Gesellschaft
„Man muss kein Rassist sein, um rassistisch zu handeln“
Mit „Engagiert gegen Rassismus“ setzen sich Menschen besonders während der Internationalen Wochen gegen Rassismus für eine menschenfreundliche Gesellschaft ein. Eine Sängerin, ein Polizist und ein Feuerwehrmann sagen Alltagsrassismus den Kampf an.
Von Kathrin Hedtke Dienstag, 16.03.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 15.03.2021, 15:14 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Schon in der Schule bekam die Augsburger Jazzsängerin Sylvia Beyerle, die sich „Mom Bee“ nennt, zu hören, dass sie sicher gut singen und tanzen könne. Das tolle Rhythmusgefühl sei ihr zugeschrieben worden, niemand habe dabei beachtet, dass sie auch in Deutsch eine Eins hatte. „Auch wenn dahinter keine böse Absicht steckt, tut positiver Rassismus auch weh. Das ist auch eine Ausgrenzung“, sagt die 47-Jährige. Damit einhergehe die Botschaft: „Du bist anders.“ Als Tochter einer weißen Mutter und eines schwarzen Vaters habe sie in ihrer Heimat auf der schwäbischen Alb immer den Stempel der „Exotin“ gehabt.
Beyerle engagiert sich für das vor einem Jahr initiierte Projekt „Engagiert gegen Rassismus“ der Stiftung gegen Rassismus in Darmstadt. Es soll Vertreter aus bestimmten Berufsgruppen dafür gewinnen, vor allem während der Internationalen Wochen gegen Rassismus, die am Montag begannen und noch bis zum 28. März dauern, ein Zeichen für eine menschenfreundliche Gesellschaft zu setzen.
Auch der Berliner Kriminalbeamte Oliver von Dobrowolski hat sich zur Mitarbeit entschlossen. Von der Polizei wünscht er sich mehr Einsatz gegen Rassismus. „Wir müssen uns immer wieder bewusstmachen, dass wir für alle Menschen da sein sollen“, betont der Vorsitzende des Vereins „PolizeiGrün“ in Berlin. Polizisten kämen auf der Straße viel in Kontakt mit Menschen aus marginalisierten Bevölkerungsgruppen. Dabei sei die Polizei gefordert, mehr Empathie zu zeigen.
„Man muss kein Rassist sein“
Seiner Meinung nach werde das sogenannte Racial Profiling zu Recht kritisiert, wenn Menschen aufgrund äußerer Merkmale kontrolliert werden. Verdachtsunabhängige Kontrollen seien erlaubt, aber keine anlasslosen Kontrollen. „Man muss kein Rassist sein, um rassistisch zu handeln“, sagt Dobrowolski. Viele seiner Kolleginnen und Kollegen seien dafür jedoch wenig sensibel.
Dobrowolski wirbt dafür, immer wieder die Perspektive zu wechseln und sich zu fragen: „Wie würde ich mich dabei fühlen?“ Wichtig sei auch, dass in der Aus- und Fortbildung viel mehr Wert auf sensible Kommunikationsstrategien gelegt werde. „Es kann nicht sein, dass wir zwei, drei Mal im Jahr zum Schießen und zum Sicherheitstraining gehen, aber nicht lernen, wie wir mit Menschen umgehen sollten.“
Blick für Alltagsrassismus fehlt oft
Auch Karsten Gäbler, Fachbereichsleiter Jugendpolitik der Thüringer Jugendfeuerwehr, unterstützt das Projekt „Engagiert gegen Rassismus“. „Auf den ersten Blick verstehen viele nicht, was das Thema mit Feuerwehr zu tun hat“, sagt der 40-jährige. Doch in den ländlichen Regionen gehörten die Brandschützer neben Kirche und Sportvereinen zu den wichtigsten zivilgesellschaftlichen Akteuren. „Wir können es uns nicht leisten, zu Themen wie Rassismus nicht Stellung zu beziehen.“
Der Wissenschaftler von der Uni Jena engagiert sich seit seiner Schulzeit ehrenamtlich bei der Jugendfeuerwehr. Dabei bemüht er sich, unter anderem Rassismus im Verband stärker zum Thema zu machen. Die breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Problemen wie Alltagsrassismus kommt seiner Meinung nach bei vielen Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr noch nicht richtig an. Zwar gebe es eine bewusste Ablehnung des extrem rechten Rands des politischen Spektrums. Doch der Blick für Alltagsrassismus fehle oft.
„Das finde ich beschämend“
Deshalb versucht Gäbler, bei Mitgliedern der Jugendfeuerwehr das Problembewusstsein zu stärken, etwa durch Anti-Rassismus-Trainings. „Ich laufe mit einer Selbstverständlichkeit durch die Stadt, wie sie anderen Menschen gar nicht möglich ist“, sagt er. „Ich bin ein weißer Mann aus der Mittelschicht.“ Doch der Wissenschaftler weiß: „Was ich als Normalität erlebe, ist für viele Menschen überhaupt nicht normal.“
Die Jazzmusikerin Beyerle wünscht sich mehr Begegnung und Vielfalt, um Rassismus zu bekämpfen. Sie stört zum Beispiel, dass in Talkshows Abend für Abend vor allem weiße Männer miteinander diskutieren. „Das finde ich beschämend“, sagt Beyerle. Der deutschen Medienlandschaft fehle der Blick für Diversität. Sie wünsche sich, dass in Politsendungen auch Gäste mit schwarzer Hautfarbe sitzen. „Es gibt ja genug“, meint sie. Diese Menschen hätten nicht nur eine andere Hautfarbe, sondern auch andere Erfahrungen. „Mir fehlt die Farbigkeit“, sagt Beyerle. Schließlich werde Deutschland immer bunter. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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