Ein schwieriges Erbe
Wie Kirchen und Missionare im deutschen Kolonialismus gewirkt haben
In der Debatte um Rassismus und das Erbe des Kolonialismus spielen Religion und Kirche eine Rolle. Während es früher eine Zusammenarbeit zwischen Kolonialherren und Missionaren gab, steht heute der interkulturelle Dialog im Vordergrund.
Von Cristina Marina Mittwoch, 07.10.2020, 20:16 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 07.10.2020, 20:15 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Als die ersten Missionare nach Afrika kamen, hatten sie die Bibel und wir das Land. Sie forderten uns auf zu beten. Und wir schlossen die Augen. Als wir sie wieder öffneten, war die Lage genau umgekehrt: Wir hatten die Bibel und sie das Land.“ Dieses Zitat des anglikanischen Erzbischofs und Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu aus Südafrika drückt nach Meinung von Nikita Dhawan aus, wie eng Missionare mancherorts mit den Kolonialherren kooperiert und so den Boden für die Unterdrückung von Völkern bereitet haben. Dhawan ist Professorin für Politikwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Die aus Indien stammende Wissenschaftlerin ist unter anderem Expertin für Postkolonialismus.
Im Zuge der Rassismus-Debatte, die nach dem gewaltsamen Tod des schwarzen US-Amerikaners George Floyd Ende Mai weltweit aufbrach, stellt sich die Frage nach der Rolle von Kirche und Religion während des deutschen Kolonialismus und ihrem Beitrag zu rassistischen Vorurteilen, die bis heute fortleben: „Diese Rolle ist ebenso ambivalent wie kontrovers“, sagt Dhawan.
Hegel: „Geschichtsloser Kontinent“
Im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den Niederlanden zählt Deutschland nicht zu den kolonialen Großmächten. Es besaß im 19. Jahrhundert nur relativ wenige Kolonien, davon die meisten auf dem afrikanischen Kontinent und in Asien. Diese „Schutzgebiete“, wie sie damals genannt wurden, hatte Deutschland zudem nur kurze Zeit in seinem Besitz: von 1884 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges.
Kolonialismus bedeute aber mehr, als nur die besetzten Kolonien, betont Dhawan. Zur Rechtfertigung einer Kolonisierung hätten auch deutsche Philosophen wie Immanuel Kant (1724-1804) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) beigetragen. „Kant hielt das Christentum für eine rationale und damit überlegene Religion, Hegel sprach von Afrika als einem geschichtslosen Kontinent.“
Augen verschlossen
Die mitunter enge Kooperation zwischen Kolonialherren und Missionaren habe dazu geführt, dass mancherorts selbst bei Völkermord – wie an den Herero und Nama im heutigen Namibia – Missionare ihre Augen davor verschlossen hätten, sagt Dhawan.
Der Stuttgarter Missionsexperte Dieter Heidtmann bezeichnet den Anteil der Kirche an der Unterdrückung der kolonisierten Völker als „sehr vielschichtig“. Auf der einen Seite habe die Kirche im deutschen Kolonialismus zur Prägung von rassistischen Vorurteilen beigetragen, sagt der Generalsekretär des internationalen Missionswerks „Evangelische Mission in Solidarität“. Auf der anderen Seite habe sie diese später aber erfolgreich bekämpft.
„Medical evangelism“
Missionsgesellschaften seien in der Regel nicht von der Kirche aus gegründet worden, sondern eher von kirchlichen Außenseitern, von einzelnen Menschen, die der Erweckungsbewegung entstammten und ihren Glauben weitertragen wollten, so Heidtmann. Diese hätten oft in einem kritischen Verhältnis zu den Kolonialherren gestanden und seien deshalb manchmal auch aus den Kolonien ausgeschlossen worden.
Der Widerstand gegen Kolonialismus und Rassismus ist laut Heidtmann auch aus der Missionsarbeit entstanden. Nachfahren der Missionare hätten mancherorts den Boden für eine Dekolonialisierung bereitet, sagt auch Dhawan. Als unbestritten gilt nach Ansicht beider Fachleute, dass die Missionare mit dem Bau von Schulen und Kliniken für eine bessere Infrastruktur sorgten. Bis heute seien die besten Krankenhäuser in manchen ländlichen Regionen Afrikas in kirchlicher Trägerschaft, erläutert sie. Allerdings wurden diese Initiativen als „medical evangelism“ kritisiert.
Heidtmann: Aus der Vergangenheit gelernt
Die Missionsarbeit habe aus ihrer Vergangenheit gelernt, sagt Heidtmann. In den vergangenen 50 Jahren habe sich der Blick grundlegend verändert. „Wir nehmen nicht mehr an, dass wir es in Deutschland besser wüssten, als zum Beispiel die Menschen in Ghana oder Indonesien.“ Der interkulturelle Dialog sei längst eine Selbstverständlichkeit.
Dhawan sieht das ein wenig anders. Großplakate kirchlicher Einrichtungen für Entwicklungshilfe zeigten noch immer hungernde schwarze Kleinkinder. Damit werde suggeriert, dass Europäer aus moralischen Gründen in Armut lebenden Menschen helfen sollten. „Dass Europa selbst an dieser Armut einen Anteil hat, wird aber verschwiegen.“ Damit lebten die einstigen klischeehaften Bilder fort. Dhawan: „Und solange die Machtverhältnisse ungleich bleiben, wird sich daran nur sehr schwer etwas ändern.“ (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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