"No justice, no peace"
Einsatz für Integration und Solidarität im Betrieb
Seit dem gewaltsamen Tod eines schwarzen US-Zivilisten durch Polizisten demonstrieren Millionen Menschen gegen Rassismus, Gewalt und Hetze. Auch Gewerkschaften können ihren Teil beitragen und Diskriminierung in der Arbeitswelt bekämpfen.
Von Fessum Ghirmazion Mittwoch, 22.07.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 22.07.2020, 17:12 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Nach einem brutalen Polizeieinsatz Ende Mai in der US-Stadt Minneapolis ist der schwarze Amerikaner George Floyd an den Folgen der Festnahme verstorben. Weltweit sind daraufhin Millionen Menschen gegen Polizeigewalt und Rassismus auf die Straße gegangen. Zwei zentrale Slogans begleiten die Proteste: Neben „Black Lives Matter“ war es vor allem die Forderung „No justice, no peace“ – keine Gerechtigkeit, kein Frieden.
Der Blick in die US-Geschichte macht deutlich, dass die Bewegung gegen Rassismus, für Gleichheit und Gerechtigkeit sehr eng mit den Gewerkschaften verknüpft ist. Im April 1968 hatten die „Memphis Sanitation Worker“ zum Streik aufgerufen. Auslöser war der Tod zweier schwarzer Mitarbeiter während ihres Dienstes und die jahrelange systematische Diskriminierung. Geplant war eine Streikrede von Dr. Martin Luther King. Doch dieser wurde am Abend zuvor, am 04. April in Memphis, Tennessee, ermordet. Bürgerrechtsbewegung und Gewerkschaften standen fortan noch enger Seite an Seite. Doch erst der Einsatz des damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson sorgte schließlich dafür, dass die Gewerkschaften anerkannt und die Löhne erhöht wurden.
Jede zweite Diskriminierungserfahrung im Betrieb
„Bei Betriebsratswahlen wie auch bei den gewerkschaftlichen Wahlen durch die IG Metall-Mitglieder schneiden die Mitglieder mit Migrationshintergrund sehr gut ab. So haben 25 Prozent aller Betriebsratsmitglieder und 34 Prozent aller Vertrauensleute einen Migrationshintergrund.“
Auch in Deutschland kümmern sich die Gewerkschaften seit mehr als 50 Jahren um die Themen Migration, Integration und Teilhabe. So richtete die IG Metall bereits 1961 ein Referat für „Ausländische Arbeitnehmer“ ein. 1962 wurden in vielen Betrieben ausländische Vertrauensleute gewählt. Die IG Metall ist die größte politische Organisation in Deutschland, in der Menschen mit Migrationshintergrund ihre Interessen vertreten. 22,5 Prozent ihrer Mitglieder haben einen Migrationshintergrund. Auf Initiative der Gewerkschaften ging entscheidender gesellschaftlicher Fortschritt mit der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 1972 einher. Seitdem dürfen alle Arbeitnehmer*innen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit im Betrieb nicht nur wählen, sondern sich auch wählen lassen. Diese rechtliche Gleichstellung gilt bis heute als Meilenstein für mehr politische Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund.
Eine Studie des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) und der Humboldt Universität zu Berlin (HU) zeigt: Bei Betriebsratswahlen wie auch bei den gewerkschaftlichen Wahlen durch die IG Metall-Mitglieder schneiden die Mitglieder mit Migrationshintergrund sehr gut ab. So haben 25 Prozent aller Betriebsratsmitglieder und 34 Prozent aller Vertrauensleute einen Migrationshintergrund.
„Die Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes belegt, dass knapp 50 Prozent aller Diskriminierungserfahrungen in Deutschland im Betrieb gemacht werden. 21 Prozent dieser Vorfälle erfolgte anhand der ethnischen Herkunft bzw. aus rassistischen Gründen.“
Trotz dieser Errungenschaften gibt es in der Arbeitswelt weiterhin Diskriminierung und Rassismus. Die Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes belegt, dass knapp 50 Prozent aller Diskriminierungserfahrungen in Deutschland im Betrieb gemacht werden. 21 Prozent dieser Vorfälle erfolgte anhand der ethnischen Herkunft bzw. aus rassistischen Gründen. Unabhängig vom Bildungsniveau gilt: fast alle Migrant*innen stoßen auf größere Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche. Darum müssen wir – getreu dem Leitspruch „no justice, no peace“ – weiter gegen Ungleichbehandlung vorgehen. Der zentrale Handlungsort für Gewerkschaften und Betriebsräte ist hierfür der Betrieb. Und es gibt bereits ausreichend gesetzliche Instrumente, die es gilt anzuwenden. Zum Beispiel, indem wir die Gründung von Gleichstellungsausschüssen in den Betrieben unterstützen.
Ruf nach Sündenböcken ist nicht weit
Zahlreiche Betriebsräte größerer Unternehmen haben inzwischen Gleichstellungsausschüsse (oder auch Diversity-Ausschuss) geschaffen. Mithilfe eines Gleichstellungsberichts können die Gremien den Stand der Gleichstellung im Betrieb analysieren. So geht es unter anderem um die Zusammensetzung der Belegschaft, die diverse Besetzung in Führungspositionen, Beteiligung von Beschäftigtengruppen an Weiterbildungen oder Auffälligkeiten bei Lohn oder Gehalt. Auf Grundlage des Gleichstellungsberichtes kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber Vorschläge unterbreiten, um die Benachteiligung einzelner Beschäftigungsgruppen abzubauen. Auch eine betriebliche Beschwerdestelle nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hilft, gegen Rassismus, Diskriminierungen jeglicher Art vorzugehen.
Wir müssen in der aktuellen Corona-Krise wachsam bleiben. Denn der Ruf nach Sündenböcken ist nicht weit. Aus diesem Grund sind Gewerkschaften nach wie vor gut beraten, wenn sie sich proaktiv, (selbst-)kritisch und systematisch mit der Frage um Rassismus und Diskriminierung auseinandersetzen.
MeinungDieser Text ist zuerst erschienen im „einblick“ und wurde für das MiGAZIN leicht gekürzt.
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