Rettungseinsätze im Mittelmeer
Neue Einsätze, festgesetzte Schiffe und Hoffen auf den EuGH
Das neue Jahr beginn für Seenotretter wie 2020 endete: Planung neuer Einsätze im Mittelmeer und Klagen gegen festgesetzte Rettungsschiffe. Jetzt soll erstmals der Europäische Gerichtshof entscheiden.
Montag, 11.01.2021, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 10.01.2021, 12:12 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die private Seenotrettungsorganisation SOS Méditerranée bereitet einen neuen Rettungseinsatz mit ihrem Schiff „Ocean Viking“ auf dem Mittelmeer vor. „Wir sind froh und erleichtert, dass wir nach fünf Monaten Blockade wieder Menschen vor dem Ertrinken retten können“, sagte die Politik-Referentin der Organisation, Jana Ciernioch, dem „Evangelischen Pressedienst“. Ziel seien die internationalen Gewässer vor der libyschen Küste.
Der Rettungseinsatz an der zentralen Mittelmeerroute sei dringend notwendig. „Die Menschen fliehen weiterhin über das Mittelmeer, auch im Winter“, sagte Ciernioch. Dabei könnte die instabile Lage in Libyen eine Rolle spielen. Die „Ocean Viking“ war im Sommer von den italienischen Behörden festgesetzt worden. „Wir lagen jetzt fünf Monate in Sizilien im Hafen an der Kette, während im gleichen Zeitraum fast 500 Menschen ertrunken sind – Menschen, die eventuell hätten gerettet werden können.“
Ein Rettungseinsatz im Winter während der Corona-Pandemie bedeute große Herausforderungen. Es gebe strenge Corona-Regeln an Bord. Die Crew und das medizinische Team müssten sich darauf einstellen, dass die Menschen in den Schlauchbooten an schwerer Unterkühlung leiden. Wind und Wellen machten die Überfahrt in den Schlauchbooten im Winter noch gefährlicher als sonst. „Aber die große Frage ist: Werden wir die Geretteten an sicheren Häfen an Land bringen dürfen?“ Im Frühjahr 2020 hatten Italien und Malta ihre Häfen für private Rettungsschiffe geschlossen.
Enttäuscht von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
Auch nach sechs Monaten deutscher EU-Ratspräsidentschaft gebe es immer keine Lösung für die humanitäre Krise im Mittelmeer, beklagte Ciernioch. Ein solidarisches Aufnahme- und Verteilsystem für die geretteten Menschen sei dringend notwendig, ebenso eine europäisch organisierte Rettungsmission. Nun richte sich der Blick auf Portugal, das jetzt den EU-Vorsitz innehat. „Im Rahmen des EU-Migrationspaktes muss auch das Thema Seenotrettung auf den Tisch kommen“, forderte Ciernioch. „Wir brauchen 2021 eine Lösung.“
Auch in der Corona-Pandemie dürften die Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Leben, und die Pflicht zur Seenotrettung, nicht hinten anstehen. Im vergangenen Jahr sind nach UN-Angaben mindestens 1.152 Menschen bei der Fahrt über das Mittelmeer ums Leben gekommen, davon 779 auf der zentralen Route. Es muss aber mit einer hohen Dunkelziffer gerechnet werden.
Sea-Eye klagt gegen Festsetzung der „Alan Kurdi“ in Sardinien
Derweil klagt die Seenotrettungsorganisation Sea-Eye gegen die Festsetzung ihres Schiffes „Alan Kurdi“ in Sardinien. Die italienische Küstenwache verweigere Inspektionen zur Beendigung der Festsetzung, begründete der Regensburger Verein vergangene Woche Dienstag die Klage vor dem Verwaltungsgericht Cagliari. Dieses solle nun in einem Eilverfahren über die Rechtmäßigkeit der Maßnahme entscheiden.
Die „Alan Kurdi“ hatte im vergangenen September im südlichen Mittelmeer 133 Flüchtlinge aus Seenot gerettet, darunter 62 Minderjährige. Nach tagelangem Warten hatte das Schiff die Genehmigung erhalten, die nach einer Evakuierung medizinischer Notfälle an Bord verbliebenen 125 Migranten nach Sardinien zu bringen. Seit Oktober ist das Schiff im Hafen von Olbia im Norden der Insel blockiert. Die italienische Küstenwache beanstandet technische Mängel des Schiffs und eine Überzahl an Rettungswesten. Sea-Eye-Sprecher Gordon Isler wirft der italienischen Küstenwache politisch motiviertes Vorgehen vor.
Europäischer Gerichtshof soll entscheiden
Auch das Seenotrettungsschiff „Sea-Watch 4“ kann mehr als drei Monate nach ihrer Festsetzung keinen Einsatz starten. Es liegt weiter in Palermo fest. Die Hilfsorganisation Sea-Watch setzt nun auf den Europäischen Gerichtshof (EuGH). „Wir hoffen auf eine baldige Entscheidung des EuGH in unserem Sinne, damit wir wieder fahren können“, erklärte Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer Ende Dezember.
Der EuGH soll über die von Sea-Watch in Palermo eingelegten Rechtsmittel gegen die Festsetzungen ihrer Rettungsschiffe befinden. Das Verwaltungsgericht Palermo hatte nach Angaben der Hilfsorganisation zu Weihnachten angeordnet, die Sache an den Europäischen Gerichtshof zu verweisen. „Sea-Watch 4“ war im September von den italienischen Behörden festgesetzt worden, nachdem sie bei ihrem ersten Einsatz mehr als 350 Menschen aus Seenot gerettet hatte. Zur Begründung waren angebliche Sicherheitsmängel genannt worden.
Neugebauer kritisierte erneut „vorgeschobene Erklärungen, um uns festzuhalten“. Es könne nicht sein, dass zu viele Rettungswesten an Bord gegen das Schiff sprechen, betonte er. „Und es kann nicht sein, dass ein Abwassertank über Leben und Tod auf dem Mittelmeer entscheidet.“ Allein über Weihnachten habe es wieder mehrere Schiffsunglücke und zahlreiche Tote gegeben. „Wir hoffen, dass die Klärung durch den Europäischen Gerichtshof endlich die unrechtmäßige Praxis der administrativen Festsetzungen beendet, die von den italienischen Behörden genutzt wird, um NGO-Schiffe vom Retten abzuhalten“, erklärte Sea-Watch.
Mittelmeer-Rettung: „Open Arms“ bringt Bootsflüchtlinge nach Sizilien
Zuletzt hat das spanische Rettungsschiff „Open Arms“ 265 in Flüchtlinge nach Sizilien gebracht. Die Mehrheit der in den vergangenen Tagen im südlichen Mittelmeer geretteten Migranten sollten nach Angaben des italienischen Rundfunks auf ein Quarantäne-Schiff vor dem Hafen von Porto Empedocle gebracht werden. Fünfzig Minderjährige würden in eine Einrichtung auf dem Festland untergebracht, hieß es weiter. Wegen der Corona-Beschränkungen durfte das Schiff nicht in den Hafen einlaufen.
Unter den bei mehreren Rettungseinsätzen an Bord genommenen Flüchtlingen sind nach Angaben der Hilfsorganisation „Open Arms“ auch sechs Kleinkinder. Malta hatte die Genehmigung, den nächstgelegenen Hafen anzulaufen, verweigert. Während die Geretteten bei stürmischem Wetter an Deck der „Open Arms“ versorgt wurden, teilte Italien dem Schiff Anfang vergangener Woche Porto Empedocle in Sizilien als sicheren Hafen zu. (epd/mig) Aktuell Panorama
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