Interview mit Liriam Sponholz
„Hasspostings und Hate Speech sind nicht dasselbe.“
Hasskommentare und Hate Speech werden oft als Synonyme verwendet. Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin Liriam Sponholz erklärt im Gespräch, was die Folgen dieser Gleichsetzung sind und warum die Unterscheidung so wichtig ist.
Donnerstag, 05.11.2020, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 04.11.2020, 14:31 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
MiGAZIN: Sie befassen sich mit Hate Speech und Hasspostings im Internet und legen Wert auf eine Differenzierung dieser Begriffe. Warum? Ist das nicht dasselbe?
Liriam Sponholz: Nein, Hate Speech und Hasspostings sind nicht dasselbe. Wenn man von Hasspostings spricht, sind in der Regel beleidigende Kommentare im Netz gemeint. Hate Speech dagegen sind Äußerungen, die Denkmuster gegen eine Gruppe aktivieren, die historisch unterdrückt oder systematisch diskriminiert wird. Dies ist unabhängig davon, ob hierbei ein Schimpfwort, eine offene Drohung oder beleidigende Kommentare enthalten sind oder nicht.
Geben Sie uns bitte ein Beispiel!
Der Unterschied ist ähnlich wie zwischen einer Polizeikontrolle und Racial Profiling. Sowohl Polizeikontrollen als auch Hasspostings können grundsätzlich jeden treffen, Racial Profiling und Hate Speech aber nur bestimmte Gruppen von Menschen, nämlich Frauen, People of Color, Migrant:innen, religiöse Minderheiten, Menschen mit Behinderungen oder einer nicht heterosexuellen Orientierung usw. Durch Hate Speech werden diese Menschen gedemütigt, lächerlich gemacht, eingeschüchtert, bedroht oder Hass gegen sie angestiftet.
Person: Liriam Sponholz ist Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Medienkonflikte und -repräsentationen, Agenda Building und Hate Speech. Sie unterrichtet derzeit zu Sozialer Arbeit in der Migrationsgesellschaft an der Fachhochschule Erfurt. 2019/2020 arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Kommunikation- und Medienwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2018 habilitierte sie zum Thema „Hate Speech in den Massenmedien“ an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. 2007 schloss sie ihre Promotion am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig ab. Von 2015 bis 2018 arbeitete sie als Senior Postdoc am Institute for Comparative Media and Communication Studies (CMC) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften/Alpen-Adria-Universität in Wien. Zuvor war sie von 2011 bis 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Erfurt am Lehrstuhl für Vergleichende Analyse von Mediensystemen/ Kommunikationskulturen tätig. 2013 und 2010 war sie zudem Gastprofessorin an der Universidad Complutense de Madrid und an der Universidade Federal de Santa Catarina. In Brasilien geboren, studierte Sponholz Journalistik (Bachelor) und Geschichte (Master) an der Universidade Federal do Paraná und arbeitete mehrere Jahre als Journalistin und Pressesprecherin.
Um es zu verdeutlichen: Enthält ein Kommentar in den sozialen Medien zu einem beliebigen Thema Beleidigungen wie „Du Idiot“ oder Drohungen wie „Bin schussbereit“, stellt aber keinen Bezug zu einer Gruppe her, die historisch unterdrückt oder systematisch diskriminiert wird, ist es zwar ein Hassposting aber kein Hate Speech.
Wenn auf Facebook „Nein zum Heim“ zu einer Demonstration in Chemnitz „gegen Ausländerkriminalität“ aufgerufen wird, wie 2018 geschehen, handelt es sich um einen bewussten, geplanten Aufruf zur Diskriminierung einer Gruppe und damit um Hate Speech, auch wenn keine Schimpfwörter oder Drohungen enthalten sind. Das gleiche Prinzip gilt für Hashtags wie #stopislam oder dem Instagram-Post mit der Botschaft „Stolz, weiß zu sein“.
Welche Folgen bzw. Gefahren sehen Sie, wenn man diese beiden Begriffe gleichsetzt?
