„Sie – töten – uns“
Der Brandanschlag von Duisburg im lokalen und bundesweiten Kontext
Bei einem Hausbrand in Duisburg Wanheimerort kommen im August 1984 sieben Menschen ums Leben, sogenannte „Gastarbeiter“. Ein Brandanschlag, Hintergrund unbekannt. Vieles deutet auf einen rechtsextremen Hintergrund hin, aufgeklärt ist dieser kaum bekannte Fall bis heute nicht. Hinterbliebene und Aktivisten kämpfen bis heute.
Von Leon Wystrychowski Dienstag, 01.09.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 01.09.2020, 22:18 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Montag, 27. August 1984, 00:29 Uhr: Ein Notruf geht bei der Duisburger Feuerwehr ein. Im Stadtteil Wanheimerort brennt es in einem Wohnhaus. Die 57 Bewohner sind mehrheitlich „Gastarbeiterfamilien“. Die meisten werden im Schlaf überrascht, viele versuchen sich zu retten, indem sie sich aus dem Fenster abseilen oder hinausspringen. Sieben von ihnen überleben die Nacht nicht: Çiğdem (7), Ümit (5) und Songül Satır (4), ihre Mutter Döndü Satır (40) sowie das Junge Elternpaar Zeliha und Rasim Turhan (beide 18) und ihr Sohn Tarık (7 Wochen). Sie alle sterben in den Flammen oder an den Folgen des Sturzes auf die Straße.
Zwei Generationen zweier Familien sind nahezu ausgelöscht. Ihre Hinterbliebenen, Familie und Freunde, sowie einige aktive Duisburger kämpfen schon damals – mit dem Schmerz und, soweit möglich, für Aufklärung. Doch sie werden alleingelassen.
„Von Rassismus wurde nie gesprochen.“
„Da wurde über Rassismus gar nichts gesprochen“, erinnert sich die damals 15 jährige Rukiye Satır gegenüber dem Deutschlandfunk 35 Jahre danach. Obwohl der Spiegel von eingeritzten Hakenkreuzen im Eingangsbereich des Wohnhauses berichtete und Nachbarn und Freunde, die der Familie zu Hilfe gekommen waren, später von Neonazis bedroht wurden, war in der WAZ damals von durch Kommunisten verbreiteten, „aus der Luft gegriffenen Vorwürfen“ die Rede und Oberbürgermeister Josef Krings (SPD) sprach von einer „bewussten Irreführung“ und Rechtsradikalen, die „es nicht gibt“. Stattdessen wurden „Konflikte zwischen Ausländern“ in den Fokus der Fahndung gerückt und ein jugoslawischer Hausbewohner verdächtigt.
Neun Jahre später, 26. Januar 1993: Im Duisburger Norden, im Stadtteil Hamborn, brennt eine Flüchtlingsunterkunft. Fünf Menschen werden verletzt. Es ist die Hochzeit rechten Terrors im vor Nationalismus überschäumenden, „wiedervereinigten“ Deutschland. In Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda hatte es 1991 und 1992, zum Teil unter dem Jubel der Bevölkerung, Angriffe und Pogrome gegen Unterkünfte von Vertragsarbeitern und Geflüchteten gegeben. Zwei Monate zuvor, Ende 1992, waren bei einem Brandanschlag auf zwei Wohnhäuser in Mölln Yeliz (10), Ayşe (14) und Bahide Arslan (51) ums Leben gekommen, neun weitere Menschen wurden schwer verletzt. Vier Monate später, im Mai 1993, sollte der Mordanschlag von Solingen folgen, bei dem Hülya (9), Saime (4) und Hatice Genç (18), Gürsün İnce (27) und Gülüstan Öztürk (12) sterben.
Brandstifterin stirbt in Psychiatrie
Als Täterin des Anschlags in Duisburg-Hamborn wird Evelin D. ermittelt. Sie gesteht auch die Brandstiftung in Wanheimerort. Obwohl ins Auge springt, dass die Täterin gezielt zwei Gebäude auswählte, in denen ausschließlich Migranten und Geflüchtete lebten, wird als Motiv nicht Rassismus angenommen, sondern „Pyromanie“. Evelin D. wird als unzurechnungsfähig in die Psychiatrie eingewiesen, wo sie 2010 stirbt.
