Wiedereröffnung
Ausstellung zeigt blühendes jüdisches Leben in Frankfurt
Die Wiedereröffnung verzögerte sich um zwei Jahre, doch am Mittwoch ist es soweit: Das Jüdische Museum Frankfurt öffnet wieder nach fünf Jahren Bauzeit. Die neue Dauerausstellung zeigt die Vielfalt und Strahlkraft jüdischen Lebens.
Von Jens Bayer-Gimm Dienstag, 20.10.2020, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 19.10.2020, 18:02 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Das Jüdische Museum Frankfurt, zwischen Theater und Main gelegen, öffnet am Mittwoch wieder seine Türen für das Publikum. Aus einem Gebäude sind zwei geworden: Neben dem sanierten klassizistischen Rothschild-Palais erhebt sich kontrastreich der weiße, fünfeckige Neubau. Die Nutzfläche des Museums hat sich verdoppelt, zu den knapp 2.300 Quadratmetern im Altbau kommen nun knapp 2.400 Quadratmeter im Neubau hinzu. Die Kosten von Sanierung und Bau waren mit 50 Millionen Euro veranschlagt.
Der von dem Berliner Architektenbüro Staab entworfene Neubau bietet auf mehr als 600 Quadratmetern Raum für Wechselausstellungen. Die erste Wechselausstellung „Die weibliche Seite Gottes“ wird von Freitag an öffentlich gezeigt. Daneben beherbergt das Gebäude ein Foyer, einen Veranstaltungsraum, eine öffentliche Bibliothek mit Lesesaal, ein koscheres Café und einen Laden, Werkstätten, Büros und das Archiv.
Lebensläufe: Entrechtung und Verfolgung von Juden
Im Rothschild-Palais wird die erweiterte und neu konzipierte Dauerausstellung auf drei Etagen über mehr als 1.400 Quadratmetern gezeigt. Das erste Obergeschoss erzählt die Geschichte von drei Frankfurter Familien über drei Generationen hinweg, die der Bankiersfamilie Rothschild, der bürgerlichen Kaufmannsfamilie Frank, aus der die Tagebuchschreiberin Anne Frank (1929-1945) stammt, und der aus Osteuropa stammenden Familie des Kommunisten Valentin Senger. Die zweite Etage widmet sich der Wandlung der jüdischen Tradition in eine moderne Religion. Im Zentrum steht die Pracht der jüdischen Zeremonialkultur, an einer interaktiven Videoinstallation beantworten fünf Rabbiner und eine Rabbinerin Fragen.
Die dritte Etage beschreibt die jüdische Nachkriegsgeschichte bis zur gegenwärtigen Alltagskultur mit ihrer Vielfalt an Lebensentwürfen. Illustriert wird, wie Jüdinnen und Juden nach der Aufhebung der Ghettoisierung vor 200 Jahren das kulturelle Leben, das Bildungs- und Gesundheitswesen, die sozialen und politischen Veränderungen und die wissenschaftliche Forschung in Frankfurt geprägt haben. Die Entrechtung und Verfolgung von Juden im Nationalsozialismus wird anhand einzelner Lebensläufe anschaulich gemacht.
Objekte der Familie von Anne Frank
Info: Öffnungszeiten: dienstags und donnerstags von 10 bis 21 Uhr, mittwochs und freitags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr. Zur neuen Dauerausstellung erscheint ein zweisprachiger Katalog „Jüdisches Frankfurt. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart“ im Beck-Verlag München, 280 Seiten mit 219 meist farbigen Abbildungen, 18 Euro.
Der letzte Raum der Ausstellung zeigt Objekte und Dokumente aus dem Besitz der Familie von Anne Frank. Die nach Angaben des Museums weltweit erste Präsentation von Alltagsgegenständen, Möbeln, Gemälden, Briefen und Fotos gibt einen Einblick in die familiäre Kultur des bekanntesten Opfers der Schoa. Der Vetter von Anne Frank und ehemalige Präsident des Anne-Frank-Fonds Basel, Buddy Elias (1925-2015), gründete 2012 zusammen mit dem Jüdischen Museum das dort angesiedelte Familie-Frank-Zentrum. Es bewahrt rund 1.000 Erinnerungsgegenstände der Frankfurter Familie aus vier Jahrhunderten.
Die Ausstellung zeigt neben persönlichen Aufzeichnungen, Fotografien, Gemälden, historischen Dokumenten, Alltagsgegenständen und religiösen Objekten auch Filmstationen, mediale Rauminszenierungen und interaktive Video-Installationen. Für Kinder gibt es Stationen zum Anfassen und ein Mitmachheft, das neue „Studio Alef“ dient als Ort für kreatives Werken und Kochen.
Erstes Jüdische Museum nach der Schoa
Zwischen dem Neubau und dem Rothschild-Palais, dem 1821 errichteten Familiensitz der jüdischen Bankiersfamilie, ist ein neuer Museumsplatz entstanden. Er trägt den Namen der österreichisch-deutschen Frauenrechtlerin und Gründerin des Jüdischen Frauenbundes, Bertha Pappenheim (1859-1936), und ist die neue Adresse des Museums. An der Verbindung von Alt- und Neubau wurde im September 2019 eine elf Meter hohe und 1,8 Tonnen schwere Skulptur des israelischen Künstlers Ariel Schlesinger installiert. Sie besteht aus zwei in Aluminium gegossenen Bäumen, von denen der eine im Boden wurzelt und den anderen – entwurzelten – in der Baumkrone trägt.
Das Museum in Frankfurt war das erste nach der Schoa in Deutschland errichtete Jüdische Museum. Es war am 9. November 1988 im Rothschild-Palais eröffnet worden. Frankfurt kann auf eine kontinuierliche Geschichte jüdischen Lebens vom 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart zurückblicken und ist nach Meinung von Historikern die einzige Großstadt im deutschsprachigen Raum neben Prag, die fortwährend ein Zentrum des Judentums darstellte. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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