Eine Gleichstellung der Begriffe löscht die systematische Diskriminierung dieser Gruppen als Ursache von Hate Speech aus. Es ist wie mit den Slogans „Deutschenfeindlichkeit“ oder „All Lives Matter“, mit denen die Legitimität der Kritik der historisch unterdrückt oder systematisch diskriminiert Gruppen kommunikativ ausgelöscht wird. Daher ist es wichtig zu verstehen, dass es kein Hate Speech ohne Bezug auf diskriminierte Gruppen gibt, während Hasspostings jeden treffen können, so auch Politiker:innnen oder Journalist:innen.
Eine weitere Folge der Gleichsetzung von Hasspostings mit Hate Speech ist es, dass öffentliche Sprecher:innen aus dem Fokus geraten. Dies geschieht z.B., wenn ein rechtspopulistischer Politiker eine Nachricht über die Kinderehe im Jemen neben einem Foto einer Kopftuchträgerin auf seiner Facebook-Seite postet. Nicht-öffentliche Personen bekommen den Post auf ihre Timeline und reagieren darauf mit Beschimpfungen und rassistischen Kommentaren. Ihre Kommentare rücken in den Fokus der öffentlichen Debatte und können bei der Polizei angezeigt und juristisch verfolgt werden. Der Post des Politikers, der eine solche Diskriminierung anstiftet, dagegen nicht. Grund hierfür ist, dass öffentliche Personen, die gegen Minderheiten hetzen, zum einen Macht haben und zum anderen die Grenzen der Gesetze genau kennen, sodass sie es verstehen zu hetzen, ohne die Schwelle für eine justiziable Tat zu überschreiten. Die Folge ist, dass das Problem auf einfache User bzw. nicht-öffentliche Personen reduziert wird.
Eine weitere Folge ist die Verharmlosung von Hate Speech als bloße „Verrohung der Debattenkultur“. Hate Speech trifft Gesellschaften aber viel tiefer, weil es sich nicht allein um eine Frage des Verhaltens in online Debatten handelt. Hate Speech aktiviert in der Gesellschaft menschenfeindliche Ideologien wie Rassismus, Antisemitismus usw. Dadurch wird das gleichberechtigte soziale Zusammenleben selbst infrage gestellt und die Basis der Gesellschaft zerstört. Bei Hate Speech werden Menschen zur Zielscheibe, allein durch das, was sie sind, egal ob sie in der Debatte teilnehmen oder nicht, egal wie sie sich darin positionieren. Sie können der Herabsetzung nicht entkommen.
Da fallen einem Halle und Hanau ein.
Beide Fällen haben zwei gemeinsame Elemente: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und die Nutzung sozialer Medien. Bei dem Attentat auf die Synagoge in Halle übertrug der Täter seine feige Tat damals online, bereits zuvor war er in online Communitys aktiv, in denen diskriminierende Inhalte zirkulierten. In Hanau attackierte ein Mann Sisha Bars und tötete insgesamt zehn Menschen. Shisha Bars waren, bevor sie in Hanau zum Ziel wurden, ein Dauerthema in der online Kommunikation einer rechtsradikalen Partei. Die Liste mit Beispielen könnte weiter fortgesetzt werden.
Die Schnittmenge liegt also in Bedeutung der bewussten oder intentionalen Herabsetzung historisch unterdrückter oder systematisch diskriminierter Gruppen durch Kommunikation, kurz: Hate Speech.
Es gibt zahlreiche Studien über Hasspostings und Hate Speech im Netz. Wie ist aus Ihrer Sicht der aktuelle Forschungsstand?
Die meisten Studien zu Hasspostings reduzieren Hate Speech allein auf das, was auf dem Bildschirm zu sehen ist. Mittels Inhaltsanalyse untersucht, werden häufig allein die sprachlichen Ausdrücke einbezogen. Dadurch aber erfasst man nur Beschimpfungen, Drohungen und direkte Aufrufe zur Gewalt. Diskriminierende Botschaften ohne sprachlichen Ausdruck (Bilder, Memes usw.) werden in der Regel nicht analysiert. Nicht erfasst wird hierbei auch, wer hinter einem Instagram-Post mit der Botschaft „Stolz, weiß zu sein“ steckt, wie (Algorithmen) die Botschaft verbreitet wird und an wen (Netzwerk).
