Die Crux mit den Begriffen
Anti-Rassismus in Deutschland muss mit Spracharbeit beginnen
"Ausländerfeindlichkeit", "Fremdenfeindlichkeit" - in Deutschland herrscht ein eklatantes Sprach- und Wahrnehmungsproblem in Sachen Rassismus. Dies gilt es zu ändern, wenn die BRD nicht hinter internationale Standards zurückfallen möchte.
Von Dr. Clara Ervedosa Freitag, 19.06.2020, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 18.06.2020, 17:57 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Der Protestwelle gegen Rassismus in den USA gelang, was weder die NSU-Morde, Thilo Sarrazins Buch, der Mord an Walter Lübcke noch die Anschläge von Halle und Hanau schaffte: das Thema Rassismus prominent in deutschen Medien zu platzieren und sogar zu Demonstrationen zu mobilisieren. Das liegt nicht nur daran, dass es leichter fällt, über die Probleme der anderen als über die eigenen zu sprechen, sondern vor allem daran, dass die Ereignisse aus den USA dem Problem Rassismus eine mit Bildern unterlegte Sprache verleihen, wofür es in Deutschland noch keine oder nur eine sehr rudimentäre gibt.
Denn hierzulande herrscht ein eklatantes Sprach- und Wahrnehmungsproblem in Sachen Rassismus, wie internationale Organisationen wie das der Antidiskriminierungsausschuss der Vereinigten Nationen (CERD), der Europarat (ECRI), Amnesty International – auch am Beispiel der Polizei – regelmäßig monieren. Dies gilt es zu ändern, wenn die BRD in puncto anti-Diskriminierungsarbeit nicht hinter internationale Standards zurückfallen möchte.
Obwohl Deutschland vor 1945 eine „hyper-rassifizierte“ Gesellschaft“ war, wie die US-Historikerin Rita Chin sie nannte, herrschte nur wenige Jahrzehnte später in der BRD die Meinung vor, dass es keinen Rassismus gäbe. So erklärte etwa ein Pädagogikprofessor der Universität Regensburg in den 1980er Jahren der Schwarzen deutschen Schriftstellerin und Pionierin der Afro-Deutschen Bewegung, May Ayim, dass Rassismus ein Problem der USA, aber nicht Deutschlands sei. Ein Echo davon findet sich in vielen Kommentaren zur #BlackLivesMatter Bewegung in den letzten Tagen.
Sprachsäuberung
Wie ist bloß dieses „Kunststück“ gelungen? Durch Spracharbeit, oder böse formuliert, durch „Sprachsäuberung“, lautet die Antwort. Indem zentrale Termini aus dem Alltagsgebrauch verschwanden, ohne dass jedoch die Ursache des Problems beseitigt worden wäre. In der öffentlichen Debatte konzentrierte man sich zudem – aus guten und nachvollziehbaren Gründen – auf Antisemitismus im Zuge der Vergangenheitsbewältigung, allerdings ohne ihn in Relation mit anderen rassistischen Erscheinungen zu bringen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede auszuloten.
„Die Vermeidung des Begriffes ‚Rassismus‘ erwies sich jedoch als fatal. Denn mittels der euphemistischen Wörter ‚Ausländerfeindlichkeit‘ oder ‚Fremdenfeindlichkeit‘ verharmloste man jahrzehntelang das Problem systematisch oder übersah es ganz.“
Wie zentral sich fehlende Begriffe auf Wahrnehmungen auswirken können, veranschaulicht das Paradebeispiel aus dem Strukturalismus: Während die Inuit Schnee differenzierter wahrnehmen, weil deren Sprachen verschiedene Begriffe für dessen unterschiedliche Nuancierungen kennen, ermöglichen Sprachen, die nur ein Wort für Schnee kennen, eine derartige feinfühligere Perzeption nicht.
Ähnlich verlief es mit dem Rassismus in Deutschland: Weil zentrale Begriffe wie „Rasse“ oder „Rassismus“ in der Alltagssprache verschwanden, konnte das Problem auch nicht angemessen benannt und wahrgenommen werden. Übrigens geschah die Tabuisierung des Begriffs „Rasse“ zu Recht, da er wissenschaftlich untragbar und auch nicht bedeutungsidentisch mit dem englischen „race“ ist. Nicht akzeptabel ist hingegen, dass kein Ersatz, wie etwa „rassistische Zuschreibung“, dafür gefunden wurde, und dass er immer noch affirmativ in Gesetzestexten, sogar im Grundgesetz und im Antidiskriminierungsgesetz, vorkommt – trotz der politischen Bestrebungen, ihn zu streichen.
