Verwaltungsgericht Stuttgart
Polizeieinsatz im Flüchtlingsheim Ellwangen war rechtswidrig
Der Polizeieinsatz mit hunderten Beamten im Flüchtlingsheim Ellwangen war unverhältnismäßig. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat dem klagenden Flüchtling jetzt teilweise recht zugesprochen. Sein Anwalt bezeichnet das Urteil als eine „schallende Ohrfeige“ für Seehofer.
Montag, 22.02.2021, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 22.02.2021, 1:49 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Im April und Mai 2018 machte die Abschiebung eines Flüchtlings aus Togo bundesweit Schlagzeilen. Infolge eines Protests von mehr als hundert Geflüchteten gegen die Abschiebung kam es zu Ausschreitungen in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Ellwangen. Polizisten zogen sich daraufhin zunächst zurück, um drei Tage später mit hunderten Beamten die Flüchtlingsunterkunft zu stürmen. Der umstrittene Einsatz löste eine bundesweite Kontroverse aus und kostete nach Angaben des Innenministeriums rund 360 000 Euro. Die Landesregierung rechtfertigte den Einsatz gegen „gewalttätige Flüchtlinge“.
Im Juni 2018 wurde der Mann nach Italien abgeschoben. Im Dezember 2018 kehrte er nach Deutschland zurück und klagte gegen das Land Baden-Württemberg. Er beschuldigt die Polizei, ihn bei dem Einsatz „zum Teil erheblich verletzt“ zu haben. Zudem beklagt er die „traumatisierenden Umstände“ seiner Abschiebung.
Gericht: Polizeieinsatz war unverhältnismäßig
Über diese Klage hat am Freitag des Verwaltungsgericht Stuttgart entschieden und dem Betroffenen teilweise Recht zugesprochen (Az.: 1 K 9602/18). Das Gericht stellt fest, dass die „Personenfeststellung, das Betreten und Durchsuchen des Zimmers des Klägers, das Durchsuchen und das Festsetzen des Klägers unter Anlegen von Einmal-Handschließen“, unverhältnismäßig und damit rechtswidrig waren.
Nach Ansicht der Richter stelle das Zimmer Togoers in der Flüchtlingsunterkunft zwar keine Wohnung im Sinne des Grundgesetzes dar, der Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht sei dennoch „nicht angemessen“ gewesen. Berücksichtigt werde dabei auch, dass die Polizei das Zimmer um 5.19 Uhr, also in den Nachtstunden, betreten habe.
Durchführung der Abschiebung rechtmäßig
Die Durchführung der Abschiebung des Klägers im Juni 2018 hingegen war nach Überzeugung der Kammer jedoch rechtmäßig. Auch hier war die Polizei in das Zimmer des Betroffenen gekommen. Nach Auffassung des Gerichts ging es hier allerdings um die „Durchsetzung der Ausreisepflicht“. Mithin sei das Betreten des klägerischen Zimmers, die Durchsuchung des Klägers, der Einsatz körperlicher Gewalt, der liegende Transport und die Fesselung mit Hand- und Fußschellen, verhältnismäßig gewesen. Nu die zeitweise Einbehaltung des Geldbeutels des Klägers rügten die Richter.
Nach dem Richterspruch teilte ein Sprecher des baden-württembergischen Innenministeriums mit, die Polizei habe bei der Razzia „mit der notwendigen Härte und unmissverständlich gehandelt“ und dabei „ein Augenmerk auf ein verhältnismäßiges und zielgerichtetes Vorgehen“ gelegt. Der Sprecher betonte, dass in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren „der Gang zum Verwaltungsgerichtshof möglich“ ist.
Anwalt: Schallende Ohrfeige für Seehofer
Die Rechtsanwaltskanzlei „Meister & Partner“, die den Kläger vertritt, wertet die Gerichtsentscheidung als einen „bedeutsamen Erfolg im Kampf um die Rechte der Geflüchteten“. Das Urteil sei zugleich „eine schallende Ohrfeige für Bundesinnenminister Seehofer, der 2018 an der Spitze der Hetzkampagne gegen die Geflüchteten von Ellwangen stand“, teilt die Kanzlei in einer schriftlichen Erklärung mit. Zu kritisieren sei, dass das Gericht das Zimmer des Klägers in der LEA nicht als eine Wohnung gewertet habe. „Hier muss der Kampf weitergeführt werden“, so die Juristen.
Über die Klage des Flüchtlings wurde bereits am Donnerstag mündlich verhandelt. Begleitet wurde die Verhandlung von Protesten und Solidaritätsbekundungen vor dem Gerichtsgebäude. Dazu hatten sich mehrere Hundert Demonstranten versammelt. (mig) Aktuell Recht
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