1.000 Tote in 2020
Bidens Reformproblem – Polizeigewalt ist in den USA alltäglich
Eine der großen Aufgaben, vor denen Joe Biden als US-Präsident steht, ist der Kampf gegen Polizeigewalt. Im Wahlkampf hatte er wegen der häufigen Polizeischüsse auf Afroamerikaner und der "Black-Lives-Matter"-Proteste Reformpunkte vorgelegt.
Von Konrad Ege Dienstag, 19.01.2021, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 18.01.2021, 15:41 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Ob Joe Biden in seiner Präsidentschaft viel ausrichten kann gegen die Polizeigewalt im Land? Nach dem polizeifreundlichen Donald Trump sehen Bürgerrechtler Nachholbedarf. Die „Black Lives Matter“-Mitbegründerin Alicia Garza verlangte in der Wochenzeitung „The Nation“, Biden solle einen „Notstand“ erklären, um Polizeireformen zügig durchzusetzen.
Die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt erhalten immer mehr Zulauf, „Black Lives Matter“ ist zu einer der größten Bürgerrechtsbewegungen der US-Geschichte geworden. Die Zahl der tödlichen Polizeischüsse aber geht nicht zurück. Im Jahr 2020 sind laut der Datenbank der Zeitung „Washington Post“ 1.000 Menschen von Polizisten erschossen worden, fast genauso viele wie 2015 (994). Schwarze werden gemessen am Bevölkerungsanteil mehr als doppelt so oft getötet wie Weiße. Für weltweites Entsetzen sorgte im vergangenen Jahr der auf Video dokumentierte Tod des Afroamerikaners George Floyd.
Joe Biden hatte im Wahlkampf Reformpunkte vorgelegt: Die Regierung werde 300 Millionen Dollar zur Stärkung von Polizeiarbeit mit der Bevölkerung investieren – persönliche Kontakte zwischen Polizisten und Bürgern sollen Gewalt vorbeugen. Das Justizministerium solle bei Vorwürfen von Polizeibrutalität verstärkt ermitteln und dafür sorgen, dass Bürgerrechtsgesetze eingehalten würden. Und mit Hilfe öffentlicher Mittel solle die Ausbildung verbessert werden.
Polizeigewalt alltäglich
Der nationalen Regierung sind darüber hinaus allerdings in vielen Bereichen die Hände gebunden: Die Polizeiarbeit machen in den USA rund 17.000 unterschiedliche örtliche und regionale Behörden mit eigenen Regeln und Vorschriften.
Gibt man die Begriffe „police“ (Polizei) und „shooting“ (Schießerei) in eine Internet-Suchmaschine ein, sieht man, wie alltäglich Polizeigewalt in den USA ist: An einem der ersten Tage im Januar 2021 erschoss ein Beamter laut einem Fernsehbericht in der Stadt Columbus in Ohio den 23-jährigen Casey Christopher Goodson vor den Augen seiner Großmutter. Es ist umstritten, ob Goodson eine Waffe bei sich hatte.
Das Problem sitzt tief
Die Polizei in dem Ort Dumfries in Virginia wurde von einer Ehefrau angerufen: Ihr 79-jähriger Mann wolle sich anscheinend mit einer Schusswaffe das Leben nehmen. Der Mann sei weggelaufen. Fünf Beamte hätten ihn schließlich gestellt und unter noch ungeklärten Umständen erschossen, hieß es in Medienberichten.
Das Problem sitze tief, sagte Kriminologe Alejandro Del Carmen Anfang Januar dem Fachdienst „thecrimereport.org“. Im Wesentlichen existiere die Polizei, um Eigentum und die wohlhabende Bevölkerung zu schützen. Gehöre jemand nicht zu diesem Segment, werde er schnell als Bedrohung gesehen, kritisiert Del Carmen, Polizeiausbilder in Texas und Autor eines Buches über „Racial Profiling“ durch die Polizei. Sehe jemand nicht so aus wie die meisten Leute, „dann bekommt man Rassismus zu spüren“.
Biden, der Scharfmacher
Biden war nicht immer hellhörig beim Thema Polizei. Bei einer Wahlveranstaltung im vergangenen September sprach der 78-Jährige über die Welt seiner Kindheit, katholisch, Arbeiterschicht, irisch-amerikanische Familien: Zur Polizei gehen bedeutete sozialen Aufstieg. Polizist, Feuerwehrmann und Priester, das seien Berufswünsche seiner Altersgenossen gewesen, sagte Biden.
Er selbst wurde Politiker. Von 1973 bis 2009 saß er im Senat. Die 80er und die 90er Jahre waren andere Zeiten. Der Republikaner Ronald Reagan war zwischen 1981 und 1989 Präsident, ein beherrschendes Thema lautete „Law and Order“, also Verbrechensbekämpfung. Und Biden war damals eine Art Scharfmacher, wie manche Demokraten: Sie wollten das emotionale Thema nicht den Republikanern überlassen.
Wären sie Schwarz gewesen …
Seit es Smartphones gibt und Passanten Polizeigewalt filmen, hat sich die Stimmung verändert. Die Übergriffe lassen sich nicht mehr wegreden, die „Black Lives Matter“-Bewegung prangert sie öffentlich an und erhält viel Unterstützung. Eine Polizeireform ist jedoch ein zäher Prozess in einer Nation mit vielerorts militarisierter Polizei und geschätzt mehr als 300 Millionen Schusswaffen in Privathänden. Die konservativen Polizeigewerkschaften widersetzen sich Veränderungen, das wird auch Joe Biden zu spüren bekommen.
Aber das Problem ist ihm mittlerweile bewusst. Nach dem Ansturm von Donald-Trump-Anhängern am 6. Januar auf das Kapitol in Washington sprach Biden auch über Hautfarben. Im Fernsehen sahen US-Amerikaner stundenlang relative Untätigkeit der Polizei. Wären die Männer und Frauen, die ins Kapitol eindrangen, Mitglieder der „Black Lives Matter“-Bewegung gewesen, hätte die Polizei ganz anders reagiert, sagte Biden: „Wir alle wissen, dass das stimmt, und es ist nicht akzeptabel.“ (epd/mig) Aktuell Ausland
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