Studie
Gravierende soziale Benachteiligung von Sinti und Roma
Eine Studie zur Lage der Sinti und Roma in Deutschland zeigt dringenden Handlungsbedarf: Diskriminierung und Chancenungleichheit wirken sich massiv auf die Bildung und den Arbeitsmarkt aus. Experten fordern mehr Förderung. Grüne werfen Regierung Untätigkeit gegen Antiziganismus vor.
Montag, 01.03.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 28.02.2021, 15:03 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Sinti und Roma in Deutschland sind einer jetzt voröffentlichen Studie zufolge auf gravierende Weise sozial benachteiligt. Die Untersuchung belege, wie sehr Angehörige der Minderheit von einem „sozial sehr ungerechten Bildungssystem“ betroffen seien, sagte der Freiburger Soziologe Professor Albert Scherr bei der Präsentation der Studie „Ungleiche Teilhabe. Zur Lage der Sinti und Roma in Deutschland“
Im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft „RomnoKher“ wurden von September bis Dezember 2020 rund 700 einheimische und zugewanderte Roma und Sinti aller Bundesländer befragt. „RomnoKher“ ist eine Einrichtung für Kultur, Bildung und Antiziganismusforschung in Mannheim.
Um Verbesserungen zu erreichen, seien umfassende arbeitsmarkt-, sozial- und bildungspolitische Maßnahmen nötig, sagte Scherr. Diese müssten für mehr Chancengerechtigkeit sorgen und auf die Überwindung von Diskriminierung ausgerichtet sein. Er forderte eine Zehn-Jahres-Strategie mit einer gezielten Minderheitenförderung sowie einer Antidiskriminierungspolitik.
Für den Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft „RomnoKher“, Daniel Strauß, sind die bisherigen Fördermaßnahmen ebenfalls nicht ausreichend. Zwar habe sich die Bildungssituation im schulischen Bereich deutlich verbessert. Doch hätten immer noch 40 Prozent der 18- bis 50-jährigen Roma und Sinti keinen beruflichen Abschluss.
Ungleiche Bildungschancen
Ungleiche Bildungschancen beeinträchtigten die gleichberechtigte Teilhabe der Minderheit in vielen Lebensbereichen, sagte Petra Follmar-Otto, Vorständin der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Die Studie zeige, wie dringend der Handlungsbedarf für das Menschenrecht auf Bildung für Sinti und Roma sei. Als alarmierend bezeichnete sie die mit 15 Prozent viel zu hohe Zahl derer, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Das seien mehr als doppelt so viele als im Bevölkerungsschnitt mit fünf Prozent.
Margit Stumpp, Sprecherin der Grünen für Bildungspolitik, sieht in der Benachteiligung von Sinti und Roma ein Beleg, „wie ungerecht unser Bildungssystem ist; es benachteiligt strukturell alle mit geringem sozioökonomischem Status und wenig familiärer Unterstützung“. Stumpp will ein „radikales Umdenken, damit diejenigen gezielt gefördert und unterstützt werden, die schlechtere Startchancen haben“. Sie fordert längere gemeinsame Lernzeiten, diversere Kollegien und eine breite Wertschätzung von Vielfalt in Klassenzimmern.
Grüne: Regierung verschließt Augen vor Antiziganismus
Der Verband Deutscher Sinti und Roma verweist auf die Aufforderung der EU-Kommission an die Mitgliedstaaten aus dem Jahre 2011, nationale Strategien zur Verbesserung der Lage der Sinti und Roma einzurichten. Damals habe die Bundesregierung eine Teilnahme mit der Begründung abgelehnt, dass keine Daten zur Lage der Sinti und Roma in Deutschland zur Verfügung stünden. „Im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft hat Deutschland 2020 den neuen strategischen EU-Rahmen für Gleichstellung, Inklusion und Partizipation von Sinti und Roma für 2020-2030 verabschiedet und nach wie vor keine Daten zur Lage der Sinti und Roma in Deutschland erhoben“, so der Verband.
Filiz Polat, integrationspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag sieht die Bundesregierung in der Verantwortung. Zu lange hab die Bundesregierung vor den Kontinuitäten und Auswirkungen antiziganistischer Diskriminierung die Augen verschlossen. „Die durch den Holocaust zerstörte gesellschaftliche Teilhabe Europas größter Minderheit wurde bis heute nicht angemessen aufgearbeitet und korrigiert“, so Polat. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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