Verharmlosung
Die Vermeidung des Begriffes „Rassismus“ erwies sich jedoch als fatal. Denn mittels der euphemistischen Wörter „Ausländerfeindlichkeit“ oder „Fremdenfeindlichkeit“ verharmloste man jahrzehntelang das Problem systematisch oder übersah es ganz. Rassismus wurde nicht als Weltanschauung gesehen, die das ganze System, einschließlich der staatlichen Institutionen, durchdringt und Generationen von Migrant:innen in Schulen, in Behörden, bei der Wohnungssuche, im Arbeitsmarkt um Chancen und Partizipation brachte und bringt. Stattdessen mutierte Rassismus in der Wahrnehmung vieler zu einer Sache der individuellen Einstellung – nämlich einer freundlichen oder abweisenden – gegenüber dem „Anderen“. Strukturelle Gründe werden ausgeklammert, Verantwortung individualisiert. So reden die deutsche Politik und die Medien Rassismus kontinuierlich klein.
„Stattdessen mutierte Rassismus in der Wahrnehmung vieler zu einer Sache der individuellen Einstellung – nämlich einer freundlichen oder abweisenden – gegenüber dem „Anderen“. Strukturelle Gründe werden ausgeklammert, Verantwortung individualisiert. So reden die deutsche Politik und die Medien Rassismus kontinuierlich klein.“
Zwar wird der Begriff „Rassismus“ inzwischen häufiger gebraucht, jedoch ist die Tendenz noch immer vernehmbar, ihn als rein rechtsextremes Phänomen aufzufassen, anstatt als eine Weltanschauung, die auch im deutschen Bürgertum und in den deutschen Institutionen tief verankert ist.
Man erinnere sich: Noch im Jahre 2016 debattierte man in renommierten und bildungsbürgerlichen Zeitungen ernsthaft, ob das N-Wort rassistisch sei und aus Kinderbüchern entfernt werden sollte. Noch im selben Jahr druckte die Zeitschrift des deutschen Hochschulverbandes auf der Titelseite einen „Schokokuss“, um das „Problem“ „Political Correctness“ zu veranschaulichen. Und erst vor wenigen Wochen, nach den Ereignissen in Hanau, richtete die Bundesregierung einen „Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“ ein, um ein Maßnahmenpaket gegen „Rechtsextremismus und Hasskriminalität“ zu erarbeiten. Die Absicht mag gut sein, mit dieser Namensgebung suggeriert die Politik jedoch weiterhin, dass Rassismus vor allem in der rechtsextremen Szene verankert und dass er durch ein paar Treffen von Regierungsmitgliedern mit abschließender Verabschiedung eines Maßnahmenpakets zu lösen sei.
Inzwischen prangern sogar internationale Organisationen wie das CERD, ECRI und Amnesty International ein fehlendes Sprach- und Diskriminierungsbewusstsein in Deutschland an. Vor allem kritisieren sie die polizeilichen Kategorien für die Eintragung rassistischer Vorfälle. Diese werden nämlich unter der Rubrik „politische motivierte Kriminalität“ subsumiert, obwohl Rassismus wie etwa bei Islamfeindlichkeit nicht immer mit einer direkten politischen Motivation zu tun habe. Dadurch verhindere die Polizei eine nennenswerte statistische Erhebung von rassistischen Taten, die zur Vermessung und Bekämpfung von Diskriminierung unerlässlich wäre.
Taube Ohren
„Die Polizei sowie das Bundesinnenministerium legen stattdessen weiterhin ein grundsätzliches Unverständnis für Rassismus und die darin implizierten Machtverhältnisse an den Tag, indem sie kürzlich die Kategorie „deutschfeindlich“ einführten.“
Diese Kritik stieß jedoch bis jetzt auf taube Ohren. Die Polizei sowie das Bundesinnenministerium legen stattdessen weiterhin ein grundsätzliches Unverständnis für Rassismus und die darin implizierten Machtverhältnisse an den Tag, indem sie kürzlich die Kategorie „deutschfeindlich“ einführten. Oder indem sie Termini wie Nafri, „Südländer“ oder „südländisch aussehend“ weiterhin in Polizeiberichten benutzen und damit letztendlich „racial profiling“ betreiben. Denn dadurch erklären sie Menschen aufgrund ihres Aussehens und Nicht-weißer Hautfarbe reflexartig zu Nicht-Deutschen.
