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"Entwicklungshilfe umkrempeln"

Trinkgeld für die Näherin in Pakistan

In der Gastronomie sind Trinkgelder selbstverständlich. Dieses Prinzip will das Unternehmen "tip me" auf die Textilindustrie übertragen: Kunden können mit einem Klick der Näherin ihrer Turnschuhe in Pakistan ein paar Euro überweisen.

Freitag, 05.02.2021, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 03.02.2021, 14:56 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Vom ersparten Trinkgeld aus Deutschland hat sich die Textilfabrikarbeiterin Veronica aus Kenia ein Motorrad gekauft und ein kleines Taxi-Unternehmen gegründet. Mohammed aus Pakistan konnte die Schulbücher seiner Kinder bezahlen, seine Kollegin Kushboo schenkte ihrer Mutter ein neues Kleid. Trinkgeld bedeutet in all diesen Beispielen: Deutsche Kunden haben über ein vom Berliner Startup „tip me“ entwickeltes System den Fabrikarbeitern in Niedriglohnländern, die ihren Turnschuh oder Kapuzenpulli hergestellt haben, online ein paar Euro überwiesen – „so wie man der Kellnerin im Café ein Trinkgeld gibt“, sagt Gründer Jonathan Funke.

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Ausgedacht hat sich der 24-Jährige das globale Trinkgeld, nachdem er bei einer Demonstration gegen Primark war und sich ärgerte, dass T-Shirts weniger als ein Becher Kaffee kosten. Als er Lieferketten-Manager Robin Collin, NGO-Gründerin Helen Deacon und Software-Entwickler Oliver Sonnenwald kennenlernte, entwickelten sie gemeinsam den Wunsch, gerechtere Lieferketten zu schaffen, zu einem eigenen Unternehmen weiter. Inzwischen arbeiten bei dem 2018 gegründeten „tip me“, das von der Bundesumweltstiftung gefördert wird und sich durch Provisionen von Partnershops finanziert, zehn Leute.

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Das von ihnen umgesetzte globale Trinkgeld funktioniert vereinfacht erklärt so: Ist ein Unternehmen „tip me“-Partner, können Nutzer in dessen Webshop beim Kauf eines Produkts einen Trinkgeld-Button anklicken. Die gewählte Summe wird direkt und ohne Abzüge an das Smartphone der Arbeiterin oder des Arbeiters geschickt. Bei einem Kiosk oder einer lokalen Bank können sie sich das Geld auszahlen lassen. Verteilt wird gerecht an alle am Produktionsprozess Beteiligten, die mit Handy- und Ausweisnummer bei „tip me“ registriert sind. Kunden können sich in Echtzeit informieren lassen, was mit ihrem Trinkgeld passiert. Auch auf der „tip me“-Website werden Produktionsstätten, Beschäftigte und deren Sparziele vorgestellt.

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Jeder Zweite gibt etwas

Bisher sammelte das Startup 15.244 Euro Trinkgeld ein. Laut Statistik geben 46 Prozent der Kunden etwas, im Schnitt sind es 3,50 Euro. Erste Partnerfirmen sind das Schuhlabel „Ethletic“ mit einer Fabrik in Pakistan, die in Vietnam produzierende Jeansmarke „Dawn“, das Bekleidungslabel „Kipepeo“ in Kenia und das Modelabel „bayti“ hier im deutschen Münster, das mit syrischen Flüchtlingen zusammenarbeitet. 2021 sollen rund 20 weitere Partnershops folgen. Vorerst fokussiert sich „tip me“ dabei auf die Textilbranche. „Und wir arbeiten nur mit Unternehmen zusammen, die fair und nachhaltig sind und internationale Arbeitsstandards einhalten“, betont Funke.

Die Online-Trinkgelder sind nicht zu unterschätzen: „Sie können den Lohn von Näherinnen und Nähern bei einem Trinkgeld von zehn Prozent des Kaufpreises pro Produkt um bis zu 250 Prozent steigern“, sagt Funke. „Die meisten sparen für besseres Essen sowie Kleidung und die Ausbildung ihrer Kinder.“

Entwicklungshilfe umkrempeln

Das „tip me“-Team will aber nicht nur immer mehr Firmen überzeugen, Partnershop zu werden, sondern „die Entwicklungshilfe umkrempeln“. Zum einen bedeutet das, den Sektor stärker zu digitalisieren und zu nutzen, dass fast jeder Mensch auf der Welt ein Mobiltelefon hat oder sich leihen kann. Zum anderen wollen sie die Entwicklungszusammenarbeit persönlicher machen: „Oft wird Entwicklungshilfe am Reißbrett in Europa entworfen und geht an der Realität vor Ort vorbei.“

Vor der ersten internationalen Kooperation mit „Ethletic“ reiste das „tip me“-Team daher nach Pakistan, setzte sich in der Fabrik mit den Beschäftigten zusammen und fragte: „Wie sollen wir es machen, dass Ihr unkompliziert an Euer Trinkgeld kommt?“ Mit jeder Produktionsstätte hat „tip me“ zudem eine Whatsapp-Gruppe für den direkten Austausch. Neben Beruflichem werden dort auch mal witzige Videos oder ein paar Hundebilder verschickt – „so wie man mit der Familie kommuniziert“. (epd/mig) Aktuell Ausland

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