Eingeschränkte Reisefreiheit
Mit brauner Haut ins Nazinest?
Urlaubszeit, Pandemie und ich mache Ferien in Deutschland. Dabei plane ich um rassistische No-go-Areas für Schwarze herum. Vorurteile lehne ich eigentlich ab, aber sicher ist sicher. Ein Dilemma.
Von Josephine Macfoy Dienstag, 23.06.2020, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 25.06.2020, 13:35 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Mal raus aus der Stadt, das wäre schön. Berlin ist im Corona-Sommer anstrengend: Abstand halten in vollen Parks, vollen Läden, auf vollen Straßen. Wie viele andere Deutsche suche ich Meer, Strand und den weiten Blick diesmal allerdings nur innerhalb der Landesgrenzen. Also: Nord- oder Ostsee? Meine Gedanken landen in der Nähe, in der „Badewanne Berlins“, und genau da beginnt das Dilemma. Für Menschen dunkleren Teints bietet Mecklenburg-Vorpommern nämlich nicht nur paradiesische Küsten, das Bundesland ist ebenso behaftet mit Meldungen, die Angst machen: „Neonazis gründen Wehrsportgruppe“, „Ein Dorf als nationalbefreite Zone“, „Über 50 Prozent für rechte Parteien“ – Grevesmühlen, Jamel, Usedom.
Und der Rapper Marteria erzählt, wie normal es in seiner Jugend in Rostock war, vor rechten Schlägern wegzurennen. „Alle Menschen, die sie zu ihren Feinden auserkoren haben – sei es aufgrund ihrer politischen Einstellung, ihrer vermeintlichen Herkunft oder ihrer sexuellen Orientierung – können weiterhin Ziel von brutalen Attacken werden“, schätzt im Februar diesen Jahres die Landes-Linke die rechte Kampfsportszene in Meck-Pomm ein. Urlaub bei Nazis? In meinem Kopf steht Ost- gegen Westdeutschland. Das ist furchtbar, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung.
Fremd sein ist Genuss und Gefahr
Natürlich ist das verkürzt, es gibt so viele Menschenfreunde, Demokraten und völlig unpolitische Ostdeutsche, weiß ich doch, kenne ich doch, und: #diesindmehr. Natürlich geht auch nicht jeder AfD-Wähler und unzufriedene Wutbürger gleich auf Menschenjagd. Und auch im Westen gab es etwa Anschläge auf Unterkünfte für Geflüchtete, es gab Hanau. Proportional zur Bevölkerungsdichte allerdings werden in den „neuen“ Bundesländern wesentlich häufiger Menschen Opfer rassistischer Bedrohungen. Weit vorne liegt dabei auch immer wieder Berlin, doch hier kann ich Gefahren abschätzen, verfolge die Nachrichten, kenne mich aus, weiß, in welchen Regionen ich zu später Stunde Risiken eingehe. Im Urlaub, wenn man sich bewusst dem Genuss des Fremdseins aussetzt, um dem Alltag zu entfliehen, ist das etwas ganz anderes.
Fremdsein kann einen Reiz haben, abenteuerlich sein, aber auch verunsichern, weil man Situationen nicht einordnen kann. Guckt der Typ komisch, weil er griesgrämig ist oder bin ich ihm ein Dorn im Auge? Und zu was ist der imstande? Wissen kann ich das nicht, es ist schwer zu sagen bei Menschen, unter denen man sich nicht oft bewegt. Wenn Vorurteile sich treffen. Sich Gedanken um die Sicherheit auf Reisen machen zu müssen, nur weil die eigene Haut einige Nuancen dunkler ist als die von Biodeutschen, ist jedenfalls so ziemlich das Gegenteil von Erholung und Seele-baumeln-lassen. Es nervt, schon im Vorhinein.
Rechte Wähler mit vielen Sorgen
Mag sein, dass der Boden für rechte Ideologien im Osten nur so fruchtbar ist, weil viele Menschen frustriert sind, weil sie sich in der Bundespolitik unterrepräsentiert, mit infrastrukturellen Problemen alleingelassen oder durch die Wende benachteiligt und um ihre Lebensleistung betrogen fühlen. Da steckt Wahrheit drin. Mit Empathie kann man diese Zusammenhänge nachvollziehen, denn das Versprechen der Nationalisten ist ja: „Wir schützen euch, und zwar vor denen von draußen, die besser behandelt werden als ihr – die hier drinnen.“ Vor dem Hintergrund von Existenzangst fruchtet Populismus gut, ergibt das alles vielleicht einen verschrobenen Sinn.