Rund zwanzig Jahre später, Ende Oktober 2013, platzieren Unbekannte Pyrotechnik im Treppenhaus einer Asylbewerberunterkunft im Duisburger Stadtteil Huckingen. Niemand wird verletzt. Die Polizei macht damals nicht einmal öffentlich, dass es sich bei dem betroffenen Gebäude um ein Flüchtlingsheim handelte, geschweige denn, dass sich in unmittelbarer Umgebung zahlreiche Sticker von Neonazi-Organisationen und rechte Schmierereien finden.
Rassistisch aufgeladene Stimmung
Auch hier ist der Kontext eine stark rassistisch aufgeladene Stimmung in der Gesellschaft: 2013 berichten bundesweit Medien über die „Zustände“ in Duisburg. Im Zentrum steht dabei ein als „Problemhaus“ betiteltes Wohngebäude in Duisburg-Rheinhausen, in dem Roma-Familien leben. Es kommt zu Angriffen von Rechtsradikalen auf das Haus. Infolge einer Schlägerei zwischen rechten Rheinhausenern und Jugendlichen aus dem autonomen Spektrum stürmt ein Polizeikommando das Haus, weil Gerüchte verbreitet werden, wonach die Bewohner hinter der Auseinandersetzung steckten. Die Polizei bezieht wochenlang Stellung und kontrolliert die Familien beim Verlassen und Betreten ihres Heims. An diese Stimmung anknüpfend geht die neurechte Partei Pro NRW für die Kommunalwahlen 2014 erfolgreich auf Stimmenfang. Oberbürgermeister Sören Link (SPD) tönt im Jahr darauf, er wolle gern Roma gegen die doppelte Zahl syrischer Geflüchteter eintauschen.
Im Stadtteil Neumühl kommt es im selben Zeitraum zu Protesten gegen eine geplante Asylbewerberunterkunft. Dabei drohen Anwohner, sie würden das Gebäude in Brand stecken und man solle hoffen, dass dies geschehe, bevor dort bereits Menschen eingezogen seien. Seither brennen immer wieder mehrheitlich von Roma bewohnte Häuser in Duisburg, was in der Regel nicht aufgeklärt wird.
2015 fliehen über eine Million Menschen aus Syrien vor Krieg und Elend nach Europa, was die politische Rechte nutzt, um Verteilungsängste zu schüren und Stimmung gegen Geflüchtete und Migranten zu machen. In vielen Städten kommt es zu „Pegida“-Demonstrationen, in Duisburg marschiert das rechte Sammelbecken von 2015 bis 2017 jede Woche in der Innenstadt auf. Spätestens mit der Silvesternacht 2015 kippt die Stimmung in Teilen der deutschen Bevölkerung – vor allem aber in Medien und Politik. Wie der Blick – nicht nur – auf Duisburg aber zeigt, waren Rassismus und Ablehnung schon vorher da.
Keine Aufklärung
Zwischen den Brandanschlägen der 1990er Jahre und den rechten Umtrieben in den 2010er Jahren ist eine Menge passiert: Auf der einen Seite hat sich vor allem das Feindbild Islam durchgesetzt – „der Türke“ ist mittlerweile „der Moslem“ geworden. Dazu trug u.a. insbesondere Thilo Sarrazins (bis 2020 SPD) Buch „Deutschland schafft sich ab“ bei. Aufhänger waren aber auch etwa der Bau größerer Moscheen in Köln-Ehrenfeld und Duisburg-Marxloh, gegen die Rechtspopulisten mobil machten.
