Bamf kleinteilig
Syrische Kriegsdienstverweigerer kämpfen für den Flüchtlingsstatus
Viele Kriegsdienstverweigerer aus Syrien haben in Deutschland keinen Flüchtlingsstatus. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes könnte das ändern, doch die Behörden verweigern sich.
Von Sebastian Stoll Dienstag, 30.03.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 29.03.2021, 16:52 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der Grund, weshalb Hussam Masallati nicht zur syrischen Armee musste, war sein Studentenausweis: Auf ihm war vermerkt, dass er noch ein paar Monate vom Kriegsdienst freigestellt sei. Doch als der sogenannte Islamische Staat (IS) sein Stadtviertel in Aleppo einnahm und die Hinrichtungen des IS begannen, fuhr Masallati nicht mehr zu Uni, zu gefährlich. Das bedeutete für ihn: Er musste schon bald zur Armee. Also floh er außer Landes. Für die syrische Armee bedeutet das: Er desertierte.
Seit Anfang 2016 lebt Hussam Masallati in Deutschland, mittlerweile in Hannover. Er ist aber nicht als Flüchtling anerkannt. Sein Asylantrag wurde abgewiesen, er erhielt nur einen subsidiären Schutz als Bürgerkriegsflüchtling. Damit hat er weniger Rechte und ist zugleich in größerer Gefahr, frühzeitig zurück zu müssen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat zwar im November 2020 ein Urteil gefällt, das Menschen wie Hussam Masallati Hoffnung auf die Gewährung des Flüchtlingsstatus gibt (AZ: C-238/19). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Nürnberg fühlt sich daran allerdings nicht gebunden.
Bamf widerspricht nicht, aber…
Dabei scheint das Urteil eindeutig: Es bestehe bei geflohenen Kriegsdienstverweigerern eine „starke Vermutung dafür“, dass im Regelfall Verfolgungsgründe vorlägen, die eine Anerkennung als Flüchtling nach sich zögen. Insbesondere müsse man davon ausgehen, dass die Ableistung des Wehrdienstes „die wiederholte und systematische Begehung von Verbrechen“ umfasse. Wer also in Syrien davor flieht, im Armeedienst möglicherweise Kriegsverbrechen begehen zu müssen, der flieht nicht nur vor einem Bürgerkrieg, sondern auch vor einem Regime – und müsse deswegen auch als Flüchtling anerkannt werden, erklärte der EuGH.
Das Bamf widerspricht dem EuGH nicht grundsätzlich. Die auf formelle Gründe abgestellte Argumentation der Behörde lautet vielmehr: Bei den meisten Geflüchteten sei das Asylverfahren bereits abgeschlossen. Um es wieder aufzunehmen, müsse sich die dem „Bescheid zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert haben“, wie das Bamf erklärt. Das sei bei Hussam Masallati aber nicht der Fall. Ein Folgeantrag des Syrers habe auch nach dem Urteil des EuGH in Deutschland keine Chance. Die Nürnberger Behörde sieht daher keinen Handlungsbedarf.
Einzige Chance: Verpflichtungsklage
Und so wird aus einer großen Frage ein kleinteiliger Streit – darüber, welche Wirkkraft Entscheidungen des EuGH haben, wann eine Behörde daran gebunden ist und wann nicht. „Wenn das Bamf einen Folgeantrag für unzulässig erklärt hat, ist der einzige Weg, sich dagegen zu wehren, eine Verpflichtungsklage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vor dem Verwaltungsgericht“, sagt Peter von Auer, rechtspolitischer Referent von Pro Asyl. Und nicht wenige Flüchtlinge scheinen das zu probieren: So teilte das Bamf dem „Evangelischen Pressedienst“ mit, dass die Zahl der Asyl-Folgeanträge im Februar gegenüber dem Vorjahresmonat von 1.788 auf 5.956 gestiegen sei. Dabei sei der Anteil der syrischen Folgeanträge bei 44 Prozent gelegen.
Auch Hussam Masallati will einen Folge-Antrag stellen, denn: „Wer nicht zur Armee geht, der wird als Gegner gesehen. Im schlimmsten Fall wird man verhaftet, manche Verweigerer sind verschwunden.“ Nach Syrien zurück könne er auf keinen Fall, sagt er. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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