Kino
Kiss Me Kosher
Die israelische Regisseurin Shirel Peleg versucht in ihrem Debütfilm "Kiss Me Kosher", die Probleme ihrer Heimatregion mit Humor auf den Punkt zu bringen, ohne sie lächerlich zu machen.
Von Ulrich Sonnenschein Donnerstag, 10.09.2020, 5:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 10.09.2020, 17:31 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Matronenhaft, eine Zigarette in der Hand, Dutzende zerdrückt im Aschenbecher vor ihr, sitzt Berta, die „wahre jüdische Prinzessin“, ihrer Enkelin Shira gegenüber. Die friedvolle Terrasse ist ein Ort familiärer Intimität, voller Pflanzen und fern von jedem staatlichen Einfluss. Berta hat Shira gerade im Monopoly geschlagen und will noch kurz die Geschäftsbilanzen der Kneipe besprechen, die sie ihr großzügig finanziert hat. Nicht ganz ohne Ironie hat Shira diese „The real jewish princess“ getauft. Oma und Shira sind ein Herz und eine Seele, denn beide verbindet ein Geheimnis. Berta liebt einen Araber, und das schon sehr lange, ohne dass die Familie etwas ahnt.
Info: „Kiss Me Kosher“ Israel/Deutschland 2020. Regie: Shirel Peleg. Mit: Moran Rosenblatt, Luise Wolfram, Rivka Michaeli, Juliane Köhler, Bernhard Schütz, Irit Kaplan. Länge: 101 Min. FSK: ab 12. FBW: keine Angabe. Kinostart: 10. September 2020
___STEADY_PAYWALL___
Shira ist die Einzige, die eingeweiht ist. Keine Frage, denn auch sie lebt, was die Liebe angeht, nicht der Norm entsprechend. Sie liebt offen und sehr polygam Frauen. Die Familie hat es akzeptiert, mokiert sich eher über die häufig wechselnden Partnerschaften als über deren Geschlecht. Nun aber ist es Shira zum ersten Mal ernst. Mit der deutschen Maria, die in Israel über den Klimawandel promoviert, will sie ihr Leben teilen. Und wenn eine Familie von Holocaustüberlebenden auf eine urdeutsche trifft, sind die Konflikte vorprogrammiert.
Shirel Peleg beherrscht die Klaviatur der kulturellen Missverständnisse und spielt gekonnt mit den Klischees, ohne auf sie hereinzufallen. Die Regisseurin hat zuerst am Sapir College in Israel studiert, unmittelbar am Gazastreifen gelegen, danach an der Filmakademie Baden-Württemberg. Sie setzte sich sowohl mit der NS-Vergangenheit Deutschlands auseinander als auch mit der gegenwärtigen Siedlungspolitik in Israel und dem Kampf der Palästinenser um Freiheit und Grundrechte. Daraus eine Komödie zu machen, erfordert nicht nur viel Mut, sondern auch eine gewisse emotionale Distanz.
Alltag und Unnormalität
An keiner Stelle driftet Peleg ins Aufhetzende ab, sie enthält sich jeder Dramatisierung oder gar Schuldzuweisung. Es geht ihr mehr um den Alltag in der persönlichen Unnormalität. Die Szenen an der Grenzkontrolle sind ebenso selbstverständlich wie die Interaktion arabischer und jüdischer Bewohner Jerusalems. Peleg stellt niemanden bloß, sondern benutzt die alten Vorstellungen von Schuld und Schicksal, um deren Unauflösbarkeit in eine Komödie zu verwandeln. Sie kennt sich aus in den Falten der Geschichte und kann sich deshalb darüber hinwegsetzen.
Ihr Film verlässt sich auf die Kraft der Figuren und damit auf die überzeugenden Schauspieler. Darunter befinden sich Juliane Köhler und Bernhard Schütz als Marias Eltern, John Carroll Lynch als Shiras Vater und nicht zuletzt Moran Rosenblatt als Shira und Luise Wolfram als Maria. Am Ende des Films gibt es tatsächlich eine Hochzeit und die dazugehörigen Trinksprüche. „Lchaim“ (Auf das Leben), sagt dann jemand, und Hochzeiten sind ja so schön, vor allem wenn es nicht die eigene ist. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Brandenburg Flüchtlingsrat: Minister schürt Hass gegen Ausländer
- Ein Jahr Fachkräftegesetz Bundesregierung sieht Erfolg bei Einwanderung von…
- Chronisch überlastet Flüchtlingsunterkunft: Hamburg weiter auf Zelte angewiesen
Der Film wurde im Deutschlandfunk eher missbilligend besprochen, ich finde es jedoch grundsätzlich begrüßenswert, wenn die dortige Lage künstlerisch verarbeitet und – vor allem – verbreitet wird. Im Deutschlandfunk gibt es jeden Tag eine evangalische oder katholische Morgenandacht (als ob es keine weiteren christlichen Organisatoren gäbe), aber nur einige Minuten pro Woche über jüdisches Leben hierzulande. Dabei waren Vernichtung und Vertreibung der Juden im 3. Reich ein intellektueller Aderlass, von dem sich unser Land nicht erholt hat und niemals erholen wird, siehe z. B. die Geschichte Berlins, wie ich sie im Deutschland-Jahr 2010 in Kasachstan – durchaus zum Erstaunen der Zuhörerinnen – vorgetragen habe. 2015 hat Bundestagspräsident Lammert dasselbe gesagt. Dieser Film ist aber auch deshalb verdienstvoll, weil er dortige Tabus anspricht. Laut Deutschlandfunk gibt es in Israel Gegenden, in denen die Frauen im Bus hinten zu sitzen haben. Laut Deutschlandfunk ist Israel zu 80% ein theoistischer Staat – mit welcher Begründung wird also behauptet, Israel sei die einzige Demokratie im Nahen Osten? Zehntausende junger Israelis sollen in Berlin leben, weil ihnen Israel zu einengend ist. Sigmar Gabriel hat die Apartheit in Israel angesprochen. Dafür wurde er hierzulande heftig angefeindet. Letztere haben offenbar nicht begriffen, dass sie damit den Antsemitismus befördern. Der unschätzbare Wert der jüdischen Kultur wird dadurch ebenso geschädigt, wie durch die Intrigen um das Jüdische Museum in Berlin. Jesus, den „König der Juden“, stelle ich mir bei weitem toleranter vor.