Interview mit Hiltrud Stöcker-Zafari
„Rassismus hat sich gehalten, aber wir sind ein Teil dieser Gesellschaft geworden.“
Das Private ist politisch – 40 Jahre war Hiltrud Stöcker-Zafari im Verband binationaler Familien und Partnerschaften aktiv, ehrenamtlich, in Vorständen, als Beraterin, die letzten 10 Jahre als Geschäftsführerin. Jetzt geht sie in den Ruhestand. Von Menschenrechten, Selbstverständlichkeiten, sich Gehör verschaffen und letzten Fragen - ein Interview.
Von Dr. Carmen Colinas und Isabelle Reibe Mittwoch, 09.12.2020, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 08.12.2020, 16:57 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
„Es ist normaler geworden.“
Wenn ich zurückblicke, dann hat der Verband, haben wir, gerade in den Anfangsjahren ganz, ganz viel Energie dareinsetzen müssen, zu vermitteln, dass es so etwas wie Binationale überhaupt gibt. Menschen unterschiedlichster Herkunft finden zusammen und wollen ein Leben gemeinsam gestalten, und zwar in Deutschland. Das dies ein Menschenrecht ist, eine Selbstverständlichkeit. Das war es damals überhaupt nicht. Es ist normaler geworden.
„Es gibt immer wieder Erfolge.“
Dass wir es überhaupt geschafft haben, dass unsere Partner und Partnerinnen hier einen eigenständigen Aufenthalt erhalten und hier arbeiten können. Ich sage bewusst wir, das sind ja nicht nur individuelle Erfolge, das haben wir alle zusammen geschafft. Also an den rechtlichen Hürden hat sich viel verändert. Wir konnten erreichen, dass die deutsche Staatsangehörigkeit auch über die Mütter weitergegeben wird, dass die Kinder eben nicht mehr rechtlich „Ausländer“ waren. Auch, dass die deutschen Ehefrauen nicht mehr einfach so dem Heimatrecht des ausländischen Ehemannes unterstellt sind. All das sind Errungenschaften, für die wir damals eingetreten sind. In der jüngeren Zeit gibt’s natürlich auch immer wieder Erfolge, z.B. die Ehebestandszeit, die damals von vier Jahren auf zwei Jahre reduziert werden konnte, auch durch konzertierte Aktionen vieler Bündnispartner:innen. Im Nachgang auch wieder zurückgenommen und auf drei Jahre erhöht wurde. Trotzdem hat man gesehen, man kann etwas erreichen, aber man muss dafür eintreten, dass es auch weiterhin Bestand hat.
„Auch wenn Rechtsansprüche geschaffen wurden.“
Der Familiennachzug ist ein Sachverhalt, der mich über Jahrzehnte begleitet hat. Da hat sich eigentlich im Laufe der Jahre nicht wirklich was verändert, auch wenn Rechtsansprüche geschaffen wurden. Aber die Umsetzung ist dermaßen schwierig und hindert viele Paare daran, zusammenzukommen, gerade wenn ein:e Partner:in aus einem Drittstaat kommt, der visumspflichtig für Deutschland ist. Das ist eine riesige Hürde. Allen voran der Sprachnachweis, der ist, auch nach meiner ganz persönlichen Meinung, hier einfach fehl am Platz. Es reicht, wenn die Ehegattin, der Ehegatte in Deutschland die deutsche Sprache lernen. Und da gehört es hin, nur da. Punkt.
„Berichten Sie einfach mal was aktuell los ist.“
Natürlich haben sich Diskriminierungserscheinungen gehalten. Rassismus hat sich gehalten, aber wir sind ein stärkerer Teil dieser Gesellschaft geworden. Das auf jeden Fall. Und wir werden auch gesehen. Wir erhalten Zuschüsse, man fragt uns, wir geben Stellungnahmen ab zu verschiedenen Gesetzesentwürfen, wir werden eingeladen als Referent:innen, man fragt uns, wie es uns geht, wie es den Familien geht, wie es den Paaren geht. Und zwar nicht unter dem Gesichtspunkt „Oh, jetzt will ich mal was Exotisches hören“, sondern schon auch eher „Berichten Sie einfach mal was aktuell los ist.“ Und das zeigt, dass man die Paare und Familien sieht, das hat sich verändert. Und auch Themen wie Bildung, Mehrsprachigkeit, diversitätssensible, rassismuskritische Arbeit werden stärker wahrgenommen.
