Gutachten
EuGH-Generalanwalt: Kopftuch verboten, Kreuz erlaubt
EuGH-Anwalt Rantos will Arbeitgebern erlauben, nur das Tragen von großen religiösen Symbolen zu verbieten. Seinem Gutachten zufolge könnte das Kopftuch verboten, der Kreuz am Hals erlaubt sein. Der Gerichtshof entscheidet demnächst über zwei Fälle aus Deutschland.
Freitag, 26.02.2021, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 26.02.2021, 14:18 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Arbeitgeber dürfen nach Auffassung des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof (EuGH), Athanasios Rantos, größere religiöse Symbole am Arbeitsplatz wie das islamische Kopftuch verbieten. Ein solches Verbot sei zulässig, auch wenn der Arbeitgeber zugleich kleinere sichtbare Zeichen dieser Art erlaube, heißt es in dem am Donnerstag in Luxemburg veröffentlichten Gutachten des Generalanwalts zu zwei Fällen aus Deutschland.
In dem ersten Fall hatte eine Kita einer Muslima das Tragen des Kopftuches am Arbeitsplatz untersagt, im zweiten Fall geriet eine Muslima bei der deutschen Drogeriemarktkette Müller in dieselbe Situation. (AZ: C-804/18 und C-341/19)
Dass ein Arbeitgeber im Rahmen einer Neutralitätspolitik generell das Tragen sichtbarer Zeichen verbieten kann, die politische, weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen zum Ausdruck bringen, hat der EuGH bereits in einem früheren Fall entschieden.
Generalanwalt: Große Symbole, kleine Symbole
Laut Generalanwalt folgt aus der Möglichkeit des generellen Verbots mit Blick auf die unternehmerische Freiheit auch die Möglichkeit, lediglich das Tragen auffälliger Symbole zu untersagen. Die Verbote des Arbeitgebers müssten allerdings stimmig und systematisch sein.
Das Gutachten ist eine Grundlage für das Urteil der EuGH-Richter. Es bindet sie zwar nicht, sie folgen den Gutachten der Generalanwälte aber oft. Im Licht des EuGH-Urteils muss dann die deutsche Justiz die konkreten Fälle abschließen.
Unternehmerische Freiheit vs. Religionsfreiheit
Der EuGH hatte sich erneut mit der Frage des Kopftuchverbots befasst, weil das Bundesarbeitsgericht in Erfurt ihm den Fall der Drogeriemarkt-Mitarbeiterin zur Prüfung vorlegt hatte. Als die muslimische Frau nach ihrer Elternzeit im Oktober 2014 zur Arbeit zurückkehrte, wollte sie an ihrem Arbeitsplatz aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen. Der Arbeitgeber wies die Kassiererin aber an, ohne Kopftuch zur Arbeit zu erscheinen, und verwies auf die im Unternehmen geltende Kleiderordnung. Die Frau sah damit ihre Religionsfreiheit verletzt.
Der EuGH muss nun prüfen, ob es die in der Grundrechtecharta verankerte unternehmerische Freiheit der Privatwirtschaft erlaubt, ein Kopftuchverbot zu erlassen. Am 14. März 2017 hatte der Gerichtshof das Kopftuchverbot eines französischen Unternehmens gebilligt, weil sich Kunden wegen des Kopftuches einer muslimischen Mitarbeiterin beschwert hatten (AZ.: C-157/15 und C-188/15). (epd/mig) Aktuell Panorama
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Ein Jahr Fachkräftegesetz Bundesregierung sieht Erfolg bei Einwanderung von…
- Brandenburg Flüchtlingsrat: Minister schürt Hass gegen Ausländer
- Chronisch überlastet Flüchtlingsunterkunft: Hamburg weiter auf Zelte angewiesen
Der Artikel stellt die Situation leider sehr verkürzt da, was zu einem falschen Eindruck führen kann.
In Deutschland bietet Artikel 4 (Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit) in Bezug auf das Tragen einer religiös motivierten Bekleidung einen höheren Schutz, als es das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu dessen Auslegung der Generalanwalt (noch nicht der EuGH selbst) sich hier geäußert hat. Das hat dazu geführt, dass das BVerfG in einem Fall einer Verkäuferin mit Kopftuch (noch vor Inkrafttreten des AGG) entschieden hat, ein Verbot sei erst dann zulässig, wenn der Arbeitgeber eindeutig nachweisen kann, dass er finanzielle Einbußen hat, weil er die Kopftuchträgerin beschäftigt (BAG, Urt. v. 10.10.2002, Az. 2 AZR 472/01). Dieses höhere Schutzniveau darf auch beibehalten werden, das geht aus den Schlussanträgen des Generalanwalts deutlich hervor. Darauf kann man auch deshalb hoffen, weil der EuGH 2017 eindeutig entschieden hat, dass Kundenwünsche kein zulässiger Grund sind, eine Kopftuchträgerin nicht einzustellen oder zu entlassen. Tatsächlich schieben Arbeitgeber ja gerne tatsächliche oder vermeintliche Kundenwünsche vor, wenn es um das Kopftuchtragen am Arbeitsplatz geht. Bleibt das Problem mit den „großen und kleinen“ Zeichen. Diese Definition will der EuGH ja nicht leisten, demnach bleiben sie – falls der EuGH dem Schlussantrag folgt – den nationalen Gerichten überlassen. Und auch da können wir in Deutschland darauf bauen, dass es eine unterschiedliche Behandlung anhand der Größe der religiös motivierten Bekleidung nicht geben wird, denn schon in den Verfahren zum Schuldienst und der KiTa wurde das Verbot jüdisch und muslimisch motivierter Kleidungsstücke bei gleichzeitiger Erlaubnis der Sichtbarkeit christlicher Traditionen (sprich Schmuckkreuz) für verfassungswidrig und NICHTIG (die größte Klatsche die sich ein Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht einfangen kann) erklärt.
Das heißt: JETZT gilt (noch) im privatwirtschaftlichen Bereich das, was bisher Stand der deutschen Rechtsprechung ist: Ein Kopftuchverbot aufgrund einer Vorschrift eines privaten Arbeitgebers, ohne, dass er wirtschaftliche Schaden nachgewiesen hat, ist nicht zulässig. Das gilt so lange, bis ein deutsches Gericht ein anderes Urteil gefällt hat. Die noch ausstehende Entscheidung des EuGH wird von den anfragenden deutschen Gerichten in ihren Urteilen berücksichtigt, oder – mit Hinweis auf das grundgesetzlich höhere Schutzniveau – eben auch nicht.