Esther Bejarano - Die Befreite
Die Holocaust-Überlebende starb am Samstag im Alter von 96 Jahren
Esther Bejarano überlebte Auschwitz und das KZ Ravensbrück. Nun ist sie am Samstag gestorben. Bis kurz vor ihrem Tod erzählte sie jungen Menschen von den Verbrechen der Nazis - und fürchte mehr denn je eine Wiederkehr des Schreckens.
Von Sebastian Stoll und Franziska Hein Montag, 12.07.2021, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 11.07.2021, 20:06 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
„Ich will die Menschen aufklären, was damals geschah. Man darf nicht schweigen und nicht vergessen“, sagte die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano einmal. Mit „Damals“ meinte sie die NS-Diktatur.
Wer Esther Bejarano zuletzt traf, sah eine kleine Frau mit grauen Haaren, die zart und resolut zugleich wirkte. Sie hat Auschwitz überlebt, verlor im Holocaust ihre Eltern und ihre Schwester. Nun ist sie im Alter von 96 Jahren gestorben, wie ihre Familie und das Auschwitz-Komitee der Bundesrepublik Deutschland am Samstagmorgen in Hamburg mitteilten. Bejarano sei nach kurzer schwerer Krankheit am frühen Samstagmorgen gestorben. Sie sei nicht allein gewesen, Familie und Freunde waren in den letzten Tagen bei ihr.
Die geborene Esther Loewy aus Saarlouis, Tochter eines jüdischen Kantors, war 16 Jahre alt, als ihre geplante Ausreise nach Palästina scheiterte, und sie Zwangsarbeiterin in Brandenburg wurde. Zwei Jahre später, 1943, deportierten die Nazis sie nach Auschwitz. Sie überlebte als Akkordeonspielerin im „Mädchenorchester“, kam dann ins KZ Ravensbrück, konnte schließlich von einem „Todesmarsch“ fliehen.
„Für uns Überlebende unerträglich“
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs lebte Esther Bejarano einige Jahre in Israel, heiratete, bekam zwei Kinder – bis es die Familie 1960 nach Deutschland zurückzog. Von Hamburg aus mischte sie sich bis kurz vor ihrem Tod immer wieder ein in Debatten. Sie ging in Schulen, trat mit der Band Microphone Mafia auf, die auf verschiedenen Sprachen rappt. Damit das, was sie erleben musste, nie wieder passiert.
2020 startete sie eine Petition, in der sie forderte, den 8. Mai als Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa zum bundesweiten Feiertag zu machen. In einem Offenen Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte sie damals: Der 8. Mai, Tag der Kapitulation Hitler-Deutschlands und der Befreiung vom NS-Regime, muss ein Feiertag werden – allein, um ein Zeichen zu setzen. „Es ist für uns Überlebende unerträglich, wenn heute wieder Naziparolen gebrüllt werden, wenn Menschen durch die Straßen gejagt und bedroht werden, wenn Todeslisten kursieren“, schrieb Bejarano als Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in der Bundesrepublik Deutschland.
„Das große Schweigen nach 1945“
In dem Brief deutete sie auch an, was es heißt, Auschwitz überlebt zu haben: „Die Gerüche blieben, die Bilder, immer den Tod vor Augen, die Alpträume in den Nächten“. Dem stellte sie eine Kontinuität des Wegschauens gegenüber, „das große Schweigen nach 1945“.
Zwar habe sich im Lauf der Jahre eine Erinnerungskultur herausgebildet, aber auch Rechte und Neonazis hätten sich neu formiert. So weit, dass heute „Abgeordnete einer neurechten Partei vom NS als ‚Vogelschiss in deutscher Geschichte‘ und vom Holocaust-Gedenkort in Berlin als ‚Denkmal der Schande‘ sprechen“. Was also könnte helfen? Vielleicht, wenn man endlich begreifen würde, „dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war“.
„Ich wollte nicht in den Krieg ziehen.“
Esther Bejarano war schon lange ein politisch aktiver Mensch. In Israel sang sie in einem kommunistischen Arbeiterchor. Sie verließ das Land 1960 auch deswegen, weil sie und ihr Mann mit dessen Politik nicht mehr einverstanden waren: „Ich wollte nicht in den Krieg ziehen.“
Wenn sie über die letzten Kriegstage sprach, erzählte sie von ihrer panischen Angst vor der Ostsee. Als die Alliierten immer näher rückten und die Befreiung schon in greifbarer Nähe war, zwangen die Nazis sie und weitere Häftlinge aus Ravensbrück in einen ihrer berüchtigten Todesmärsche. Wer nicht mehr gehen konnte und auf den Boden sackte, wurde erschossen. Es ging nach Norden, geradewegs auf die Ostsee zu, habe sie damals geglaubt. „Ich dachte, sie werden uns dort rein treiben und sterben lassen“, erinnerte sich Bejarano.
„… wenn ich in den Nachrichten ein Flüchtlingsboot sehe“
Sie konnte sich von dem Todesmarsch retten, mit einigen Freundinnen gelang ihr in einem Waldstück die Flucht. Die Erinnerung an die Angst blieb. Und die kam zuletzt wieder hoch, wenn sie die Situation der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer sah: „Das ist das erste, was ich denke, wenn ich in den Nachrichten ein Flüchtlingsboot sehe: ‚Die wollen uns ertränken’„, sagte sie vergangenes Jahr.
Bejaranos Familie und das Auschwitz-Komitee schrieben am Samstag, sie wollten Bejaranos Auftrag erfüllen: „Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht. Seid solidarisch! Helft einander! Achtet auf die Schwächsten! Bleibt mutig! Ich vertraue auf die Jugend, ich vertraue auf euch! Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!“ (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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