„Ich kann mir keine Zeit vorstellen, in der es den Verband nicht mehr benötigt.“
Da sind so viele Fragen der Paare und Familien, zu ihrer individuellen Lebenssituation, die in dieser Vielfalt und in dieser Breite gar nicht von anderen Regeleinrichtungen bearbeitet werden. Nach wie vor nicht. Ich denke Regierung ist gut beraten, Zivilgesellschaft auch in dieser Hinsicht zu unterstützen, auch voranzubringen. Wir brauchen die Interessenvertretung, die Beratung für die Familien, für die Paare. Das ist ja nicht weniger geworden. Zivilgesellschaft, die politische Maßnahmen begleitet, sollte sich diese Gesellschaft leisten. Das macht auch eine demokratische Gesellschaft aus.
Also insofern denke ich ja, wir brauchen den Verband auch weiterhin und wahrscheinlich noch viele, viele Jahre.
„Die werden da nicht gesehen, da muss man laut werden.“
Migration und Familie zusammen zu thematisieren ist nach wie vor ein ganz, ganz dickes Brett. Wer soll diese beiden Querschnittsthemen in dieser konzertierten Form bearbeiten, wenn nicht wir? Und da gibt es nach wie vor total viel zu tun. Migrierte Familien, interkulturell verschieden zusammengesetzte oder vielfältige Familien, globale Familien, werden in ihrer Vielfalt nicht gesehen, da muss man laut werden. Und deutlich sagen „Hey, wir gehören dazu“. Und dann hört man plötzlich: „Ja. Natürlich gehören sie dazu. Selbstverständlich.“ Also man muss schon sagen: „Hier! Hallo, hier bin ich. Und ich habe dazu auch etwas zu sagen.“ Dann wird man auch einbezogen. Wenn man nicht ruft und laut ist, dann wird man schnell vergessen. Und insofern braucht’s halt eine laute Stimme, die deutlich sagt „Hier gibt’s noch mehr. Hier gibt’s noch mehr als das, was es traditionell gibt.“
„Und wenn es mir fehlt, dann werde ich es mir suchen.“
Ja, was wird mir fehlen? Ja, ganz viel. Natürlich der tägliche Kontakt. Sich ärgern über Nachrichten, sich freuen über Nachrichten. Das sehr schnell mit unterschiedlichen Menschen teilen zu können. Das ständige unterwegs sein, was Fluch und Segen zugleich ist. Aber das Treffen in unterschiedlichsten Runden und mit den verschiedensten Menschen und ja, und gemeinsam da irgendwie politisch was gestalten zu können. Ich weiß noch nicht genau, wie sich das tatsächlich anfühlt. Ich glaube, das wird sich entwickeln. Und wenn es mir fehlt, dann werde ich es mir suchen.
„In manchen Momenten auch ein Quäntchen Risiko eingehen.“
Wenn ich meiner Nachfolgerin etwas mitgeben wollte, dann genau wahrzunehmen, was da ist, was ich ihr übergebe und dann einfach auch schauen, dass sie ihren eigenen Weg findet, ihre eigenen Nuancen und Schwerpunkte setzt. Das ist wichtig. Ich finde, in so einer Funktion muss man sehr authentisch sein in dem, was man tut. Sonst kann man es, glaube ich, nicht gut machen. Und ein stückweit Gelassenheit, aber auch Glück und Zuversicht. In manchen Momenten auch ein Quäntchen Risiko eingehen. Wird schon gut werden. Wird schon passen, wird sich schon fügen. Ja, ich glaube, das ist das, was ich hier mitgeben werde.
„Was ich schon immer fragen wollte…“
Also das wäre eine Frage an die Politik. Warum sie sich so querstellen. Das hat mir bisher niemand wirklich beantworten können. Es gab dann immer irgendwelche Ausführungen von wegen personeller Besetzungen der deutschen Auslandsvertretungen und wie schwierig das alles sei. Auch jetzt in Corona, gerade aktuell mit den Bediensteten in den Botschaften, die man halt keiner Gefahr aussetzen muss. Ja, finde ich auch alles. Trotzdem ist es keine Antwort darauf, dass man Rechtsansprüche von Familien tangiert und irgendwie außer Kraft setzt.
Und dass die sich über Monate nicht sehen können und überhaupt nicht wissen, wann Ende ist. Müssen die warten, bis der Letzte irgendwie gegen Corona geimpft ist, damit die irgendwie ein Visum stellen können? Ein Einreisevisum stellen können? Alles wird mit personellen Engpässen, mit Politik, mit politischer Strategie begründet. Das ist alles keine Begründung. Das ist nicht weitreichend genug, finde ich.
Also die Frage, warum es so schwer ist, als Paar mit unterschiedlichen Pässen zusammenzukommen, die Frage hat mir bisher noch keiner wirklich beantworten können. Aktuell Interview Panorama
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