Kino
„Ich bin der deutsche Traum“
Burhan Qurbani hat Alfred Döblins Großstadtroman "Berlin Alexanderplatz" mit viel Drive neu verfilmt und aktualisiert. Es geht um einen Flüchtenden aus Afrika, der in Berlin zu überleben sucht - Sozialdrama und Krimi mit hypnotischem Sog.
Von Rudolf Worschech Freitag, 17.07.2020, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 16.07.2020, 1:09 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Rote Signallampen zucken über das dunkle Meer. Alles ist rot, der Himmel, das Wasser – eine schemenhafte Atmosphäre. Francis (Welket Bungué) versucht seine Freundin Ida zu retten, doch es gelingt ihm nicht. Immer wieder tauchen Bilder der im roten Wasser versinkenden Ida in dem dreistündigen Film von Burhan Qurbani auf. Qurbani hat Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ neu adaptiert. Ein mutiges Unterfangen angesichts der großen Fußstapfen eines Rainer Werner Fassbinder, der den Roman als 15-stündige Fernsehserie 1979/80 verfilmt hatte.
Aber so werkgetreu, wie es noch Fassbinder versuchte, will diese Neuverfilmung gar nicht sein. Mutig haben Qurbani und sein Drehbuchautor Martin Behnke die Geschichte in das Berlin von heute verlegt und sich an den wesentlichen Figuren und Motiven des Romans orientiert. Ida, zum Beispiel, ist auch im Roman der Auslöser für den Vorsatz des Helden, ein guter Mensch zu werden.
Francis, den dunkelhäutigen Flüchtling aus Bissau, den wir am Anfang im Meer gesehen haben, verschlägt es nach Berlin. Zuerst versucht er sich als Bauarbeiter, ist aber als Illegaler vor einem Rauswurf nicht sicher. In seiner Unterkunft lernt er Reinhold kennen, der für seine Geschäfte unter den Illegalen Straßendealer requiriert. Dieser Reinhold, dargestellt von Albrecht Schuch, ist das heimliche Kraftzentrum des Films, ein mephistophelischer Versucher, der Francis immer mehr in seine Kreise zieht und an sich bindet.
Eine seltsame Freundschaft
Und Reinhold erstarkt im Laufe des Films; er ist einer, der die Menschen ausnutzt, auspresst und ausbeutet – irgendwie auch ein Symbol für den ungehemmten Kapitalismus. Aber es entsteht eine seltsame Freundschaft zwischen den beiden. Reinhold führt Francis in die Welt des Berliner Drogenuntergrunds ein. Und Reinhold ist es auch, der Francis – in einer der vielen surrealen Szenen dieses Films – regelrecht tauft: Mit zwei Prostituierten im Schlepptau und einer Flasche Sekt nennt er ihn fortan „Franz“.
Irgendwann steigt Francis ins Geschäft ein, das eigentlich dem Gangster Pums gehört, den Joachim Król als jovialen Anzugtypen spielt. Francis macht einen kometenhaften Aufstieg in der Szene und beteiligt sich auch an Überfällen, die Pums neben den Drogengeschäften unternimmt.
„Ich bin der deutsche Traum!“
Vielleicht ist Francis naiv, aber er ist vor allem erpressbar, will er doch eigentlich einen deutschen Pass. Und zeitweilig sieht es so aus, als habe er es geschafft. In einer der größten Szenen des Films steht er vor den anderen Illegalen in seiner Unterkunft und sagt, dass er teure Kleidung trage, ein deutsches Auto fahre und eine deutsche Frau habe: „Ich bin der deutsche Traum!“.
Franz denkt auch nicht um, als er seinen Arm verliert, sondern erst, als er Mieze kennenlernt, seine große Liebe, ein Callgirl, das von ihm schwanger wird. Mieze ist es, die Passagen aus dem Roman aus dem Off spricht – eine Stimme aus dem Totenreich. Denn wir wissen aus dem Roman, wie es ihr am Ende ergehen wird. Man kann diese Neuverfilmung auch als Reflexion über die von Männern an den Frauen ausgeübte Gewalt sehen. Auf alle Fälle ist die Beziehung mit Mieze die einzig aufrichtige, ein Traum von Liebe, der aber nicht lange währt.
Info: Deutschland/Niederlande/Frankreich/Kanada 2019. Regie: Burhan Qurbani. Buch: Martin Behnke, Burhan Qurbani. Mit: Welket Bungué, Jella Haase, Albrecht Schuch, Martin Wuttke, Joachim Król, Annabelle Mandeng. Länge: 183 Minuten. FSK: ab 12 Jahren. FBW: besonders wertvoll.
Hypnotischer Sog mit Wucht
Der neue „Berlin Alexanderplatz“ hat nichts mehr von der Gestelztheit und Bedeutungsschwere von Fassbinders Opus Magnum. Nur drei Filme hat der deutsch-afghanische Regisseur Qurbani gedreht. Sein zweiter, „Wir sind jung. Wir sind stark“ (2015), den er schon zusammen mit dem Autor Martin Behnke schrieb, ist der beste deutsche Film zum Thema junger Rechtsradikalismus. Mit „Berlin Alexanderplatz“ haben die beiden noch mal eins draufgelegt.
Der über dreistündige Film entwickelt einen hypnotischen Sog, so dass man seine Länge überhaupt nicht merkt. Und Kameramann Yoshi Heimrath hat ihn nicht in den entsättigten Farben gedreht, die sonst im neuen deutschen Film üblich sind, sondern in einem knallbunten Look, der vielleicht auch stehen soll für eine Vorstellung von Deutschland. „Berlin Alexanderplatz“ besitzt eine Wucht, die man selten gesehen hat im deutschen Film der letzten Jahrzehnte. Es ist ein atemberaubender Trip durch die Unterwelt Berlins, ein Gangsterepos, das getragen wird von seinen hervorragenden Hauptdarstellern. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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