Umfrage
Geringe Impfbereitschaft in Flüchtlingsheimen
Die Impfkampagne gegen das Coronavirus stößt bei Bewohnern von Flüchtlingsunterkünften auf erhebliche Skepsis. Sprachbarrieren, religiöse Gründe, aber auch Falschinformationen sind die wesentlichen Gründe für Vorbehalte.
Von Michaela Hütig und Markus Jantzer Montag, 31.05.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 30.05.2021, 15:41 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
In Flüchtlingsunterkünften in Deutschland zeichnet sich eine relativ geringe Impfbereitschaft ab. Die Corona-Impfquoten in den Einrichtungen bewegen sich aktuell zwischen 33 und 60 Prozent, wie eine Umfrage des „Evangelischen Pressedienstes“ unter den Bundesländern ergab. Die mobilen Impfteams stießen auf recht große Skepsis, erklärten die zuständigen Landesministerien. Um Sprachbarrieren und kulturelle Hürden zu überwinden, werden die Impfteams vielerorts von Sozialarbeitern und Dolmetscherinnen unterstützt.
Teilweise lehnten muslimische Asylbewerber das Impfangebot ab, weil es in die Zeit des Fastenmonats Ramadan fiel, wie es hieß. Aber auch negative Medienberichte ließen die Skepsis wachsen – etwa über das Vakzin des Herstellers Johnson & Johnson, der nur einmal verimpft werden muss und deshalb bei den Behörden für Impfungen in Flüchtlingsunterkünften eine gewisse Priorität hat. Bewohner von Flüchtlingsheimen gehören laut Coronavirus-Impfverordnung zur zweiten Priorisierungsgruppe. In der Gesamtbevölkerung liegt die Bereitschaft, sich gegen Covid impfen zu lassen, laut einer Erhebung des Robert Koch-Instituts bei etwa 73 Prozent.
Die Organisation Pro Asyl führt die geringe Impfbereitschaft in Flüchtlingsunterkünften auf eine verfehlte Aufnahmepolitik zurück. Die Menschen dort seien vielfach zu spät kontaktiert und nur unzureichend aufgeklärt worden, sagte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt.
Pro Asyl kritisiert zentrale Unterbringung
„Die Geflüchteten sind ohnehin bereits in einer psychisch schwierigen Situation“, betonte Burkhardt. „Da ist es noch einmal eine neue Herausforderung zu verstehen, was Corona-Pandemie heißt.“ Flüchtlinge seien wie auch andere Bevölkerungsgruppen, die beengt etwa in Hochhäusern und sozialen Brennpunkten zusammenleben, nachrangig behandelt worden. In den bisherigen Impfquoten zeige sich, „dass gesundheitspolitisch falsche Prioritäten gesetzt wurden“, sagte er.
Pro Asyl habe bereits vor mehr als einem Jahr auf erhöhte Corona-Risiken in Großunterkünften hingewiesen und auf eine dezentrale Unterbringung der Menschen gedrungen. Die Warnungen seien aber in den Wind geschlagen worden. „Auf Bundesebene wird unverändert an den sogenannten Ankerzentren festgehalten, weil die Illusion herrscht, dass Abschiebungen einfacher sind, wenn die Menschen zentral leben“, erklärte Burkhardt. „Die großen Unterkünfte sind strukturelle Fehler in der Aufnahmepolitik.“
NRW will Impfangebot machen
Die nordrhein-westfälische Landesregierung strebt an, dass alle Bewohner von Flüchtlingsaufnahmeeinrichtungen des Landes bis Anfang Juni ein Corona-Impfangebot bekommen haben. Um unter den Asylsuchenden für eine Schutzimpfung zu werben, seien mehrsprachige Materialien wie Poster, Flyer, Erklärvideos und Infos via QR-Code den Einrichtungen zur Verfügung gestellt worden, teilte das Düsseldorfer Flüchtlingsministerium mit.
In Sachsen-Anhalt sollen Informationsunterlagen in 19 verschiedenen Sprachen in den Einrichtungen vorliegen. Außerdem ist der Einsatz von Fachkräften geplant, die auf individuelle Bedenken reagieren können.
Mobile Teams in Schleswig-Holstein
In Schleswig-Holstein sind mobile Teams bereits seit 20. April tätig, wie das Sozialministerium mitteilte. Auch in sozialen Einrichtungen wie Stadtteilcafés und Tafeln sollen Impfangebote gemacht werden.
Nach Auskunft der Innenbehörde in Hamburg liegt die durchschnittliche Impfbereitschaft in den Erstaufnahmeeinrichtungen bei knapp 50 Prozent. Auch den Personen, die in den Einrichtungen arbeiten, werde ein Impfangebot gemacht. „Somit wird den Bewohnenden vermittelt, dass auch andere Personen geimpft werden“, erklärte die Behörde.
Impfbereitschaft in Sachsen bei 33 Prozent
Die hessische Landesregierung bemüht sich um eine Steigerung der Impfquote gegen das Coronavirus unter Geflüchteten. Bisher seien die Impfungen an zwei Standorten von 40 bzw. 46 Prozent der Bewohner angenommen worden, teilte das Sozialministerium in Wiesbaden mit.
Die Corona-Impfbereitschaft unter den Asylsuchenden in den sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen ist mit knapp 33 Prozent gering, wie es hieß – trotz der Hilfe von Dolmetschern und schriftlichem Informationsmaterial in verschiedenen Sprachen. „Wir haben mit den Impfungen in den Flüchtlingseinrichtungen gerade erst begonnen, insofern können wir zur Impfbereitschaft noch keine Aussagen treffen“, teilte das Thüringer Sozialministerium mit. Für Johnson & Johnson wie für AstraZeneca bestehe aber „ein besonderer Beratungsbedarf“.
Abschiebung nach Impfung?
In den Erstaufnahmeeinrichtungen in Niedersachsen begründeten die Flüchtlinge ihre Impf-Zurückhaltung häufig damit, dass sie in ihrem Umfeld keine schweren Krankheitsfälle erlebten. Das mangelnde Vertrauen in die angebotenen Impfstoffe sei ein weiteres Argument. „Deshalb werden wir jetzt massiv mit einer Werbekampagne in die Häuser gehen“, kündigte die Landesregierung an.
In Baden-Württemberg geht es laut Landesregierung auch darum, Falschinformationen aus der Welt zu schaffen. So würden etwa negative Auswirkungen auf das Asylverfahren und eine nach einer Impfung erleichterte Abschiebung befürchtet, hieß es. Das Innenministerium in Bayern berichtet von in sozialen Netzwerken kursierenden Fehlinformationen – etwa, dass Impfstoffe unfruchtbar machten. In Bayern nahmen den Angaben zufolge rund 60 Prozent der Flüchtlinge die Impfangebote an. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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