Auf der anderen Seite wurde Ende 2011 bekannt, dass seit 1999 eine neofaschistische Terror-Organisation mindestens zehn Menschen – acht Männer mit türkischen, einen mit griechischen Wurzeln sowie eine Polizistin – gezielt erschossen und zudem mehrere Bombenanschläge in migrantisch geprägten Stadtteilen mit zahlreichen Verletzten verübt hatte. Ähnlich wie im Fall des Brandanschlags von Wanheimerort wurden auch hier rassistische Hintergründe ausgeschlossen. Ermittelt wurde stattdessen gegen das Umfeld der Opfer, gegen Familienmitglieder, Nachbarn und Bekannte. Die Rede war von „Bandenkriminalität“ und von „Dönermorden“.
Initiative Duisburg 26. August 1984
Auf diese Parallele machten am vergangenen Mittwoch, dem 36. Jahrestag des Anschlags von Wanheimerort Hinterbliebene und Aktivisten aufmerksam. „Wir legen keine Bomben in unseren eigenen Stadtteilen und wir zünden auch nicht unsere Häuser an!“, rief Kutlu Yurtseven, Rapper aus Köln, der in der Nähe der Keupstraße wohnt, wo 2003 eine Nagelbombe des NSU hochging. Von „Täter-Opfer-Umkehr“ sprach Ceren Türkmen, die 2018 bei Recherchen zufällig auf den Anschlag in Duisburg Wanheimerort aufmerksam wurde und daraufhin gemeinsam mit den Hinterbliebenen und Unterstützern die „Initiative Duisburg 26. August 1984“ ins Leben rief.
Diese organisiert seither Solidarität und psychische Unterstützung für die Opfer und Angehörigen, kämpft aber auch um Aufklärung. Zur Unterstützung kamen am Mittwoch mehrere Dutzend Duisburger. Unter Tränen wurden Blumen am Eingang des Hauses niedergelegt. Grußworte gab es zudem u.a. von Hinterbliebenen und Aktivisten aus Hanau, wo vor einem halben Jahr ein Rechtsradikaler neun Menschen erschoss, aus Dortmund, wo Angehörige des vom NSU ermordeten Mehmet Kubaşık (39) noch immer um Aufklärung kämpfen, und von Fadhila Ahmad aus Kleve, dessen Sohn Amad (26) 2018 fälschlicherweise für mehrere Monate inhaftiert wurde und dann bei einem Brand in der Zelle ums Leben kam.
„Sie – töten – uns“
Alle diese Fälle, so wurde in vielen Redebeiträgen wiederholt, seien bislang nicht aufgearbeitet. Das sei symptomatisch für rassistische Gewalttaten: Zunächst würden rechte Hintergründe geleugnet, die Täter als „psychisch krank“ abgestempelt und die Taten so entpolitisiert. Wenn das nicht mehr gehe, sei oft von Einzeltätern die Rede. So werde auch der NSU, nachdem er endlich aufgedeckt wurde, bis heute zu einem Trio kleingeredet, damit man nicht über rechte Untergrundnetzwerke mit Verbindungen in Polizei, Justiz und Geheimdienste reden müsse.
Ohnehin, erklärt Ceren Türkmen eindrücklich, sei der Fokus auf die jeweiligen Täter falsch. Im Zentrum müssten die Opfer stehen, ihr Leiden, ihre Geschichte, ihre Bedürfnisse – und der gesellschaftliche Hintergrund der Taten. Dieser sei, ob bewusst oder unbewusst, Rassismus und kein Problem von Randgruppen, sondern strukturell und im gesellschaftlichen System verankert. Dem müsse in erster Linie mit Solidarität und Zusammenschluss, mit „migrantischem und antifaschistischem Selbstschutz“ begegnet werden. Aber auch mit einem Ringen um eine „gerechte und solidarische Gesellschaft“, wie es Barış, ein junger Aktivist aus Duisburg, ausdrückt. „Sie – töten – uns“, bringt er das Problem mit drei Worten auf den Punkt. Um dies nachhaltig zu ändern „müssen wir diese ganze Gesellschaft, das ganze System, das diesen Wahnsinn hervorbringt, verändern!“ Leitartikel Panorama
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