in aller Ruhe einen Plan, überleg dir in jedem Fall gut, was du einbringen kannst; was deine ganz persönlichen Fähigkeiten sind; was deine Träume, Ideen, Visionen sind. Kontaktiere Leute, bitte sie darum, sich mal auf einen Kaffee zu treffen oder einfach mal zu telefonieren. Und auf jeden Fall einfach weitermachen.“ Aktuell Panorama
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Keine neue Erkenntnis, dass Kinder aus sog. prekären Familienverhältnissen nicht die Bildungschancen haben, die jedem
Kind zustehen sollten. Das neoliberale „Glücksverbrechen“, das jede-r
ihres und seine Glückes Schmied sei, hat diese Chancen, die unter ‚echter sozialdemokratischer Ägide mal besser waren, wieder runter gefahren. Der Autorin empfehle ich, auch hierhin Kontakt aufzunehmen:
http://arbeiterkind.de/