Jahresbericht 2020
Seenotrettung in Zeiten der Corona-Krise besonders schwierig
Seenotretter fordern die Politik auf, auch in der Pandemie ihrer Verantwortung für Flüchtlinge gerecht zu werden. Sie beklagen zudem politisch motivierte Behinderungen im Mittelmeer. Wissenschaftlern zufolge ist das Risiko, auf See zu sterben, wieder deutlich gestiegen.
Montag, 10.05.2021, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 09.05.2021, 19:32 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Private Seenotretter haben die Politik aufgefordert, trotz der Corona-Pandemie ihre Verantwortung für die Flüchtlinge im Mittelmeer wahrzunehmen. Die Pandemie dürfe nicht dazu dienen, dass europäische Staaten sich ihrer rechtlichen Verpflichtung für Menschen auf der Flucht entledigen, erklärte die Organisation SOS Méditerranée am Sonntag bei der Vorstellung ihres Jahresberichts. Humanitäre Prinzipien und Menschenrechte gälten auch in Krisenzeiten. Die Initiative betreibt das Rettungsschiff „Ocean Viking“.
Die vergangenen Monate seien besonders schwierig gewesen für die zivile Seenotrettung. „Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf ihre Arbeit haben die Seenotretter vor neue Herausforderungen gestellt: geschlossenen Häfen, festgesetzte Schiffe, lange Quarantänezeiten und aufwendige Covid-19-Eindämmungsmaßnahmen an Bord“, erklärte die Organisation. Zudem hätten sich 2020 die politisch motivierten Behinderungen der Helfer im Mittelmeer weiter zugespitzt, sagte die politische Referentin der Organisation, Jana Ciernioch.
Die „Ocean Viking“ war demnach bereits im Februar 2020 das erste private Seenotrettungsschiff, das von den italienischen Behörden zu einer Quarantäne verpflichtet wurde. Kurz darauf erklärten Malta und Italien wegen der Pandemie ihre Häfen als „unsicher“, was einer Schließung gleichgekommen sei. „Ab dem Sommer wurden fast alle Rettungsschiffe, auch die „Ocean Viking“, unter fadenscheinigen Begründungen durch europäische Behörden festgesetzt“, kritisierte Ciernioch. Die „Ocean Viking“ konnte deshalb von Ende Juli bis Ende Dezember keine Einsätze fahren. Gleichzeitig hätten viele verzweifelte Menschen in Libyen trotz Pandemie keinen anderen Ausweg gesehen, als die gefährliche Flucht über das zentrale Mittelmeer zu wagen.
2020 ertranken über 1.400 Menschen
Pandemiebedingt und aufgrund der Anforderungen durch die italienischen Behörden konnte die „Ocean Viking“ im vergangenen Jahr wenige Einsätze fahren. Insgesamt retteten die Belegschaften nach Angaben der Organisation 903 Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer. Fast ein Drittel davon seien Kinder und Jugendliche gewesen, von denen 85 Prozent ohne Begleitung eines Erwachsenen auf der Flucht gewesen sei. Laut UN starben 2020 mehr als 1.400 Menschen im Mittelmeer.
Derzeit befindet sich das Schiff in Quarantäne im sizilianischen Hafen Augusta. Seit Jahresbeginn brachte die „Ocean Viking“ bislang viermal Geflüchtete an Land und rettete insgesamt knapp 1.150 Menschen das Leben. SOS Méditerranée wurde am 9. Mai 2015 in Berlin gegründet.
Neues Bündnisschiff auf dem Weg ins Mittelmeer
Derweil ist das neue Rettungsschiff „Sea-Eye 4“ vom spanischen Hafen in Burriana zu seinem ersten Einsatz aufgebrochen. Das Schiff werde das Such- und Rettungsgebiet im zentralen Mittelmeer voraussichtlich in fünf Tagen erreichen, teilte die Regensburger Hilfsorganisation Sea-Eye mit, die das Schiff betreibt. Unterstützt werde der humanitäre Einsatz auf dem Mittelmeer von United4Rescue, dem Bündnis für die zivile Seenotrettung, und der Hilfsorganisation German Doctors.
Italienischen Wissenschaftlern zufolge ist das Risiko, auf See zu sterben, wieder deutlich gestiegen. „Wir brauchen endlich sichere Fluchtrouten“, sagte Sea-Eye-Vorsitzender Gordon Isler. Das Bootsunglück Ende April und die Rettungen der „Sea-Watch 4“ und der „Ocean Viking“ in den vergangenen Wochen zeigten, dass die zivile Seenotrettung im Mittelmeer unverzichtbar sei, ergänzte Michael Schwickart, Vorstandsmitglied von United4Rescue. (epd/mig) Aktuell Panorama
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