Viele Studien zeigen auch, dass die überwiegende Anzahl von Hasspostings auf unzivilisierte bzw. unhöfliche Ausdrücke zurückführen sind. Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind darunter aber häufig die Ausnahme. Das hat weniger mit der Seltenheit des Problems zu tun, sondern viel mehr mit der Tatsache, dass Hasspostings hauptsächlich in den online Kommentarspalten von Medien und deren Social Media-Accounts untersucht werden. Solche Foren sind im Vergleich zu Facebookseiten, Whatsapp- und anderen Messengergruppen von Hooligans, Frauenhassern, Rechtspopulisten aber nur ein Nebenschauplatz für das Auftreten von Hate Speech.
„Während wir uns also auf Beschimpfungen auf Facebook fokussieren und uns um die „Verrohrung der Debattenkultur“ sorgen, nimmt die Herabsetzung und Anstiftung gegen Gruppen chamäleongleich jede Gestalt an, die die Digitalisierung erlaubt. „
Hinzu kommt, dass User durch die Gleichsetzung von Hate Speech und Hasspostings die Medienkompetenz verlieren, Hate Speech zu erkennen. Studien zeigen, dass Posts und Kommentare erst als Hate Speech wahrgenommen werden, wenn sie unhöflich (nicht aber, wenn sie diskriminierend) sind oder Tiervergleiche und rassistische Symbole enthalten. Erfahrene Hate Speaker, wie öffentliche Personen, posten aber selten derartige Inhalte. Trotzdem handelt es sich bei ihren Äußerungen häufig um Hate Speech (wie z.B. Anstiftung zur Diskriminierung), mit dem die User des rechten Spektrums bewusst und intentional versuchen, die Mitte der Gesellschaft für ihre rassistischen Vorstellungen zu gewinnen.
Während wir uns also auf Beschimpfungen auf Facebook fokussieren und uns um die „Verrohrung der Debattenkultur“ sorgen, nimmt die Herabsetzung und Anstiftung gegen Gruppen chamäleongleich jede Gestalt an, die die Digitalisierung erlaubt. Sobald bei Hate Speech Beschimpfungen, Aufrufe zur Gewalt und Hackenkreuze ausgespart bleiben, wird es nicht als solches wahrgenommen. Solange Hate Speech nicht von Rechtsextremen, sondern von öffentlichen Personen, wie Politiker:innen oder Publizist:innen, kommt, wird es nicht als das benannt, was es ist. So bleibt der Elefant im Raum, bis die kleinste Bewegung den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstört und Menschenleben kostet.
Was hilft gegen Hate Speech bzw. was nicht? Was empfehlen Sie?
Gegen Hate Speech helfen keine Argumente. Ob Menschen mit einem gewissen Phänotyp oder Geschlecht überhaupt Menschen seien, ist grundsätzlich nicht diskutabel. Geht man dennoch auf sie ein, führt das dazu, solche Fragen als eine Meinung unter vielen anzuerkennen.
Hinzu kommt die Logik der Sozialen Medien. Soziale Medien erwirtschaften Geld, indem sie die Daten verkaufen, die durch die User-Interaktionen generiert werden. Je mehr wir rassistische oder sexistische Inhalte countern, desto mehr Interaktionen entstehen, desto mehr zu verkaufenden Daten gibt es. Es ist für die digitalen Plattformen egal, ob wir uns darin gegenseitig herabwürdigen. Hauptsache: Wir interagieren. Daher ist Gegenargumentieren bei Hate Speech fehl am Platz. Die Lösung hier heißt löschen, blockieren, Filterblasen zum Platzen bringen, Interaktionsketten brechen. (mig) Aktuell Interview Panorama
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Danke für dieses ausgesprochen kluge und differenzierte Interview!
Danke für die notwendige Richtigstellung. Es ist eben etwas anderes, wenn mal wieder verbal auf Migranten losgegangen wird, die zumeist macht- und hilflos dastehen, als wenn Journalisten beschimpft werden, die in der Position sind, sich öffentlich oder juristisch zu wehren. Das wird viel zu häufig übersehen…
Solche Anglizismen wie „Hate-Speech“ oder „Racial Filing“ verwende ich überhaupt nicht, solange es dafür keine deutschen oder lateinischen Entsprechungen gibt. So sind sie für mich gewissermaßen gar nicht existent.