Wenn in Wolgast also die Geschäfte schlecht laufen, weil Kurzarbeit auf der Peene-Werft ist und niemand Geld ausgibt, auch die Touris nicht, die einfach ins idyllische Usedom durchrauschen, dann wählt man in Wolgast eben rechts. Und auf Usedom wählt man rechts, wenn der Rotstift im nächsten Krankenhaus angesetzt wird, doch kein Politiker aus der Landeshauptstadt sich die Mühe macht, vorbeizukommen und dafür geradezustehen. Aber für Ausländer sind Geld und Zeit da! Alleine gelassen, vergessen. Menno, die Rechten, sie haben so recht.
Rassismus, der negative Standortfaktor
Für mich endet das Einfühlungsvermögen dort, wo ein Migrationshintergrund als universales Erklärungsmuster für alles herhalten muss, was schiefläuft in diesem Land, wo er zum natürlichen Feind der Deutschen stilisiert wird. In diese alte Leier können leider viele einstimmen, ohne die Umstände für ihre Misere genauer zu reflektieren, denn diese Leier, sie ist ein Volkslied, ein einfacher gefährlicher Schlager zum Mitsingen. Ich hätte gerne Ohropax, möchte das Gegröle mal ausstellen, wenigstens in den Ferien.
Deshalb ist Rassismus ein negativer Standortfaktor. Das ist ein Begriff aus der Wirtschaft, der beschreibt, welche Gründe dafür oder dagegen sprechen, sich als Unternehmen irgendwo niederzulassen, beziehungsweise in eine Gegend zu investieren. Als Ortsfremde weiß ich nicht, wo es wie ungemütlich für mich werden könnte. Und mit „ungemütlich“ meine ich nicht nur körperliche Gewalt, sondern auch die unangenehme passive Aggression, die mancherorts in der Luft liegt, wenn Menschen sich darüber ärgern, dass man nicht weiß ist. Anhaltspunkte dafür, wo das der Fall sein könnte, liefern Berichte darüber, wo schon etwas passiert ist. Die Informationen mögen nicht vollständig oder einseitig sein, aber sie vermitteln mir das Bild: Hier musst du auf dich aufpassen. Vielleicht bist du hier nicht willkommen, vielleicht bekommst du hier keine Hilfe. Und ich so: Bei euch will ich meine Freizeit auch gar nicht verbringen, mein Geld auch gar nicht lassen.
Die Gegenprobe machen?
Damit tue ich allen Unrecht, denen die Hautfarbe ihrer Feriengäste gleich ist. Und genau deshalb ist Rassismus so eklig: Er ist ein Perpetuum mobile aus Ressentiments, sät Misstrauen sogar unter Menschen, die eigentlich nichts gegeneinander haben. Das ist traurig, aber persönlich eine Gegenprobe trotz negativer Vorzeichen zu machen eben dennoch nicht gerade attraktiv. In meinem Heimatland, eigentlich einer Insel der Sicherheit und des Wohlstandes, möchte ich mich in einem einsamen Ferienhäuschen sicher fühlen, ohne die umliegende Infrastruktur auf mögliche Ernstfall-Anlaufpunkte und das Internet nach Berichten über etwaige Ernstfälle zu prüfen. Wieso sollte ich, wieso sollte der Rest der 25 Prozent Deutschen mit Migrationshintergrund zur Erholung in ein Bundesland fahren, in dem eine rechte Volkspartei existiert?
Die Rechnung ist wieder mal einfach: Wo viele Rechte sind, will ich nicht hin, man weiß ja nie. Entgegen meiner Überzeugung, dass man Vorurteile entkräften muss und entgegen meinen Freiheitsrechten, nur zur Sicherheit, suche ich lieber das Weite als das Risiko. Meck-Pomm braucht Menschen wie mich auch gar nicht, die Ostsee boomt auch ohne uns, dieses Jahr sicher doppelt. Die Kapitulation frustet. „Wartet, bis ihr wieder nach Fachkräften ruft und keiner zu Nazis kommen will“, schleicht es mir mit einem Hauch von Genugtuung durch den Kopf. Rassismus produziert nur Verlierer. Meinung
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