Demokratie unter Druck
Studie: Viele Industrieländer für Krise schlecht gewappnet
Rückschritte bei der Nachhaltigkeit, steigendes Armutsrisiko, schwindende Reformfähigkeit: Viele OECD- und EU-Staaten waren laut einer Studie nicht gut auf die Pandemie vorbereitet. Die Demokratie sei in 24 von 41 Staaten "stark unter Druck".
Mittwoch, 27.01.2021, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 26.01.2021, 17:40 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Viele Industrieländer sind einer Studie zufolge schlecht gewappnet für eine Krise wie die Corona-Pandemie. Bereits vor der Pandemie seien sie überzeugende Reaktionen auf Veränderungen wie Digitalisierung, Klimawandel, soziale Ungleichheit und steigende Polarisierung schuldig geblieben, erklärte die Bertelsmann Stiftung bei der Veröffentlichung einer entsprechenden Untersuchung am Dienstag in Gütersloh. Die Corona-Krise werde „zu dem zentralen Lackmustest für die Zukunftsfähigkeit der wohlhabenderen Demokratien nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009“, betonen die Autoren des Ländervergleichs von 41 Industriestaaten aus der OECD und der Europäischen Union.
Schon vor der Pandemie habe in vielen Staaten die Wachstumsdynamik „deutlich nachgelassen“, heißt es in der Studie. Während demnach die deutsche Wirtschaft zwischen 2009 und 2019 um durchschnittlich 1,3 Prozent im Jahr wuchs, lag das Bruttoinlandsprodukt zum Beispiel in Italien und Griechenland pro Kopf noch unter dem Niveau von 2008. Trotz Beschäftigungswachstum hätten in vielen Ländern nicht alle Gruppen gleichermaßen vom Aufschwung profitiert, stellen die Autoren fest.
Das Armutsrisiko lag den Angaben zufolge für Kinder und Jugendliche in 15 der 41 untersuchten Länder 2019 höher als 2013, den stärksten Anstieg verzeichnete die Schweiz. So wuchs dort der Anteil armutsgefährdeter junger Menschen von 7 Prozent auf 11,6 Prozent. Der wirtschaftliche Abschwung durch die Corona-Krise werde das Armutsrisiko in den meisten EU- und OECD-Ländern erhöhen, heiß es.
Nicht immun gegen Demokratie-Aushöhlung
Vielerorts hat sich laut der Studie zudem die Fähigkeit von Regierungen verringert, Entwicklungen effektiv zu steuern. In einer Mehrheit von 26 Staaten sei es zu Stillstand oder weiteren Verschlechterungen gekommen. Während die nordischen Staaten und Neuseeland bei der Steuerungsfähigkeit an der Spitze liegen, haben die Regierungen unter anderem in Polen, den USA, der Türkei, Italien und Ungarn dabei die stärksten Verluste zu verzeichnen.
Es habe sich bereits vor der Pandemie gezeigt, dass die Industrieländer gegen eine allmähliche Aushöhlung demokratischer Standards nicht immun sind, erläutern die Autoren. Im Vergleich zu 2013 zeigen sich demnach Verschlechterungen in 24 Staaten, vor allem in den Bereichen Medienfreiheit, Bürgerrechte sowie gerichtliche Überprüfung. In der Türkei, Ungarn, Mexiko, Rumänien und Polen müssten demokratische Normen und Institutionen wie eine freie Presse und eine unabhängige Justiz „heute als defekt angesehen werden“.
Populismus und Desinformation
In vielen Ländern sei es Populisten zudem gelungen, politische und gesellschaftliche Gräben weiter zu vertiefen, wie es heißt. Dabei sei Desinformation zu einer „besonders wirksamen Waffe geworden“, die unter anderem von rechtsextremen Gruppen eingesetzt werde. In 19 von 41 Staaten war demnach das Ausmaß der politischen Polarisierung bereits vor der Krise ein großes Hindernis für eine nachhaltige Politikgestaltung. „Ohne eine breite gesellschaftliche Unterstützung und Vertrauen in die Krisenreaktion der Regierung wird selbst den besten Ideen die nötige Zugkraft fehlen, um sich in der Praxis durchzusetzen“, warnen die Autoren.
In dem jährlichen Ländervergleich (Sustainable Governance Indicator) untersuchen die Forscher die Nachhaltigkeit von Politikergebnissen, die Robustheit der Demokratie-Standards und die Qualität der Regierungsführung. Mit dem Index analysiert die Bertelsmann Stiftung seit 2011 regelmäßig die Zukunftsfähigkeit der Mitgliedsstaaten in der EU und in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). (epd/mig) Aktuell Studien Wirtschaft
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