Und was machen die deutschen Zeitungen? Sie drucken solche Berichte unkritisch nach. Der Presserat hat infolge der Kritik an der „Lügenpresse“ 2016 sogar den Paragraf abgeschwächt, wonach Journalist:innen vermeiden sollten, die Nationalität von Täter:innen zu erwähnen.
An Polizeibegriffen „Südländer“ oder „südländisch aussehend“ wird außerdem gut sichtbar, dass sich Rassismus in Deutschland keineswegs auf Diskriminierung gegen Schwarze Menschen reduzieren lässt, sondern viel breiter und tiefergreifender ist. In puncto Hautfarbe und Aussehen verläuft die Linie sogar strikter als in den USA. Denn schon ein mediterraner Teint reicht im heutigen Deutschland aus, um als nicht-deutsch wahrgenommen zu werden unabhängig davon, ob die Person ein deutsches Elternteil hat, in Deutschland zur Welt gekommen ist oder einen deutschen Pass besitzt.
„Die Politik bleibt dagegen weitgehend stumm, unternimmt nichts. Sie muss es auch nicht, denn Diskriminierung aufgrund des Aussehens und der Hautfarbe wird in zentralen deutschen Gesetzestexten, wie etwa im Artikel 1 des GG, nicht einmal vorgesehen.“
Stumme Politik
Die Politik bleibt dagegen weitgehend stumm, unternimmt nichts. Sie muss es auch nicht, denn Diskriminierung aufgrund des Aussehens und der Hautfarbe wird in zentralen deutschen Gesetzestexten, wie etwa im Artikel 1 des GG, nicht einmal vorgesehen. Auch im Antidiskriminierungsgesetz von 2006, wozu sich Deutschland nur dank erheblichen Drucks der EU durchrang, wird dieses Kriterium nicht berücksichtigt. Das deutsche Gesetz sieht lediglich Diskriminierung aufgrund der „Rasse“ und „ethnischer Herkunft“ vor. Aber welcher „Rasse“ oder „ethnischer Herkunft“ gehören jüdische, muslimische oder christliche Bürger:innen an, die aus der Türkei, aus Syrien, Afghanistan, Portugal, Spanien, Italien, Russland kommen, und die ohne sich auszuweisen und alleine aufgrund ihres Aussehens nicht die erwünschte Wohnung bekommen, denen der Eintritt in die Disko versperrt bleibt oder die in der Schule als „Ausländerkinder“ abgestempelt werden?!
In Wirklichkeit braucht der deutsche Rassismus nicht mal eine colour line, wie schon der Schwarze Soziologe W.E.B. Du Bois, ein Kollege Max Webers, mit Erstaunen feststellte. Du Bois, der in seiner Heimat USA den brutalen Ku Klux Klan und die race segregation entlang der Schwarz-weißen colour line schmerzvoll erlebt hatte, beobachtete während seiner drei Europaaufenthalte mit Entsetzen, mit welcher Gründlichkeit Pol:innen und Jüd:innen ausgegrenzt wurden. Damit erfüllte das damalige giftige Klima in Deutschland gegen diese Gruppen sowie das damalige Staatsangehörigkeitsrecht deren Funktion. Denn als bei dessen Verabschiedung 1913 das ihm zugrundeliegende jus sanguinis dem jus soli vorgezogen wurde, geschah dies vor allem mit der Absicht, das „Eindringen“ von Jüd:innen und Pol:innen aus dem östlichen Europa in den deutschen „Volkskörper“ zu verhindern.
Rassismus im heutigen Deutschland ist ohne diese zwei zentrale Säulen – Sprache, aber auch biologisches Abstammungsprinzip – nicht zu verstehen. Wer es bis jetzt tat und bravourös einzusetzen verstand, war die AfD, wie der Germanist Heinrich Detering erkannte. Kein Wunder also, dass ihr 70 Jahre nach dem Holocaust der Einzug in viele Landtage und in den Bundestag gelang. Gewiss auch dank der Stimme vieler bürgerlichen Wähler:innen, die sie damit anzusprechen wusste. Meinung
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