NSU-Ombudsfrau John
Opfer finden zu wenig Gehör, Täter schwallen
Opfer finden in Terrorprozessen zu wenig Gehör, während Täter sich wie in einem Theater selbst darstellen dürfen. Diese Kritik stammt von der Ombudsfrau für die Opfer der NSU, Barbara John. Der Deutsche Journalisten-Verband appelliert an Journalisten, Attentätern keine Bühne zu geben.
Von Markus Geiler Donnerstag, 23.07.2020, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 22.07.2020, 20:08 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer des „Nationalsozialisten Untergrunds“ (NSU), Barbara John, beklagt einen Mangel an Aufmerksamkeit für Opfer in Terrorprozessen. Für die Betroffenen sei es oft „unerträglich“, das mörderische Geschehen in den Prozessen noch einmal durchleben zu müssen, sagte die Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin dem „Evangelischen Pressedienst“.
Gleichzeitig werde dem Täter eine Bühne gegeben, wo er „wie in einem Theater sich selbst darstellen und schwallen darf“ und dabei auch noch seine Anhänger findet, erklärte sie unter anderem mit Blick auf den Prozess um den antisemitischen Anschlag von Halle.
„Unglaublich schmerzliche Erfahrung“
„Für Opfer und Hinterbliebene ist das eine unglaublich schmerzliche Erfahrung, sich das anhören zu müssen“, sagte John, die in dem mehr als fünfjährigen NSU-Prozess die Familien der rechtsterroristischen Mordopfer betreute. Dazu komme, dass die Opfer und Angehörigen in solchen Gerichtsverhandlungen kaum Gehör fänden. „Die Frage ist doch, ist es in solchen Prozessen unvermeidbar, dass die Perspektive der Betroffenen und Angehörigen so in den Hintergrund rückt“, sagte die Ombudsfrau. Diese Frage müsste sich auch im Falle des Halle-Attentäters die Rechtsprechung in Deutschland stellen.
Die Hauptverhandlung gegen den Attentäter von Halle, Stephan B., ist am Mittwoch in Magdeburg fortgesetzt worden. Dabei wurde das Video gezeigt, das B. während der Tat live ins Internet übertragen hatte. Zudem sollten die Nebenkläger die Möglichkeit haben, dem Angeklagten Fragen zu stellen.
Journalistenverband: Attentäter keine Bühne geben
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat an die Berichterstatter vom Prozess um den antisemitischen Anschlag in Halle appelliert, „wahrhaftig und umfassend“ zu berichten. Medienvertreter sollten die Opfer des Attentäters von Halle und deren Angehörige nicht aus dem Blick verlieren, sagte DJV-Sprecher Hendrik Zörner am Mittwoch in Berlin dem „Evangelischen Pressedienst“.
„Wenn dem Angeklagten durch die journalistische Berichterstattung eine Bühne zur Verbreitung seiner rechtsextremen und antisemitischen Ideologie geboten würde, hätten die Kollegen im Gerichtssaal etwas falsch gemacht“, sagte Zörner. Im Pressekodex sei klar geregelt, „dass Prozessberichterstattung weitaus mehr ist als das ungefilterte und unkommentierte Abspielen von Äußerungen eines Angeklagten“. Journalisten hätten vielmehr die Aufgabe der Einordnung und müssten vermeiden, „dass sie, wie es im Pressekodex heißt, zum ‚Werkzeug von Verbrechern‘ werden“, sagte der Pressesprecher des Journalistenverbandes.
Nazi-Terror in Deutschland
Der Halle-Attentäter hatte am 9. Oktober 2019 einen Anschlag auf eine Synagoge und auf einen türkischen Döner-Imbiss verübt, zwei Menschen erschossen und weitere verletzt. Die Bundesanwaltschaft hat den 28-Jährigen wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in mehreren Fällen sowie weiteren Straftaten angeklagt. Es gibt 43 Nebenkläger, die von 21 Rechtsanwälten vertreten werden.
Den Taten des NSU fielen zwischen 2000 und 2007 nach Behördenerkenntnissen in acht Städten neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin zum Opfer. Als einzige Überlebende des Terror-Trios wurde Beate Z. am 11. Juli 2018 vom Oberlandesgericht München zu lebenslanger Haft verurteilt. (epd/mig) Aktuell Panorama
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Ein Jahr Fachkräftegesetz Bundesregierung sieht Erfolg bei Einwanderung von…
- Brandenburg Flüchtlingsrat: Minister schürt Hass gegen Ausländer
- Chronisch überlastet Flüchtlingsunterkunft: Hamburg weiter auf Zelte angewiesen
Täterschutz scheint nur allzu oft vor Opferschutz zu gehen. Manchmal werden auch umgekehrt Name und Adresse des Unfallgegners unverblümt weitergegeben.