Wirtschaftsforscher
Rente ohne Einwanderung kaum zu finanzieren
Wirtschaftsforscher haben die Bürger mit der Aussicht auf eine „Rente mit 68“ aufgeschreckt. Zwar haben Bundesminister bereits abgewiegelt, aber das Thema ist damit nicht vom Tisch. Denn wie die Rente auf Dauer finanziert werden soll, ist offen. Experten sind sich aber sicher: Ohne Einwanderung geht’s nicht.
Von Markus Jantzer Dienstag, 27.07.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 25.07.2021, 13:17 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Für den Rentenexperten der Hans-Böckler-Stiftung, Florian Blank, ist die Sache klar: Eine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters ist nicht notwendig. Da kann der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesarbeitsministerium noch so drastisch von „schockartig steigenden Finanzierungsproblemen“ der gesetzlichen Rentenversicherung reden.
Wer die gesetzliche Rentenversicherung finanziell entlasten wolle, könne dies auch auf andere Weise erreichen, sagte Blank dem „Evangelischen Pressedienst“: „Eine höhere Erwerbstätigkeit von Frauen, aber auch eine gelingende Integration von Zugewanderten sowie die Reintegration von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt kann eine sehr wichtige Rolle spielen, um die Alterssicherung zukunftsfähig zu halten“, erklärt Blank.
Ohne Einwanderung kaum zu finanzieren
Johannes Geyer, Rentenexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), dämpft hier die Erwartungen. Zwar sei die gesetzliche Rente „ohne Zuwanderung kaum nachhaltig zu finanzieren“. Allerdings zeigten Prognosen, dass der Altenquotient, also das Verhältnis von Rentnern über 65 und Beitragszahlern zwischen 18 und 64, selbst bei einer starken Zuwanderung in den kommenden Jahren weiter ansteigen werde.
Die Bundesregierung hat in der zu Ende gehenden Legislaturperiode zwei Versprechen gegeben. Sie betreffen die sogenannten Haltelinien und besagen: Das Rentenniveau darf nicht unter 48 Prozent des Durchschnittslohns sinken und die gesamten Beiträge für die Sozialversicherungen dürfen die 40-Prozent-Marke nicht überschreiten.
Experte: Ohne Änderungen Rente nicht haltbar
Der Finanz- und Sozialökonom Martin Werding von der Ruhr-Uni Bochum sagte dem „Evangelischen Pressedienst“ jedoch: „Ohne gravierende Änderungen sind die derzeit geltenden Haltelinien im Rentenrecht nicht haltbar, jedenfalls nicht in der Zeit ab 2025.“ Mit einer weiteren Anhebung des Rentenalters, wie vom Wissenschaftlichen Beirat vorgeschlagen, wäre Druck aus der sich zuspitzenden Finanzlage genommen. „Deshalb“, so Werding, „sind Schritte in diese Richtung unverzichtbar.“
Dennoch reagierten Mitglieder der Bundesregierung zurückhaltend bis ablehnend auf die Empfehlung, das Erwerbsalter weiter zu erhöhen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) erklärte die Vorschläge des Beirates für „nicht bindend“. Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz verurteilte die Vorschläge der Wissenschaftler als unsozial.
Umverteilung innerhalb des Rentensystems
Wenn tatsächlich eines Tages ein späterer gesetzlicher Rentenbeginn vom Bundestag beschlossen werden sollte, dann hält Johannes Geyer vom DIW Differenzierungen bei den erworbenen Rentenanwartschaften für sinnvoll. „Zum Beispiel wäre denkbar, dass Geringverdienende mehr Entgeltpunkte pro Beitragseuro erwerben als Gutverdienende.“
Die Umverteilung innerhalb der Rentenversicherung könnte einen Teil der Umverteilung von Menschen mit geringer Lebenserwartung hin zu Menschen mit höherer Lebenserwartung kompensieren, so Geyer. Denn Tatsache sei, dass Menschen mit sehr geringem Einkommen eine um etwa sieben Jahre geringere Lebenserwartung als Menschen mit sehr hohem Einkommen haben und daher deutlich kürzer Rentenleistungen beziehen.
Rente mit 68 gut für Arbeitgeber
Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, weist darauf hin, dass es gerade Menschen mit kleinen Renten nicht bis zur Regelaltersgrenze schaffen. „Sie müssen bei vorzeitigem Renteneintritt Abschläge hinnehmen.“
Florian Blank benennt einen grundsätzlichen Aspekt: Mit den verschiedenen Optionen zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Rente seien vor allem Verteilungsfragen – und damit Interessen – verbunden, sagt er. „Während ein höherer Beitragssatz von Arbeitgebern und Beschäftigten zu tragen wäre, wären von einem längeren Arbeitsleben die jetzigen Beschäftigten im mittleren und jüngeren Alter betroffen. Die Rente mit 68 ist damit vor allem für die Arbeitgeber lohnend.“ (epd/mig) Leitartikel Wirtschaft
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