Rassismus in Jura-Fachzeitschrift
Zum Teufel mit den „redaktionellen Grundsätzen“
Ausgerechnet die NZA, eine juristische Fachzeitschrift, hat einen zutiefst rassistischen „Kommentar“ veröffentlicht - von einem Verfassungsrechtler. Jetzt fordern Jurist:innen Aufarbeitung rassistischer Strukturen.
Von Lisa Pollmann Donnerstag, 18.02.2021, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 17.02.2021, 11:19 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Gerade erst hat der WDR in seinem Talk-Format „Die letzte Instanz“ rassistische Vorurteile über Sinti:zze und Rom:nja sowie über People of Color (PoC) reproduziert. Während man sich immer noch fragt, wie dieses Format von der WDR-Redaktion abgesegnet und wiederholt (!) ausgestrahlt werden konnte, gibt es bereits die nächste rassistische Entgleisung in der deutschen Medienlandschaft.
Konkret handelt es sich um einen „Kommentar“ des ehemaligen Verfassungsrechtlers Rüdiger Zuck zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), das in der NZA (Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht), herausgegeben vom C.H. Beck Verlag, erschienen ist. Auch in diesem Fall fragt man sich: Warum haben die redaktionellen Kontrollinstanzen dermaßen versagt? Wie kann es sein, dass ein rassistischer Beitrag veröffentlicht werden konnte – und das auch noch in einer Fachzeitschrift für Arbeitsrecht?
Zuck „kommentiert“ in seinem Beitrag die Entscheidung des BVerfG, die Beschwerde eines Betriebsratsmitglieds gegen vorinstanzliche arbeitsgerichtliche Entscheidungen zu seiner Kündigung aufgrund rassistischer Äußerungen gegenüber einem PoC-Kollegen nicht anzunehmen (1 BvR 2727/19 vom 02.11.2020). Das BVerfG stellte fest, dass die Ansprache mit nachgeahmten Affenlauten, konkret handelte es sich um „Ugah, Ugah“, nicht unter den Grundsatz der Meinungsfreiheit fällt, sondern eine menschenverachtende Diskriminierung darstellt, die sowohl gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes (GG) als auch gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstößt.
In seinem „Kommentar“ unterstellt Zuck nun dem BVerfG, den Kontext der rassistischen Äußerung nicht ausreichend detailliert gewürdigt zu haben; nach Auffassung Zucks könne es sich bei „Ugah, Ugah“ auch um „harmlosen Spott“ handeln. Doch damit nicht genug. Das Fazit seines „Kommentars“ trieft nur so vor Rassismus. Wortwörtlich heißt es: „Aber Rasse hin oder her, das Andersartige wird uns erhalten bleiben, und nicht nur bei fremden Kulturen und unterschiedlichen Religionen. Wir stören uns weiterhin an anderen Körpermerkmalen wie etwa an wulstigen Lippen bei Afrikanern […] oder die den Chinesen zugeordneten Schlitzaugen. […].“
Mittlerweile hat sich der C.H. Beck Verlag zwar öffentlich von besagtem „Kommentar“ distanziert; glaubhaft ist diese „Distanzierung“ und die damit einhergehende „Entschuldigung“ aber nicht. Denn: Welchen Wert hat die nachträgliche Beteuerung, man habe keine rassistischen Äußerungen verbreiten wollen, wenn sich vor der Veröffentlichung scheinbar niemand bei der NZA am rassistischen Text gestört hat? Keinen. Es handelt sich lediglich um den halbherzigen Versuch, etwas Schadensbegrenzung angesichts der öffentlichen Empörung auf Twitter und Co zu betreiben.
Zahlreiche Rechtsanwält:innen, Universitäten und andere Organisationen haben inzwischen in einem Offenen Brief, der auf der Plattform „Verfassungsblog – On Matters Constitutional“ veröffentlicht wurde, nicht nur die Publikation selbst, sondern auch die Verharmlosung des rassistischen Beitrags als Einzelfall kritisiert: „Die Tatsache, dass ein solcher Text unbeschadet und gänzlich unredigiert in einer führenden deutschen Arbeitszeitschrift erscheinen kann, ist das Problem. Die Tatsache, dass der Rassismus seitens des Verlages auch im Nachgang nicht einmal benannt wird, ist das Problem. Die Tatsache, dass wir immer über Einzelfälle, statt über rassistische Strukturen sprechen, ist das Problem.“ Es sei an der Zeit, dass sich die Fachkultur der deutschen Rechtswissenschaft endlich mit Rassismus auseinandersetzt und diesen aufarbeitet.
Übrigens ist es nicht das erste Mal, dass die Rechtssparte des C.H. Beck Verlags negativ in der Rassismus-Debatte auffällt. Wie die Legal Tribune Online berichtete, hält das Verlagshaus trotz öffentlicher Kritik am Namen „Palandt“ für sein zivilrechtliches Standardwerk fest. Der Name geht zurück auf Otto Palandt, bekennender Nationalsozialist und Präsident des Reichsjustizprüfungsamts. Auch andere Werke des Verlagshauses sollen nach bekannten NS-Juristen benannt sein. Meinung
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