Debatte
Publizist Brumlik plädiert für neue Definition von Antisemitismus
Als Unterzeichner der „Jerusalemer Erklärung“ treten Wissenschaftler Micha Brumlik und seine Mitstreiter für eine präzisere Beschreibung von Judenhass ein. Der Antisemitismusbeauftragte und der Zentralrat der Juden reagieren verhalten.
Dienstag, 27.04.2021, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.04.2021, 13:41 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der Publizist und Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik wirbt für eine neue Definition von Antisemitismus. Die bisher vielfach genutzte Arbeitsdefinition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) von 2016 könne dazu führen, „jegliche Kritik an der israelischen Siedlungs- und Besatzungspolitik als antisemitisch zu brandmarken“, sagte Brumlik dem „Evangelischen Pressedienst“ in Berlin. Ein neuer Vorschlag, die „Jerusalemer Erklärung“, korrigiere diese Gefahr einer „missbräuchlichen und falschen Verwendung“. Er unterscheide deutlich zwischen politischer Kritik an der israelischen Regierung und Judenfeindlichkeit im Allgemeinen.
Die vierseitige „Jerusalemer Erklärung“ war Ende März von mehr als 200 internationalen Holocaustforscherinnen und -forschern, darunter Brumlik, veröffentlicht worden. Antisemitismus wird darin bestimmt als „Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden (oder jüdische Institutionen als jüdische)“ und in 15 Leitlinien genauer beschrieben. Die Definition der IHRA stammt aus dem Jahr 2016, die Bundesregierung schloss sich ihr 2017 an. Sie besagt unter anderem, dass Erscheinungsformen von Antisemitismus sich auch gegen den Staat Israel richten können, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird.
Der neuen Erklärung zufolge schlägt Israel-Kritik dann in Antisemitismus um, „wenn etwa behauptet wird, was Israel mit den Palästinensern mache, sei genauso schlimm wie das, was die Nazis mit den Juden gemacht haben“, wie Brumlik, Seniorprofessor am Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg, erklärte. „Oder wenn gesagt wird, dass dieser Staat von der Landkarte verschwinden müsse – das sind typische Fälle von wirklichem israelbezogenen Antisemitismus.“ Hingegen sei faktenbasierte Kritik wie die Forderung nach einem Ende der israelischen Besatzung des Westjordanlandes in diesem Sinne nicht antisemitisch.
Zentralrat hält an IHRA-Definition fest
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, bezeichnete auf Anfrage das Bemühen um eine neue Antisemitismus-Definition als Belebung des Diskurses und als Beitrag, die Aufmerksamkeit für das Problem der Judenfeindlichkeit zu erhöhen. Er betonte jedoch zugleich, dass die IHRA-Definition international auf breiter Basis anerkannt sei und eine „einzigartige Form der Legitimation“ genieße.
Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland würdigte, dass die Unterzeichner der „Jerusalemer Erklärung“ die Debatte fortführten. Leitlinie sei und bleibe aber die IHRA-Arbeitsdefinition, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster dem „Evangelischen Pressedienst“. Sie mache es möglich, „Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen effizient zu bekämpfen“, und sei in der Praxis sehr gut anzuwenden.
Brumlik hofft auf Rücknahme der Bundestagsresolution zu BDS
Mit Blick auf die umstrittene BDS-Kampagne sagte Brumlik, Boykott, Desinvestition und Sanktionen (BDS) seien gängige und gewaltfreie Formen des politischen Protests gegen Staaten und im Falle Israels nicht per se antisemitisch. „Das gilt unabhängig davon, ob man die Ansicht gutheißt oder nicht“, betonte der 73-jährige emeritierte Professor am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Er hoffe darauf, dass eine künftige Bundesregierung oder Parlamentsmehrheit die Bundestagsresolution zu BDS von 2019 zurückziehen werde. Der Bundestag hatte im Mai 2019 den Israel-Boykott der BDS-Bewegung verurteilt und deren Argumentationsmuster und Methoden als antisemitisch gewertet. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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