Gespräch mit Verena Bentele
Arme Menschen kämpfen in der Corona-Pandemie mit zusätzlichen Kosten
Es sind kleine Beträge, die zu viel werden: Für Hartz-IV-Empfänger können schon 1,50 Euro für Desinfektionsmittel eine schmerzhafte Zusatzausgabe sein. In der Pandemie gibt es laut VdK-Präsidentin Bentele viele solcher Mehrkosten.
Von Jana-Sophie Brüntjen Mittwoch, 16.12.2020, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 15.12.2020, 13:49 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Für die einen bedeutet die Corona-Pandemie viel Sparpotenzial: Fernreisen fallen aus, Restaurants sind geschlossen, und in den Theatern bleiben die Vorhänge zu. Die 7,90 Euro für einen Zehner-Pack Einwegmasken fallen da nicht weiter ins Gewicht. Für die rund 13 Millionen einkommensarme Menschen in Deutschland – überproportional oft Personen mit Einwanderungsgeschichte – können dagegen solche Beträge eine große Belastung bedeuten, wie Verbände befürchten. Auch Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, warnt im Gespräch vor gestiegenen Kosten für Menschen mit niedrigen Einkommen. Schließlich gefährdeten diese auch das soziale Leben der Menschen.
Frau Bentele, bereits seit Beginn der Pandemie fordern Sie eine pauschale Erhöhung existenzsichernder Sozialleistungen um 100 Euro, um Mehrkosten durch die Pandemie auszugleichen. Um welche Ausgaben geht es hier?
Verena Bentele: Zum einen haben sich die Lebenshaltungskosten zumindest phasenweise erhöht, weil zum Beispiel manches Obst und Gemüse teurer geworden ist. Dazu kommen die Sonderausgaben für Masken und Desinfektionsmittel. Das sind alles Kosten, die Menschen mit wenig Geld wie Grundsicherungsempfängerinnen und -empfänger oder Alleinerziehende große Löcher in die Haushaltskassen reißen.
Aber waren einige pandemiebedingten Anschaffungen nicht einmalig?
Bei manchen Dingen wie waschbaren Masken ist das so, diese Kosten stehen nicht noch einmal an. Aber um beim Mund-Nasen-Schutz zu bleiben: Für FFP2-Masken, die man braucht, um zum Arzt zu gehen oder um sicher mit der Straßenbahn zu fahren, ist der Bedarf weiter da. Das ist übrigens ein Kostenpunkt, der für Menschen mit mehr Geld nicht unbedingt entsteht, denn sie können mit dem Auto fahren.
Bund und Länder haben gerade wegen der Mehrkosten für den Mund-Nasen-Schutz beschlossen, dass Risikogruppen künftig gratis Masken bekommen sollen. Was halten Sie von so einer konkreten Hilfe?
Prinzipiell finden wir das gut. Jede solcher Leistungen wirft aber auch neue Fragen auf: Bei welchen Gruppen und bei welchen Leistungen fängt man an und wo hört man auf? Macht man zum Beispiel mit Desinfektionsmittel weiter und müssten nicht viel mehr Menschen diese Masken bekommen? Außerdem sind für die Risikogruppe der Älteren die Masken nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Größere finanzielle Probleme sind zum Beispiel, dass einige von ihnen einen Lieferservice für Lebensmittel bestellen müssen, wenn sie sich nicht in den Supermarkt trauen und ihnen niemand helfen kann. Oder dass sie mal ein Taxi zum Arzt nehmen, um nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu müssen. Auch für solche Fälle fordern wir die Aufstockung der Grundsicherung um 100 Euro.
Welche Folgen haben die pandemiebedingten Mehrkosten langfristig?
Soziale Teilhabe hängt in Deutschland stark von den finanziellen Möglichkeiten ab. Das wurde in der Pandemie noch verstärkt. Kinder und Jugendliche aus Familien mit wenig Geld sind normalerweise über die Schule, die Kita oder den Sportverein sozial eingebunden. Wenn das wegfällt und keine digitale Technik da ist, können sie keinen Kontakt zu Freunden halten.
Und bei den Erwachsenen?
Für Erwachsene mit geringem Einkommen ist die soziale Teilhabe erschwert, weil sie kaum oder keine Austauschmöglichkeiten mehr haben. Verschiedene Unterstützungsstellen wie die Tafeln können nur eingeschränkt arbeiten. Die waren aber für viele zuverlässige Plattformen, um andere Menschen zu treffen. Dadurch, dass auch Erwachsenen die digitale Technik und teilweise auch digitale Kompetenzen fehlen, wird ihre Kommunikation noch weiter erschwert. Im Übrigen ist auch die Ernährung von Menschen mit wenig Geld dadurch schlechter und weniger ausgewogen geworden, dass die Tafeln nicht so operieren wie normalerweise. Das sind alles Aspekte, die zeigen, dass das Leben von Einkommensschwachen wesentlich härter geworden ist.
Wo bekommen die Menschen Hilfe?
Eltern können sich, gerade wenn es um die technische Ausstattung geht, an die Schulen wenden. Manche bieten Unterstützung über Fördervereine an. Außerdem gibt es weiterhin die Hilfs- und Beratungsangebote von Organisationen wie den Sozialverbänden und Kirchen. Darüber hinaus werden die Leistungen der Grundsicherung momentan deutlich einfacher und schneller gewährt, also ohne eine Vermögensprüfung. Auch die Wohnkostenzuschüsse gibt es leichter. Allerdings ist die Schwelle, sich Hilfe beim Amt zu holen, für die Menschen, die noch keine Grundsicherung beziehen, extrem hoch. Da ist die Gesellschaft gefragt, aufmerksam zu sein und diesen Personen Hilfe anzubieten.
Was müsste langfristig getan werden, damit Menschen in Ausnahmezeiten nicht in Bedrängnis geraten?
Wir müssen darüber sprechen, wie wir die soziale Absicherung in unserem Land gestalten wollen. Die Grundsicherung muss dringend verbessert werden. Und auch die Frage, dass Selbstständige sowie Beamtinnen und Beamte in die Sozialversicherungen einbezogen werden, müssen wir diskutieren. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama
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